Roma & Sinti
"Zigeuner-Darstellungen" der Moderne
Haimo L. Handl, 25.07.2007
Mitte Juni erfolgte die Eröffnung der Ausstellung in der Kunsthalle
Krems, die, wie stolz betont wird, in Europa erstmalig "eine Ausstellung
zum Thema der Zigeunerdarstellung (sei), die nicht nur den soziologisch-historischen
Blick bedient, sondern gleichzeitig den Anspruch erhebt, eine Kunstausstellung
mit qualitativ anspruchsvollen Bildern (Gemälde, Litographien,
Grafiken, Fotografien) zu sein."
Die Ausstellung läuft vom 17. Juni bis 2. September 2007 und ist
täglich von 10 - 18 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung erschien
ein Katalog im Hard Cover, 112 Seiten und neben zahlreichen Abbildungen
einigen theoretischen Beiträgen.
"Den 'unschuldigen' Blick gibt es nicht, jeder Blick spiegelt
eine bestimmte gesellschaftliche Struktur wider. Der Blick auf die als
'Zigeuner' diskriminierte Bevölkerungsgruppe der Roma und Sinti
veränderte sich im 19. Jahrhundert mehrfach. Gemälden und
Fotografien zeichnen diese Entwicklung nach." (Presseaussendung
Kremser Kunsthalle)
Es geht also nicht primär um Kunst, sondern um jene Art Kunst,
die historisches Zeugnis und Dokument ist. Es geht um die Darstellung
der Darstellung, das Aufzeigen der Stereotypie, der Imaginationen, wie
sie sie in langer Geschichte sich gebildet haben und deren Ausläufer
heute noch wirksam scheinen.
Die Ausstellung ist nicht sehr umfangreich, aber interessant gestaltet;
sie stützt sich besonders auf viele ungarische Leihgaben. So einmalig
erscheint mir das Unternehmen allerdings nicht, gab es doch die Ausstellung
"Paradise Lost" mit 16 Roma-Künstlern aus acht Ländern
bei der Venediger Biennale, dort, typischerweise, als ob das Klischee
als Nichtklischee bestätigt werden sollte, am Rand, nicht wirklich
integriert.
Aber Kunst von Roma und Sinti ist etwas anderes als Kunst über
Roma und Sinti. Bei beiden jedoch wird die Historie und das ideologische
und politische Umfeld bemüht, um Kunst und Künstler zu deuten.
Und in beiden Fällen liegen hierin Fallen, in welche die meisten
tappen bzw. sich verfangen, wohl aus ideologischen Gründen, zu
denen ja auch die politische Korrektheit zählt.
"Die Darstellung der lange diffamierten 'Zigeuner' und ihre Erfassung
in stereotypen Berufsbildern - vom Scherenschleifer zur Wahrsagerin
- markiert den Anfang einer europäischen Bildtradition mit bedeutenden
Werken im 17. und 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert entsteht eine
differenziertere bildnerische Auseinandersetzung mit der Volksgruppe
der Roma und Sinti. Zahlreiche Künstler malen eindrucksvolle Darstellungen
der Roma, in denen jedoch eine mythenhafte Verklärung und Romantisierung
des 'Zigeunerlebens' vorherrscht. Andererseits kommen auch soziale Probleme
und Spannungen in der Malerei zum Ausdruck. Ein realistischeres Bild
entsteht erst im Lauf des 20. Jahrhundert: die Moderne gesteht der jahrhundertelang
als 'Zigeuner' ausgegrenzten Volksgruppe erstmals einen Platz innerhalb
der Gesellschaft zu." (Presseaussendung Kremser Kunsthalle)
Was hier über die Bildtradition gesagt wird, stimmt, obwohl der
Eindruck, der sich einstellt, als handele es sich um eine europäische,
bürgerliche Besonderheit, kultürlich völlig falsch wäre,
weil es keine Gesellschaft gab oder gibt, die nicht bedingterweise Stereotypen
und Vorurteile konstruiert und unterhält, unabhängig, ob es
sich um Auto- oder Heterostereotypen handelt. Die Konstruktion und Perzeption
von Stereotypen oder Vorurteilen ist aber noch komplexer, weil es auch
um jene Kategorien in diesen Dimensionen geht, die die intentierten
Sichten darstellen, wie jemand wünscht, vom andern wahrgenommen
zu werden bzw. wie er meint, dass der andere ihn wahrnimmt.
Berücksichtigt man diesen simplen, faktischen Aspekt, wird sofort
klar, dass niemand den "reinen, objektiven" Blick hat oder
haben kann. Auch andere pflegen ihre Stereotypen. "Zum Fall"
werden solche Übung erst, wenn daraus sozial, politisch, rechtlich,
also insgesamt gesellschaftlich, Nachteile erwachsen als Ausdruck von
Machtverhältnissen, in und unter denen jene, die keine Gegenmacht
besitzen, also ohnmächtig sind, leiden, weil die Mächtigen
ihre Macht missbrauchen.
