Kunst(Kassa)sturz

Haimo L. Handl, April 1998


Der Kunstmarkt ist im Vergleich zu anderen, bestimmenden Märkten, auch weltweit gesehen, marginal. Im höchsten Kunsthandelsjahr, 1989, wurde weltweit Kunst für ca. 15 Milliarden US-Dollar umgesetzt; wenig, wenn man das mit den Budgets der Automobilindustrie vergleicht oder Chemie-, Elektronik- und anderer Märkte, die Budgets aufweisen, welche größer sind als die Nationalbudgets vieler Kleinstaaten. Das heißt, Kunst und ihr Markt nehmen einen Platz im öffentlichen Interesse ein, der überproportional zu ihrer Marktsubstanz, zu ihrer Wirtschaftsbedeutung steht.

Für die Investoren und die Vermittler, die Auktionshäuser und wenigen, wichtigen Groß-Galerien ist diese "Nische" jedoch mehr als existentiell: sie ist ein Markt mit hoher Renditeerwartung. Hier kommt zweierlei dem Privatmarkt, dem sich (sogar) staatliche Museen unterwerfen müssen, zugute: einerseits die vorher erwähnte überhöhte Aufmerksamkeit, die (falsche) Aura kultureller Wichtigkeit für Waren, die keine Aura mehr eignen und vermitteln und zweitens, daß viele Staaten direkt die Investortätigkeit steuerlich unterstützen (Absetzungsmöglichkeiten), womit indirekt eben dieser Markt unterstützt wird mit all seinen (Aus)Wirkungen.

Viele Staaten verbessern die Infrastruktur mit öffentlichen Mitteln, welche von wenigen Privaten wirtschaftlich genutzt werden im Gegensatz zur Masse der Kunstbetrachter, der "bloßen" Rezipienten, die höchsten mit Zuschauerzahlen, ähnlich der magischen Einschaltquoten bei den AV-Medien, zur Legitimation und Betriebsamkeit bestimmter Kunst-Kultur-Einrichtungen beitragen. Der eigentliche Kunstmarkt findet aber unter Ausschluß der Rezipientenschar statt; diese wird nur über Spitzen bestimmter Ereignisse und (Trans)Aktionen "informiert". Der Kunsthandel hat es geschafft, nur durch und für eine Elite zu funktionieren. Mit den dadurch aber hochlizitierten Preisen müssen sich auch Vermittlungseinrichtungen wie Museen und kommunale Ausstellungshallen oder Galerien herumschlagen.

Die hohe Preisentwicklung ist ja nicht nur ein bedeutsames Ertragsfeld für kluge Anleger, sondern auch eine Barriere für weniger Vermögende, am internationalen Markt mitzumischen, zu erwerben. Das führt paradoxerweise dazu, daß wegen des florierenden Kunsthandels bestimmte wünschbare, vorstellbare Ausstellungen z.B.. nicht mehr für viele machbar sind; die Leihgebühren sind, falls die Artefakte überhaupt erhältlich wären, zu hoch, die Versicherungsprämien sind ins Astronomische geklettert usw. Der Kreis der prominenten Ausstellungsmacher verkleinert sich, eine neue "Elite" bildete sich heraus. Das alles wird als "Öffnung" und Pluralismus verkauft. Die Öffnung ist eine für den potenten "Konsumenten", der kauft, weniger eine für den Rezipienten. So drastisch war diese Unterscheidung in Konsument (Käufer) und Rezipient (Wahrnehmer, Betrachter) noch nie zu ziehen.

So deutlich wie gegenwärtig war aber Kunst als Kunstmarkt noch nie von Kunst als immaterieller Kultur- und Bedeutungsvermittlung entfernt! Die Obszönität von Auktionskatalogen irgendeines großen Hauses (Christie's, Sotheby's, Semenzato, Finarte, Pitti, Dorotheum, Phillips u.a.) ist nicht mehr zu überbieten. Der Nimbus, es gehe um mehr als Waren, dient, wie der Mythos von der Gewichtigkeit d i e s e r Kultur, dem Geschäft, weniger dem immateriellen Kunstwert, über den die Habenichtse, die Naiven sich noch aufregen oder die Ideologen (vgl. z.B. Grass' Kritik an der deutschen Bundeswehr, die für Ihre Imagewerbung, ähnlich einem Parfumunternehmen, ein bedeutsames Kunstwerk, Guernica von Picasso, verwendete!).

War Kunst jemals ihres immateriellen "Inhalts", Gehaltes wegen in den industriellen Gesellschaften von Bedeutung? Nur ein Naiver würde das bejahen. Das Warenprinzip galt schon lange, nur die Marktentwicklung hatte nicht seit jeher diese Ausmaße angenommen. Doch bei all den Geschäften und Geschäftserlösen könnte man sich vor Augen halten: trotzdem handelt es sich um Kunst, meist um große, bedeutende Kunst. Aber auch wenn es stimmte, wäre das Bild ein verschobenes.

Zur Verwirrung trägt jedenfalls bei, daß jene Waren, die sich so gut verkaufen und verschieben lassen, nicht immer "große", "wichtige" Kunstwerke im früheren, ursprünglichen Bedeutungssinn sind. Das heißt, wenn man diesen Markt genauer ansieht, kommt man unweigerlich zur Erkenntnis, daß es nicht oder nur wenig auf den Artefakt ankommt, ob und wie er sich verkaufen läßt. Die Ware hat keinen inhärenten, fixen Wert, der sich nur steigern läßt. Die Marktwerte werden nach anderen Determinanten und Faktoren gebildet. Das könnte wiederum tröstlich gesehen werden: Kunst ist auch außerhalb dieses Marktes und seiner "Sachzwänge" möglich; ich meine, sie ist auch nötig.