Zitate von Paul Valéry(30.10.1871 Sète/Hérault - 20.07.1945 Paris) Un homme seul est toujours en mauvaise compagnie. Man muß damit rechnen, daß so bedeutsame Neuerungen die ganze Technik der Künste umwandeln, damit auf den schöpferischen Vorgang selbst wirken - so sehr, daß sie vielleicht in erstaunlicher Weise bestimmen könnten, was künftig unter Kunst zu verstehen sein wird. (...) Die Werke werden zu einer Art von Allgegenwärtigkeit gelangen. Auf unseren Anruf hin werden sie überall und zu jeder Zeit gehorsam gegenwärtig sein oder sich neu herstellen. Sie werden nicht mehr nur in sich selber da sein - sie alle werden dort sein, wo ein Jemand ist und ein geeignetes Gerät. Sie werden nur mehr etwas wie Quellen oder Wurzelstöcke sein, und ihre Gaben werden sich ungeschmälert überall einfinden oder neu befinden, wo man sie wird haben wollen. Wie das Wasser, wie das Gas, wie der elektrische Strom von weit her in unseren Wohnungen unsere Bedürfnisse befriedigen, ohne daß wir mehr dafür aufzuwenden hätten als eine so gut wie nicht mehr meßbare Anstrengung, so werden wir mit Hör- und Schaubildern versorgt werden, die auf eine Winzigkeit von Gebärde, fast auf ein bloßen Zeichen hin entstehen und vergehen. Wie wir gewohnt - wenn nicht gar abgerichtet - sind, ins Haus die Energie in verschiedenster Gestalt geliefert zu erhalten, so werden wir es ganz natürlich finden, dort jene sehr geschwinden Wechselbilder oder auch Schwingungen zu bekommen oder in Empfang zu nehmen, aus denen unsere Sinnesorgane, die sie aufnehmen und zu Einheiten zusammenfassen, alles machen, was wir wissen. Paul Valéry: Die Eroberung der Allgegenwärtigkeit. In: Über Kunst, dt.: Frankfurt, Suhrkamp 1959:46ff
Dieser gegenwärtige Zustand, der unser Werk ist, zwingt notwendigerweise
eine bestimmte Zukunft herbei, doch eine Zukunft, von der uns ein Bild
zu machen wir gänzlich außerstande sind; und das ist das
vollkommen Neue. Es ergibt sich aus eben dem Neuen der von uns gelebten
Gegenwart. Wir sind nicht fähig, nicht mehr fähig, der Vergangenheit
einen Schimmer, ein einigermaßen wahrscheinliches Bild der Zukunft
abzugewinnen, weil wir innerhalb weniger Jahrzehnte auf Kosten der Vergangenheit
(das heißt sie zerstörend, sie verleugnend, sie von Grund
auf umformend) einen neuen Zustand der Dinge geschmiedet, aufgebaut,
organisiert haben, dessen auffallendste Züge ohne Vorbild und ohne
Beispiel sind. Bei Musik wollen einige Teile Anspruch auf das Ganze erheben, wollen
dem Ganzen befehlen, das Ganze ersetzen - Kunst der Spasmen, des Schüttelns
und Rüttelns, des Zitterns und Bebens, des stockenden Atems, des
flatternden herzens, der angeblich maßlosen Energie, der Abgründe,
der ausufernden Zweifel, des Aufreizens, Aufreißens; ... doch
Kunst der Lüge, der Echolalie, des törichten Grimassenschneidens,
der vorgeblichen Loslösung der Seele vom Körper; man wird
dieser Kunst auf die Schliche kommen, und man wird sie zu ihrer Erniedrigung
benutzen. Ehedem diente sie nur bei Hochzeiten und Schaugepränge,
bei Paraden und Serenaden - in Zukunft wird sie dienen zur Illustration
des Nervensystems. Der Genuß des Habens ist stets ein minder intensives Empfinden
als die Pein des Nicht-Habens oder des Nicht-mehr-Habens, denn er kommt
