Abstrakte Impressionen als Alltagsmetaphysik
Zu Bildern von Hildegard Unterweger
Haimo L. Handl, 10.02.2003
Die Geschichte der modernen Kunst ist wesentlich von der Introduktion
der abstrakten Malerei bestimmt, von den vielen Mißverständnissen,
den falschen Aburteilungen, als auch den irrigen Erwartungen.
Zwar hatte der dem Abstrakten zugrundeliegende Freiheitsgedanke schon
lange vorher in den Artikulationen wichtiger Persönlichkeiten Ausdruck
gefunden, aber einen eigentlichen Durchbruch gab es erst im 20. Jahrhundert:
Dann erst konnte, korrespondierend zur sozialen und politischen Veränderung
der Gesellschaft, auch die Reduktion auf das Medium im Bereich der Malerei
einsetzen, dann erst wurde das auch von Kritikern und einem wachsenden
Teil des Publikums verstanden und angenommen.
Der Hauptunterschied der abstrakten Kunst zur konventionellen liegt
darin, daß sie nicht abbildet, die mimetische Funktion nicht bemüht
oder erfüllt. Es geht nicht mehr um das WAS, den Inhalt oder die
Botschaft, sondern es geht um das Medium selbst, um das Malen jenseits
der "Geschichten", es geht um das WIE. Die nichtabstrakte
Kunst bildet ab, sie ist "konkret", steht in einem Ähnlichkeitsverhältnis
zum Abgebildeten, wodurch Ihr Ikonizitätsgrad bedingterweise hoch
ist. Anders bei der abstrakten Kunst. Für die Musik scheint das
leichter einsichtig und annehmbar. Die Leistung der Abstraktion lag
in der Abkehr von der Abbildung als Wiedergabe oder Widerspiegelung,
hin zum reinen Malakt, der sich aufs Medium reduzierte, was im purifizierten
Bild des Nichtabgebildeten resultierte. Nunmehr erlaubte die neue Freiheit
Kompositionen jenseits der Grenzen narrativer Normen und Regeln; eine
Umwertung von Form und Inhalt setzte ein. Für die Deutung hatte
das gewichtige Implikationen und Folgen. Es konnte nicht mehr der Inhalt
oder die Aussage als Wertbereich oder Bedeutungsfeld herangezogen werden,
es galt, aufgrund eigener, genuiner Kriterien zu interpretieren und
Beurteilungen zu fassen. Die gewohnte Sicht auf das Produkt (auf das
WAS), steigerte für lange Zeit die Konfusion. Vieles, was abstrakt
erschien, war es weder von der Intention, noch von der Gestaltung; berühmte
Beispiele dazu liefern Klee und Picasso. Andererseits trug die Inflation
abstrakter Epigonenwerke nicht gerade dazu bei, die Auseinandersetzung
auf ein befriedigendes Niveau zu heben. Es ging und geht nicht darum,
die abstrakte Malerei als superior herauszustellen oder die nichtabstrakte
abzuwerten. Aufgabe kann nur sein, das jeweils Eigene, Spezifische zu
erkennen, um es adäquat bewerten und interpretieren zu können.
Natürlich sind auch Verbindungen beider Dimensionen oder Bereiche
möglich: aus dem Spannungsfeld nichtmimetischer Artikulation, getrieben
von äußeren Einflüssen, Werke zu schaffen, die dann
nicht pure Reduktion sind, ohne aber Abbilder im bekannten Sinn zu werden.
Simplifiziert ausgedrückt, könnte man sagen: während
es eines Impressionisten Bestreben und Vorgangsweise war, am Ort die
Eindrücke seiner äußeren (Um)Welt wiederzugeben, fokussierte
der abstrakt Schaffende auf sein Inneres bzw. nicht auf das Äußere,
das es ja nicht abzubilden galt.
Natürlich war auch die Wiedergabe des Impressionisten nicht nur
Abbild, sondern immer auch interpretative Gestaltung. Aber die Intention
und die Funktion als auch die Erwartung waren anders.
Gemeinhin schrieb oder schreibt man dem Abstrakten eine Innenorientierung
oder Seelenöffnung zu, während die nichtabstrakte Arbeit An
der Mimesis, der Abbildung sich orientierte, geleitet von anerkannten
Kriterien.
Und genau hier scheinen mir die Bilder von Hildegard Unterweger anzusiedeln
zu sein: im Schnittpunkt von Impression und Abstraktion.
Allein ihr Schaffensvorgang, ihre Technik zeigt von einem Sich-Aussetzen,
in welchem die Summe der Eindrücke und Einflüsse im Malakt
kulminieren. Was sonst vielleicht Abbild hätte werden können,
ist es nicht mehr ganz; die Wiedergabe der Impression weist einen höheren
Abstraktionswert auf. Die Bilder scheinen abstrakt, sind es aber im
strengeren Sinne nicht, was sie auch nicht sein müssen.
Hildegard Unterwegers Bilder evozieren auf einer Metaebene jene Bedeutungsgehalte,
welche die abstrakten Kompositionen hervorzubringen imstande sind. Ihre
Intention, ihre Technik aber zeigt eine Orientierung, die ein weiteres
Feld, einen zusätzlichen Bereich öffnet, der nun zur Interpretation
einlädt.
Diese Mischung der Bedeutungsebenen bildet für mich den Kreuzungspunkt,
von dem ich vorher sprach. Es ist, als ob zwei widerstreitende Antriebe
ihr Recht forderten und wovon ihre Bilder nun Zeugnis liefern.
Um dies etwas zu verdeutlichen, sei kurz auf die Arbeitsweise und Technik
der Künstlerin eingegangen. Im Zuge ihrer künstlerischen Arbeit
entdeckte sie das Moment der Konversion; die Technik, die Arbeitsweise
wird selbst zum Ziel, ähnlich wie in der Kommunikation, wenn das
Medium selbst zur Botschaft wird. Der Prozeß, die Aktion wurde
das eigentlich Bedeutende, nicht mehr das Resultat, das Produkt.
Die gewohnten Bedingungen wurden als Einengung, als Korsett empfunden,
neue Freiheiten forderten ihre Durchsetzung. Damit einher ging die Reduktion
auf den Schaffensprozeß, die Vernachlässigung der Abbildung
als Ergebnis dieser (neuen) Freiheit. Ihre neuen Arbeitsbedingungen
sowie die Konfrontation mit den neuen Grenzen (die geänderten Arbeitsbedingungen)
forderten die Künstlerin heraus, wie vergleichsweise die leere
Vorlage eine Herausforderung an jenen stellt, der nicht mehr eine Vorgabe
abbilden mag oder will, der neu (er)schaffen und schöpfen muß,
um das Leere zu füllen, um das noch nicht Geschaffene zum Leben
zu bringen: die künstlerische Arbeit als dem Schöpfungsakt
gleichkommende Kreation. Die Verwandlung als das Eigentliche dieser
Kreation: ein Gebären.
Unwillkürlich erinnere ich man an Texte über die meditative
Malweise der Ch'am-Tradition, worin es den Meistern und Schülern
nicht um das Endprodukt, die festgehaltene kalligraphische Zeichnung
ging, sondern primär um den Prozeß, um den Schreibmalakt,
den Handlungsvollzug und die dabei gewonnenen Erfahrungen. Folgerichtig
bedeuteten die zu Papier gebrachten Werke wenig.
Wir hingegen schätzen es, daß die Künstlerin es nicht
bei ihrer eigenen Erfahrung beläßt, sondern uns durch das
materialisierte Werk es überhaupt ermöglicht, als Betrachter
zumindest einiges nachzuvollziehen.
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