Im übrigen sehe
ich jetzt, wie schwer es ist, sich beim Schreiben nicht in einen Polizisten -
welcher Schattierung auch immer - zu verwandeln.
Ni Dieu - ni mètre. Anarchische Bemerkungen zur Bewußtseins- und
Erkenntnistheorie. Frankfurt, Suhrkamp 1974:10
"Wenn
nun alles für eine Hypothese, nichts gegen sie spricht - ist sie dann gewiß
wahr? Man kann sie so bezeichnen. - Aber
stimmt sie gewiß mit der Wirklichkeit, den Tatsachen überein? - Mit
dieser Frage bewegst du dich schon Kreise." 'Dies ist wahr' will sagen
'Was wir hier behaupten, ist begründet'. Und ob etwas begründet ist, das wird
sich herausstellen.
Aber
ist, was wir gelten lassen, nicht 'überholbar'? Hier könnte man sagen: Ja und
nein. Natürlich ändern sich die Ansprüche einer Begründung gegenüber. Doch wie
immer unsere Ansprüche sein mögen - die Eule der Minerva kommt stets zu
spät! Das Schicksal - dass wir hinnehmen müssen, ohne weiter zu gründeln
- ist, wie die Alten noch wussten, unvermeidlich.
'Ich
bin ganz sicher, dass dies wahr ist!' Das kann auch heißen: 'Was immer
geschehen mag, niemals werde ich bereit sein, das in Frage zu stellen!'
Man sollte sich indessen nicht darüber täuschen - und insbesondere dann nicht,
wenn man sich professionellerweise Zweifel ausdenkt -, wie wenig wir unsere Zweifel
in der Hand haben. Jeder Dogmatiker, der es unternimmt, Zweifel zu
unterdrücken, läuft Gefahr, sie dadurch nur zu verstärken. Hinter allem wird er
nach einiger Zeit einen lauernden Dämon vermuten, und selbst Gott könnte
vielleicht ein Betrüger sein.
Daß
wir unsere Zweifel nicht in der Hand haben, bedeutet aber auch, dass wir nicht
schon zweifeln, "weil wir uns einen Zweifel denken können".
Auch das ist - hier sei mit Nietzsche gesprochen - ein Wink für Philosophen.
Ni Dieu - ni mètre. Anarchische Bemerkungen zur Bewußtseins- und
Erkenntnistheorie. Frankfurt, Suhrkamp 1974:16
'Aber
es muß doch Kriterien geben, nach denen wir beurteilen können, ob das
nicht nur vermeintlich wahr ist!?' Ein Urteil lassen wir irgendwann gelten.
Jemanden, der ein solches Urteil belässt, weil es nicht länger in Frage steht,
nach dem Kriterium des Auf-sich-Belassens zu fragen, wäre so seltsam wie
jemanden, der keine Zweifel hat, aufzufordern, das Kriterium seiner
Zweifellosigkeit zu nennen.
Schon
wenn wir auf die substantivische Form 'Wahrheit' verzichten, liegt es nicht
mehr so nahe, ein Ding, ein Erlebnis, eine Relation zu vermuten, das, was
manifest oder latent, klar sein soll oder leuchtend - Plato sprach von der
Wahrheit als dem "Lichthaften" -, also dasjenige, für dessen
Identifikation wir Kriterien verlangten. Wollte man indessen sagen: 'Die
Wahrheit offenbart sich nicht', dann läge das Missverständnis nahe, 'Wahrheit'
bezöge sich auf ein Etwas, nur eben eines, das versteckt sei.
'Wahr
ist, was begründet ist' - das heißt: 'Wahr ist, was wir akzeptieren.' Und wir
akzeptieren eben letzten endes nicht, weil da weitere Gründe wären, die unser
Urteil 'abstützten', sondern wir stellen lediglich nicht länger in Frage. Das
ist alles. Wir sagen: so und so verhält es sich.
Ni Dieu - ni mètre. Anarchische Bemerkungen zur Bewußtseins- und
Erkenntnistheorie. Frankfurt, Suhrkamp 1974:18f