in dieser Pein vor, sie in ihm aber nicht. Die Primitiven in den nicht-primitiven Epochen mag ich nicht. Rückkehr
zum Naiven - künstliche Ohnmacht. Simulieren. Pascal - contra Goethe - den Retter der Phänomene Die einfachen Dinge des Alltags künstlerisch sehen
lernen: den Schlaf, das Gehen und laufen - ein Zimmer - einen gewöhnlichen
Satz; das Instinktive lesen lernen: trinken, sich spiegeln, mit sich
sprechen - Mithin neu sehen, was so oft gesehen wurde - aber
nun an der richtigen Stelle. Es gibt keinen Gedanken, der seine Herrschaft, seine Allmacht über
einen Menschen nur sich selbst verdankte. Wenn du wüßtest, was ich verwerfe, du würdest bestaunen,was
ich behalte. Der Mensch schaut ein Bild an und sieht eine Wirklichkeit. Er betrachtet
eine Zeichnung und sieht Dinge. Er schaut Dinge an und sieht möglichte
Akte, Operationen. Dieses Mögliche allein verleiht dem Gesehenen
seinen Wert. Alle Künste rühren ursprünglich von einem Betätigungsdrang
her, der nicht weiß, wo er ansetzen soll. Alle Künste entspringen der Langeweile. Die Sprache schränkt in der Praxis die Kombinationen ein. Das tiefste Problem der Kunst.Ein Werk schaffen, welches so geartet
ist, daß, wenn in der Zukunft Veränderunen im Geschmack und
in den Bedürfnissen eintreten (und zwar nicht vorhersehbare), es
anders als zu seiner Zeit interpretiert werden, einen von seinem Verfasser
nicht vorgesehenen Sinn ausbilden und einem Begehren der neuen
Zeit entgegenkommen, wenn nicht sogar in ihr ein solchs hervorrufen
kann. "Poetisches Schaffen" - ist Schaffen von Erwartung. (...) Eine Zeitung ist ein viereckiger Ort, an dem Autoren und Publikum sich
in monströser Weise paaren, bis nur noch Schwachsinnige übrig
bleiben. Was soll mir ein Autor, und sei er noch so großartig und frei
- wenn seine Anschauungsweise die geläufige ist, seine Gedanken
Gemeinplätze? Immer hat Literatur etwas Schielendes: Sie appeliert an ein
Publikum. Daher stets ein Vorbehalt des Denekns, eine reservatio
mentalis, die Scharlatanerie einschließt. Und daher ist
jedes literarische Produkt ein unreines Produkt. In den Köpfen der Menschen, welche lesen, entsteht mit der Zeit
eine sehr subtile, tiefe, zunehmend feinere und irreversible Verwechslung
dessen, von von ihnen stammt, mit dem, was in sie eingedrungen ist.
Das von außen Gekommene ist nicht mehr erkennbar, und die Produkte
des Individuums nehmen sich aus wie etwas von außen Gekommenes. Jede Epoche, jeder literarische Stil, jeder Autor ist nur eine unterschiedliche,
implizite Definition der Sprache. - Jahrhunderte hindurch war die menschliche Stimme die Grundlage der
Literatur. Diese Stimme erklärt die antike, klassische Literatur... Niedergang und Verarmung der Syntax (d.h. der Kunst, Zusammenhänge
durch Zusammenhänge zu repräsentieren) gehen einher mit dem
Anwachsen des Vokabulars und des deskriptiven Systems. Die Unfähigkeit, einem längeren Räsonnement zu folgen,
wie sie mit der Entwicklung der Zeitungslektüre einhergeht, hat
die Literatur verändert. Parasitismus von Kritikern. Es gibt Wesen, die können nur durch
die Negation anderer Wesen entstehen und weiterleben - Sie würden
zugrunde gehen ohne die, von deren Kritik sie leben. Man erkennt sie
an der Bedeutungslosigkeit ihrer positiven Arbeiten. Surrealismus - Heil durch Abfälle.
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