Dieser gesellschaftliche Aspekt ist jedoch von anderer Natur und kann
nicht primär direkt mit der "verzerrten", stereotypen
Rezeption in Kausalverbindung gebracht werden. Doch genau das geschieht,
weil es vordergründig auf der Hand liegt, weil es bequem ist und
weil es gegenwärtig eine Sicht, die der politischen Korrektheit
korrespondiert, befriedigt.
Die Kremser Ausstellung, die nach ihrem Anspruch und Konzept beides
erfüllen will, den soziologisch-historischen Blick bedienen und
zugleich hochwertige Kunstausstellung zu sein, bringt also in ihrem
Katalog einige theoretische Beiträge, allerdings ohne Anmerkungen
oder Quellenverweise. Die scheinen zu stören. Die Katalogmacher
scheinen den Anmerkungsapparat vernachlässigen zu dürfen,
als ob Bilder und ein paar Sätze reichen. Das ist bedauerlich,
wird doch damit angezeigt, dass der anvisierte soziologisch-historische
Blick nicht ganz ernst gemeint sein kann, weil zum Wissenschaftlichen
die Nachweise nun einmal gehören. Im Katalog werden allerding penibel
alle Verweise aufgelistet, die die Macher und Mitarbeiter, Leihgeber
und andere ausweisen. Hier scheint Ausführlichkeit und Präzision
vonnöten und willkommen. Im Wissenschaftlichen nicht. Das sagt
selbst etwas aus! Immerhin drei Jahre war an diesem Projekt gearbeitet
worden!
Trotzdem ist der Katalog brauchbar, wiewohl ich theoretisch stärker
untermauerte Beiträge vermisse. So offerieren Gerhard Baumgartner
und Eva Kovács historische Abrisse, schreiben Tanja Pirsig-Marshall
zur "Zigeunerikonographie" der klassischen Malerei und Péter
Szuhay zur "Zigeunerfotografie", aber vertiefte Ausführungen
oder wenigstens Verweise auf einschlägige Arbeiten im Politischen
oder kunsttheoretischen Fehlen, will man die blosse Auflistung in der
Bibliografie nicht als Ersatz gelten lassen.
Die Problematik der korrekten Sicht, die eine ideologische ist, drückt
sich schon im Vorwort von Tayfun Belgin aus, dem Direktor der Kunsthalle
Krems. Fragnotwendig ist aber auch der kunsttheoretische bzw. semiotische
Aspekt.
"Im 20. Jahrhundert beginnt sich neben dem romantisierenden Blick
auf die Roma und Sinti ein ethnologisierender Blick durchzusetzen. Auch
wenn die Avantgarde zu Beginn des Jahrhunderts noch keine authentische
Sicht liefern kann, sondern in ihrer Suche nach dem Unverfälschten
dieses bei den Roma und Sinti zu entdecken glaubt, sind die Darstellungen
doch weniger diskriminierend als die der vorangehenden Epochen."
Was heisst das bzw. was soll es bedeuten? Die Formulierung, dass die
Avantgarde damals noch keine authentische Sicht liefern konnte, insinuiert,
dass sie es später vermocht hat. Dafür fehlen Belege. Überhaupt
wird argumentiert, als ob es eine "authentische Sicht" gäbe
oder geben könne, ohne diese näher zu beschreiben oder auszuweisen.
Gibt es sie? Nein, so wenig, wie es das Absolute gibt oder das "Ding
an sich". Eine Chimäre. Zweitens wird das Moment der Diskriminierung
in die Darstellung gelegt, das Bild. Ein Bild stellt aber nur dar. Die
Diskriminierung erfolgt konkret sozial. Bilder sind höchsten Medien,
Ausdruck von Haltungen und Einstellungen, nicht aber direkte Diskriminierung
selbst. In einer nicht diskriminierenden Gesellschaft sind durchaus
Bilder möglich, die abstossend, verzerrt, karikiert, böse
sind, ohne dass die derart Überzeichneten deshalb direkte Nachteile
erfahren. Würde ein direkter Konnex zwischen Vorgabe und Abbild
bestehen, zwischen Tat und Wort, dürfte keine Literatur publiziert
werden, weil der Krimi oder Thriller konkret verletzte, ebenso wie der
triviale Film oder die dumme TV-Soap-Opera. Dem ist aber nicht so.
