E i n s - nicht verschüttet

Haimo L. Handl, 26.06.1997

In der Österreichischen Galerie im Oberen Belvedere zu Wien fand vom 23. April bis 19. Mai 1991 eine größere Ausstellung mit Werken des Ausland-Österreichers Stefan Eins statt. Eins, der 1978 in dem Stadtteil Bronx, New York, die "Fashion Moda" gegründet hat, untersucht als Konzeptkünstler die Phänomene der Bewegung von Flüssigkeiten in seinen Schüttbildern. Die Wiener Ausstellung zeigte neben den Schüttbildern Werke aus den Jahren 1987 - 1991. Ein Katalog mit Farbabbildungen liegt auf.


Von Zufall und Notwendigkeit spricht Stefan Eins und sieht seine Hauptarbeit als Synthese von Wissenschaft und Kunst: Er überlasse es nicht dem Zufall, er tippe an, bestimme gewisse Bedingungen, nach denen dann aber notwendigerweise bestimmte Prozesse ablaufen: die Resultate sind demgemäß nicht nur "Bilder", sondern Dokumente, heißen "Horseshoe-Krabbe", "Wirbelsäule, Fisch, Flossen", "Tintenfisch" oder sind "pflanzliche Wachstumsmuster" bzw. stellen bestimme Extremitäten, Gesichter usw. dar. Ein Zugang ist wäre über eine Deutungssicht ähnlich dem I Ging möglich...

Eins' Schüttbilder folgen einer alten Tradition und werden nicht origineller in Verbindung mit einem "wissenschaftlichen Programm".

Er sieht seine Arbeit als Beitrag wissenschaftlicher und künstlerischer Art im Bereich der Evolutionstheorie; zugleich stellen seine Arbeiten Zeugnisse einer daraus mitgewonnenen Maltheorie dar. Seine Schüttbilder versteht er demgemäß nicht als willkürliche, sondern als Ergebnisse, die "richtig", also seiner Intention (Programm, Lehre) gemäß "erkannt" werden sollen. Seine Kunst ist keine l'art pour l'art, kein Selbstzweck. Er beansprucht für sie (und sich) die Autonomie, welche aber Wissenschaft, nach unserem gängigen Verständnis, nicht hat. Eins beharrt auf der Unabhängigkeit seiner Kunst, sieht aber die kollektive Einbettung: "No man is an island." So findet er sich in einer Tradition, die er eigenwillig weiterführt, schafft Werke, zu welchen er, oft nachträglich, seine Begriffe findet.

Eins' Schüttbilder sind nicht sein ganzes Werk. Zum Glück, würde ich sagen, denn mich sprechen seine anderen Bilder viel stärker an. Mit seinem Konzept von Wissenschaft und Kunst hab ich Probleme; die Schüttbilder sagen mir wenig, sie "greifen" irgendwie nicht.

Die Haltung eines Publikums, das nicht im Zustand des schaffenden Künstlers war, findet oft als Ersatz den Weg zu "plausiblen" Deutungen; es ist, als halte man es ohne handfeste Interpretation, ohne Vergleich und Angleichung an Bekanntes, Offenbares etc. nicht aus. So, wie spontane Wahrnehmung praktisch nicht möglich ist (wir apperzipieren nie, immer fließt beim Wahrnehmen mehr ein), so verbindet sich im Betrachter die Wahrnehmung von noch so Abstraktem mit Begriffen, mit Einordnungen.

Was für viele Betrachter und Beschreiber Mode ist, nämlich den Artefakt mit den eigenen Vergleichsaugen zu sehen, also nicht Farben und Linien, sondern Muster von Mikroskopaufnahmen, von astronomischen Bildern usw. zu "erkennen", ähnlich den Deutungen, die der "Kundige" im Wurzelstück sieht (Natur als Kunst, Kunst im Auflesen des verborgenen Sinns!), macht Eins zu seiner Methode und vergibt sich was damit. Nicht nur, daß es nicht neu ist. Das wäre kein schwerwiegendes Argument. Ob z.B. ein Max Ernst von Brettstücken Graphitabriebe fertigte und als "Naturgeschichte" ausgab oder Marcel Duchamp im Alltagsgegenstand sein Objekt fand, ready to be placed as art, soll keine Rolle spielen. In der Kunst gibt es keinen Fortschritt.

Aber ich frag mich, weshalb Kunst und Künstler den Rekurs auf die Wissenschaft nötig haben. Weshalb es zu vermengen sei. Welche Tradition dahinter liegt und was davon zu halten ist. Bleibt doch das Phänomen bestehen, daß Wissenschaft, nach unseren Normen zumindest, nach intersubjektiven Kriterien prüfbar und zurückweisbar ist, etwas, was wir für den Kunstbereich aus guten Gründen nicht reklamieren. Die Wertschätzung des Künstlers da Vinci speist sich übrigens auch nicht von seinem wissenschaftlichen Ruhm. Wenn Eins also seine Tätigkeit als Wissenschaft verstanden wissen will, müßte er bereit sein, gewisse Normen zu akzeptieren bzw. Prüfungen, die durchaus zu einer Verwerfung seiner "Hypothesen" führen könnten. Auch wenn Eins diesem Anspruch genügte, stünde er dann vor der Verlegenheit, eine potentiell bzw. möglicherweise entwertete, zurückgewiesene wissenschaftliche Arbeit vor sich zu haben, die aber, gar nicht paradox, künstlerisch nicht korrigierbar, verwerfbar ist.

Man könnte einwenden, die Problematik ergäbe sich nur für den, der für die Wissenschaft eben rigide Kriterien fordere, was nicht sein müsse usw. Aber eine anders verstandene Wissenschaft wäre eben nicht als das anzusehen, was wir als Wissenschaft pflegen. Wir befänden uns im Zirkel. Also doch Kunst mit ganz anderen Freiheitsgraden? Wozu dann der Rekurs? Es geht auch nicht um das Ausspielen einer höher zu bewertenden Wissenschaft versus einer niedrigeren Kunst. Das wäre lächerlich. Es geht um das Verquicken und Wertentlehnen aus beiden Bereichen, das mir müßig und überholt scheint.

Es ist hier leider nicht der Platz, näher auf diese Problematik einzugehen. Auf die prinzipielle Differenz von Wissenschaft und Kunst ging Nietzsche in seiner "Geburt der Tragödie" treffend ein; neuerdings formuliert George Steiner brilliant die Domäne des Kunstschaffens, des Primären ("Real Presences"). Und nicht zuletzt zeigt die Kunsttheorie der Frankfurter Schule, in welcher Tradition die Sicht der "Autonomie der Kunst", ihre Andersheit gegenüber der Wissenschaft, eingebettet ist, auch wenn dies heute oft "unmodern" klingen mag.