Kunstwelt

Haimo L. Handl, 10.6.2007

Kunst sei Leben, hiess es schon früher einmal, und Kunst ist Leben, beweist die hochdotierte Stellung im wirklichen Leben, dem geschäftigen Geschäftsleben. Kunst ist besonderes Leben, weil besonderes Geschäft und dabei noch ein authentischer, ehrlicher Teil des ordentlichen Lebens: hier gelten rigider als in der pseudodemokratischen, mühsam die Umverteilung, Kontrolle und Verwaltung kaschierenden Gesellschaft die Marktgesetze, hier herrscht uneingeschränkter die "Härte des Lebens", hier sorgt eine einfache Dichotomie für Klarheit: Erfolgreiche und andere.
Die Erfolgreichen bedienen den Markt und lassen sich die Beherrschung durch die Marktbestimmer teuer bezahlen bzw. sie werden "adäquat abgegolten". Die nicht Erfolgreichen sind, wie überall, wie immer, die, über die man nicht direkt spricht, die man aber indirekt braucht, so wie das "Gute" nur im Kontrast zum "Schlechten" abhebar ist, so, wie offensichtlich "Gott" seines Antipoden, des "Satans" bedarf. Yang-Yin, Gut-Böse, Hell-Dunkel, Himmel-Hölle, Erfolg-Nichterfolg. So einfach ist das. Und damit die Nichterfolgreichen es nicht vergessen und die Erfolgreichen noch mehr verdienen, veranstalten die Marktherren ihre Märkte: wie es sich gehört, dem alten politischen Vorbild entsprechend "national" in Venedig, weltoffen "international" in den Hochburgen der Geschäftskunst, in Kassel (documenta) in den jährlichen Grossmessen der Grossgeschäftskunstverwalter (USA, Europa).

Weil Kunst so ein gutes Geschäft ist, weil sie so tief und innig wie nie zuvor in den Markt integriert ist, zumindest die Kunst, von der wir reden, und das ist die "bestimmende", profitable, teure Kunst (wer kümmert sich schon um Anderes?), zeichnet sich ein Grossteil dieser produzierten und gierig konsumierten Kunst durch gewisse Rezeptionsqualitäten aus.

Wir leben in einem globalisierten Kapitalismus. Das ist so klar, dass man es kaum mehr zu erwähnen sich traut. Weite Teile der Kulturproduktion, besonders in der "darstellenden Kunst" gerieren sich als Dokumentation, Spurenlese, Indizienfeststellung, Rapport, Bericht. Eine Buchhalterkultur, die sich nicht nur um Zahlen kümmert. Eine Reportkunst, die im Zuge des Rapportierens sich in die Rolle des Herolds begibt, und daher für das Berichtete als Dargestelltes keine Verantwortung trägt, ähnlich jener Autoren, die als Nichtautoren Nichttexte als Texte liefern in unserer neuen Verantwortungskultur. Der Hang, nein, der Zwang zum Dokumentarischen zeigt ein Dilemma, das in der Kunstgeschäftswelt als Qualität verkauft wird, weil es ein Bedürfnis nach Authentizität befriedigt, das die anderen Einrichtungen und Abrichtungen der Gesellschaften nicht frei Haus liefern. Hier, in der Kunstwelt darf so getan werden, als sei man gebildet, kritisch, kreativ. Und da es allen Beteiligten Geld bringt, muss es wohl stimmen.

Die diesjährige Biennale in Venedig steht unter dem Motte des US-amerikanischen Yale-Professors Storr "Denke mit den Sinnen - fühle mit dem Geist". Die grosse Mehrheit ist begeistert über diesen Appell und fühlt geistig, denkt sinnlich. Jene, die ihren aufmerksamen Blick nicht nur auf solche Nationalkunstjahrmärkte werfen, finden die Gültigkeit der verwegenen Erkenntnis auch im anderen, ebenfalls authentischen Leben bestätigt. Z.B. im, durch und beim G8-Gipfel. Nicht nur vor einiger Zeit in Genua, nein, besonders jetzt in Heiligendamm. Oder andere Gipfel, z.B. in Davos. Die Devise ist so gefällig und schlüssig, dass nur wenigen auffällt, wie gefährlich alt antizivilisatorisch sie ist.

Denn die maximale Umsetzung dieser Spiesserideologie stellt der Krieg dar. Er ist jenes Exerzierfeld für rabiate Kleinbürger und Mitläufer, das endlich ungehemmte Umsetzung gestattet, Geistfühlen in Reinkultur, Sinnlichkeit der (bedenkenlosen, reinen) Aktion, Feier des Blutes. Gibt es denn was Direkteres, Authentischeres als Krieg?
Nein. Davor warnte der schon lange altmodisch gewordene Freud. Er wusste um die dünne Firnis der Zivilisation. Er betonte die Notwendigkeit, gewisse "Hemmungen" einzubauen, einzuüben, weil ungehemmte Freiheit sich sofort ins Gegenteil niederschlägt, in blanke Barbarei. Der Yale-Professor kennt jedoch nicht nur seine direkte Klientel, seine Auftraggeber, sondern auch das "Volk", an welches der Abglanz seiner Geschäftsveranstaltung zusätzlich verhökert wird. A philosophical touch verleiht Aura. Die dient dem Geschäft. Also drehen wir um und erscheinen wir als Kämpfer der Überwindung der üblichen Trennung von Geist und Körper. Dass hinter dieser Schmalspursicht ein antizivilisatorischer Zug liegt und lauert, verdeckt die vordergründige "Offenheit".

Die Kunstwelt ist so perfekt vergeschäftigt worden, dass ihre Wertstruktur die ganze Kulturlandschaft durchdringt. Kein Staat will sich lumpen lassen und vergeudet Millionen und Millionen für unnütze Museen, die, ähnlich wie früher die Herrschereitelkeit, heute das Profitstreben und den überaus positiven "Image-Transfer" befriedigen, fast alle begrüssen die rational nicht mehr nachvollziehbare Preispolitik und entwerfen immer gefinkeltere Massnahmen zur Preissteigerung und -sicherung. Öffentliche Einrichtungen machen mit, soweit sie es vermögen, und so perpetuieren alle das Kunstgeschäft. Wenn wer nach "Kunst" fragt, ist er "out", weil nicht verständig. Verständige machen mit. Mitmacherkultur.

Die Venediger Veranstaltung mit ihrem alten Nationalvertretungskonzept könnte den Widerspruch zwischen individuellem Künstler und nationalem Anspruch verdeutlichen. Doch die Mitmacher fügen sich ein und verdienen: es geht nicht um die Kunst und den oder die Künstlerin, es geht um den Markt. Der ist eigentlich trans- oder international, aber es erhebt, gerade in unsicheren Zeiten, ihn national einzufärben und auszugeben. Nationalkunst, Nationalkulturen? Dem Geschäft ist alles recht, wenn es Profit erzeugt. Gegenwärtig hilft ihm Nationalismus und Registratur. Nationale Buchhalter in einer globalen Geschäftswelt: wie im Sport (Olympische Spiele), wie in der Wirtschaft, wie in der Politik (UNO).