Tayfun Belgin schreibt weiter: "Ca. 80 historische Fotografien
aus der Zeit von 1870 bis ins 20. Jahrhundert dokumentieren nicht etwa
eine authentische fotografische Sicht, sondern schließen an die
verklärende Darstellung der Gemälde an. Studioaufnahmen als
Wunschbilder von exotisch anmutenden Menschen, eben "Zigeunern",
schufen eine bizarre fotografische "Wirklichkeit"."
Nun, auch wenn es eine Wiederholung ist, drängt sich abermals
die Frage auf, wo denn die authentische fotografische Sicht zu finden
ist? Wer hat sie gehabt, wer hat sie, wie sieht sie aus? Auch wenn nicht
romantisiert wird, ist die fotografische Realität, wie jede mediale,
eine konstruierte. Bedingterweise.
Was Belgin im Sinn hat, kann man indirekt herauslesen aus seinen lobenden
Worten zu den Fotografien des Schweizers Yves Leresche, die in die Ausstellung
integriert sind (75 Fotografien aus seinem mehrjährigen Aufenthalt
in Rumänien), und die Resultat einer aktiven Alltagsteilhabe sind.
Das scheint`s zu sein: die Teilhabe am Leben verbürgt anscheinend
den authentischen Blick. Weil der Fotograf nicht nur Fotograf bleibt,
also aufzeichnender Beobachter, sondern aktiv Teilnehmender, Teilhabender,
sollen seine Bilder authentisch sein. Klingt zwar plausibel, stimmt
aber auch nicht. Teilhabe verändert nicht die mediale Bedingtheit
und den spezifischen semiotischen Prozess.
Natürlich können wir von mehr oder weniger authentischen
Bildern als Repräsentanten sprechen. Ein ähnliches Problem
kennen wir im sogenannten Realismus. Aber dafür müssten Kriterien
genannt werden zur Definition und Unterscheidung. Ohne solche Klärung
bleibt es spekulativ, vordergründig, ja klischiert.
Trotz meiner etwas relativierenden Einwände oder Fragen ist die
Ausstellung aber sehenswert und interessant. Immerhin besteht die Möglichkeit,
sich animieren zu lassen, über das Gezeigte und Geschriebene hinaus
sich mit dem komplexen Thema der Roma und Sinti, unserer und ihrer Darstellung
und Geschichte auseinanderzusetzen.
Dass die Geschichte nicht nur Geschichte ist im Sinne von vergangen
und überwunden, dass heute noch nicht nur negative Stereotypen
rezipiert werden, sondern aktiv mit Hass und Verfolgung Roma und Sinti
konfrontiert werden, ausgegrenzt, an den Rand gedrängt, niedergehalten,
ist nicht primär dieser "künstlerischen" Tradition
zuzuschreiben, sondern einem rassistischen Verhalten, das von gewissen
Leuten gepflegt und gehegt wird. Erstaunlicherweise vor allem in Ländern
des Ostens, wo für viele Jahrzehnte die völkerfreundliche
Kultur des Kommunismus herrschte. Doch gerade aus Slowenien, Musterneuland
der EU, waren vor kurzem grauslige Hatzen und Vertreibungen von Romafamilien
zu vermelden. Und in der Slowakei, wo an die 300.000 Roma leben, nein,
mehrheitlich unmenschlich vegetieren, kann trotz EU-Spenden keine Verbesserung
der Situation erfolgen, weil die wenigen Gelder wegen der aggressiven
Ablehnung der Bevölkerung nicht eingesetzt werden können.
Dort, wo Roma in neue oder bessere Häuser übersiedelt werden
sollen, können sie nicht, auch wenn die Finanzierungsfrage gesichert
wäre, weil sie es nicht dürfen nach dem Hasswillen lokaler
Bevölkerungen und ihrer aggressiven Ablehnung.
Das lehrt uns in Europa einiges bzw. es sollte uns einiges lehren.
Es ist nötig, diese dreckige Kehrseite nicht zu übersehen,
wenn wir eine authentische Kunstausstellung mit historisch-sozialem
Blick, wie die in Krems, besuchen, um den aktuellen sozialen Blick zu
wagen und ausweiten zu können.
Roma & Sinti
'Zigeuner-Darstellungen' der Moderne
Kooperation
Ethnografisches Museum Budapest
Ausstellungsdauer
17. Juni - 2. September 2007
Ausstellungsort
Kunsthalle Krems, Franz-Zeller-Platz 3, A-3500 Krems
T: (+43-2732) 90 80 10; F: (+43-2732) 90 80 11;
office@kunsthalle.at;
www.kunsthalle.at c
Oberlichtsaal, große und kleine Säulenhalle
Öffnungszeiten
Täglich 10 bis 18 Uhr
Katalog
Roma & Sinti. 'Zigeuner-Darstellungen' der Moderne, 112 Seiten,
€ 19,00
|