Aus medienrechtlichen Gründen sind nur einige Absätze zitiert. Der ganze Beitrag in: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 01.09.99

Exil, da weiß man, was man hat
Der palästinensisch-amerikanische Intellektuelle Edward Said soll seine Biografie verfälscht haben
PETRA STEINBERGER

Einer, der sich heraushebt aus der Menge, provoziert zum Angriff. Wenn er dann noch zum Symbol wird für eine bestimmte Gruppe, dann muss er mit Attacken rechnen. Wenn gar seine eigene Geschichte zur kollektiven Metapher wird, seine Biografie stellvertretend steht für das Erleben eines Volkes, dann muss er sich darauf gefasst machen, dass auch nachgeforscht wird – solange, bis einer etwas findet, und selbst wenn es nur ein kleiner Kratzer ist am guten Namen. Und solch ein Kratzer kann sich schnell entzünden. So ergeht es gerade Edward W. Said.

Seine intellektuelle Integrität war bislang unbestritten, untermauert von einer persönlichen Erfahrung, die das Schicksal Palästinas zu verkörpern schien. Bislang jedenfalls. Denn nun wird ihm vorgehalten, einen großen Teil seiner Biografie, die Jahre seiner Jugend in Jerusalem, verfälscht zu haben.

Es klagt an: das rechts-konservative jüdische Magazin Commentary. In dessen jüngster Ausgabe veröffentlicht Justus Reid Weiner, israelisch-amerikanischer Jurist vom Jerusalemer Center for Public Affairs, die Ergebnisse seiner dreijährigen Recherche – und wirft dem palästinensisch-amerikanischen Professor vor, ausgerechnet jene Zeit, die als Rechtfertigung und Ansporn für sein Engagement dient, unrichtig dargestellt zu haben.

Der britische Daily Telegraph des konservativen Verlegers Conrad Black, ein Sympathisant rechtsorientierter Kreise in Israel, brachte die Anschuldigungen über den Atlantik. Im Wall Street Journal formulierte Justus Weiner seinen Artikel zu einem persönlichen Angriff auf Said um. Und Edward Said wehrte sich.

Dies sei nichts weiter, schrieb er in der ägyptischen Wochenzeitung Al-Ahram, als eine Diffamierung im zionistischen Stil. Seine Kindheit habe er zwischen Jerusalem, Kairo und Libanon verbracht, und dies nie geleugnet; das Haus sei eben ein typisch arabisches Heim gewesen, das sich in gemeinsamem Besitz der Said-Familie befand. Natürlich sei er 1947 in Jerusalem zur Schule gegangen, deren Annalen jedoch endeten 1946.

Merkwürdig, schreibt Edward Said auch, dass Justus Weiner in den angeblich drei Jahren seiner Spurensuche nie versucht habe, ihn persönlich zu kontaktieren. Einen Cousin habe er angerufen – und ihn bedroht, als der sich weigerte, etwas zu erzählen. Was das für eine Art Journalismus oder Wissenschaft sei? Weiner wiederum sagt, er habe Saids Assistentin einmal angerufen, jedoch nie eine Antwort erhalten. Er habe mit zahllosen Menschen gesprochen und offizielle Dokumente nachgelesen, die seine Version bestätigten.

Fakten können nachgeprüft, Aussagen widerlegt werden. Selbst wenn die Anschuldigungen gegen Said absurd erscheinen, wenn Commentary nicht unbedingt neutral zur palästinensischen Frage steht; auch wenn Weiner ein Niemand ist und Said ein angesehener Intellektueller. Ein guter Leumund ist kein Beweis: Die Vorwürfe stehen im Raum und müssen überprüft werden. Aber es ist legitim, nach der Motivation eines solchen Angriffs zu fragen und nach seinem möglichen Nutzen: Und da könnte man vermuten, dass sich der Streit in Wahrheit um eine tiefer liegende Frage dreht. Es geht um mehr als den Vorwurf der Geschichtsklitterung; es geht um den Anspruch Edward Saids, überhaupt Palästinenser zu sein – und damit auf seinen Anspruch auf eine Heimat und auf das Recht, für eine Rückkehr dorthin zu einzutreten.

Dies ist nicht die erste Attacke auf Edward Said in Commentary. Ende der achtziger Jahre wurde er in einem Artikel als „Professor des Terrors“ bezeichnet. Weiners Versuch, meint Edward Said nun, diene der erneuten Diskreditierung aller palästinensischen Ansprüche auf Rückkehr und Kompensation ihrer Verluste. Er schreibt: „Wenn schon jemand wie Edward Said ein Lügner ist, wird argumentiert, wie können wir dann all diesen Bauern glauben, die sagen, sie seien von ihrem Land vertrieben worden?“ Das heikle Thema Rückkehr und Kompensation der Flüchtlinge steht demnächst in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen an.

Ist es also eine Kampagne gegen Edward Said, wie er selbst meint? Ein Versuch, Zweifel an der Legitimität der palästinensischen Forderungen zu wecken? Golda Meir sagte, es gebe kein palästinensisches Volk. In den achtziger Jahren machte ein Buch von Joan Peters Furore, das beweisen wollte, dass die große Mehrzahl der Palästinenser erst während der jüdischen Einwanderung in die Region gezogen war – weil es dort Arbeit gab. Die These stellte sich als falsch heraus.

Doch diese Gegenattacke reicht vielleicht nicht mehr aus, um weitere Blessuren zu vermeiden. Das beste, was Edward Said für die Sache der Palästinenser tun kann, ist jeden Zweifel an seiner Biografie so schnell wie möglich auszuräumen.