Silvia Grossmanns neue Arbeiten

Haimo L. Handl, 21.11.1996

Fasziniert von der Stadt in ihren vielf"ltigen Erscheinungsformen l"át sich die Knstlerin von Geb"uden und H"fen fr ihre Arbeit inspirieren und schafft Skulpturen, die in manchen Objekten eine Synthese aus Bild, Abbildmontage und Skulptur bilden. Die Verwendung von Fotografie, Papier und Draht als Bau- und Konstruktionselement erzeugt Gebilde, die dem Charakter der Fassade, in welcher viele st"dtische Erscheinungsformen einem gegenbertreten, nahekommen, doch aber eine Eigenst"ndigkeit hier unter Beweis stellen, die wir in der Realit"t natrlich vermissen, weil dort die Fassade eine spezifisch andere Funktion hat.

Die Objekte von Silvia Grossmann stellen insoweit eine Gratwanderung dar, als sie einerseits eben auf die Vorgabe, die Fassade, das Deckbild verweisen, das oft Trugbbild ist, dieses aber konvertieren im erh"hten, verdichteten Artefakt und dabei nicht irgendeine Warheit zutage f"rdern, sondern die Sicht der Knstlerin dar- und bloálegen, die wir als ihre Wahrheit der Dinge annehmen k"nnen.

Das Wesentliche knstlerischer Kreation, die Kreation nicht als isolierter Selbstzweck sondern als Teil, Antwort bzw. Forderung an die Welt, in der die Knstlerin lebt, erf"hrt, und "kommuniziert", beweist sich hier schlssig in den fast zarten, fragilen Objekten, die nie Dekor sind, nicht selbstgengsam einer falschen Utilit"t sich anbiedern, sondern, wegen ihrer Referenz, ihres Ausgangspunktes und ihrer Projektion, eine Verbindung herstellen in dieser Materialisation der Gedankenbilder der Knstlerin.

In Silvia Grossmanns Skulpturen lese ich Geschichten in mehreren Codes. Der Verweis auf die Fassade, der sich selbst widerspricht, indem das Objekt in seiner Formfunktion ber alles Fassadenhafte hinausgeht, bietet sich als Brcke, als Bogen zu Assoziationsketten, welche aus der Materialgestaltung, aus der eigentlichen Formgebung und Formensprache der Knstlerin zu uns sprechen.

Jetzt erweist sich das Leichte, das Verbinden von Abbild und Form als M"glichkeit, ber das Ehemalige hinaus Blicke zu generieren, die vorher unsichtbar verdeckt waren.

Die Allusionen zu Schildern ist nicht zuf"llig. Schild, Schirm bedeuten Abdeckung, Abwehr, Wall, Schutz. Schutz ist vonn"ten, wo Gefahr und Bedrohung herrscht. Die m"gliche T"uschung indizieren Grossmanns Objekte in ihrer Gestaltung: diese "Schilder" sind keine, obwohl sie wie welche scheinen. Nicht nur Sehweisen werden auf den Kopf gestellt, vor allem damit verbundene Denkweisen werden irritiert. Die leise Provokation kulminiert im Nachvollzug der knstlerischen Erfahrung, wie sie in Silvia Grossmanns Artefakten sich artikulieren und dort als Resultat uns entgegentreten.

Die Skulpturen treten nicht nur in Schild- oder Schirmformen auf; "T"nzer", oder "F"cher" evozieren als Objekt und nicht nur vom Titel solche Bilder. Die Vermengung von Fassadenabbilder, genuin eigener Strukturen und solcher Titel birgt einen eigenen Reiz, transportiert eine komplexe Botschaft. Beim Objekt "Kleines Welttheater" mag dies noch deutlicher werden: Referenzen scheinen als Zitat ausmachbar, werden aber durch den neuen Kontext umgewandelt, mit neuem semantischen Gehalt aufgeladen. Was sonst als Form vielleicht vage konnotierte, verbindet sich zum Designat, gewinnt als Bedeutungstr"ger.

Einerseits scheint der Blick auf ein Bild zu fallen, andrerseits dr"ngt sich die r"umliche Gestaltung eigenst"ndig vor. Das Objekt "Mehr Licht" k"nnte fast ironisch gelesen werden, erinnert man sich an die St"dtebaudevise der Sozialdemokraten in den Zwanzigerjahren. Doch die Form, basierend auf dem Symbolverst"ndnis unserer abendl"ndischen Kultur, gibt sich mit solchen kurzgeschichtlichen Verweisen nicht zufrieden, sondern evoziert das Bild gothischer Hochstrebung, konsequenter Zuspitzung und Ausrichtung hin zum Leben, zur Sonne, zum Licht. Hier bndeln sich mehrere Codes, die, weil sie sich nicht widersprechen, einander verst"rken und mit dazu beitragen, die Skulptur, das Objekt als fundiert, schlssig zu erfassen, obwohl es leicht und, wie gesagt, fragil sich uns darbietet. Nicht zuletzt dieses Spannungsverh"ltnis macht die Arbeiten von Silvia Grossmann so aufregend und anregend.