Elmar Altvater, Birgit Mahnkopf
Grenzen der Globalisierung
Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft
1. Aufl. 1996
völlig überarbeitete und erweiterte 4. Aufl. 1999
5. Aufl. - 2002 - 600 S. - € 29,80
ISBN 3-929586-75-4
Verlag Westfälisches
Dampfboot
Zitator: "Die Herstellung des kapitalistischen Weltsystems kann
nach 1989 als abgeschlossen gelten. Dennoch geht die Globalisierung
weiter: als Beschleunigung in der Zeit und indem Räume erobert
werden, die vor noch gar nicht langer Zeit dem menschlichen Zugriff
(entzogen) waren: die Meeresböden, die Mikrostrukturen des Lebens
oder die planetarischen Räume unseres Sternensystems. Globalisierung
heißt also, nach den Sternen greifen ... Soziale und ökologische
Grenzen werden globalisierend gedehnt, bis sie durchbrechen - oder (zum
Schutz gegen die Folgen) der Globalisierung befestigt werden."
2. Sprecherin: Soweit die Autoren Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf.
- Wir sind hilflose Zeugen einer ungehemmten, maßlosen Globalisierung,
von deren Folgen wir täglich lesen und hören: von der Armut,
dem Hunger, der Verelendung im Süden; von der Zerstörung der
Natur, und von Arbeitslosigkeit, neuer Armut, Sozialabbau selbst in
den reichen Ländern des Nordens.
1. Sprecher: Ursache dieser katastrophalen sozialen und ökologischen
Folgen ist nach Altvater und Mahnkopf das "kapitalistische Weltsystem":
der seit 1989 global entfesselte kapitalistische Weltmarkt. - Wir haben
die ersten Sätze der Einleitung zu ihrem Buch zitiert und schon
hier wird mancher Leser stocken: "kapitalistisches Weltsystem"?
"Kapitalismus" als Ursache? Sollten die Autoren nicht bemerkt
haben, dass sich Marx im Jahre 1989 vor aller Weltgeschichte blamiert
hat? Haben sich die Autoren von der Geschichte nicht belehren lassen?
Lohnt es sich, solche offenbar unbelehrbaren Linken auf über 600
Seiten zu Wort kommen zu lassen, um sich deren Marxismus einschwätzen
zu lassen? - Und: Produzieren wir die Umweltprobleme nicht höchst
selbst - durch unseren Konsum, durch unseren Abfall? Und sind nicht
die Staaten des Südens selbst die Ursache ihres Elends - durch
ihre Rückständigkeit, durch die Überbevölkerung?
Wozu also die Rede von Weltwirtschaft, Weltmarkt und Kapitalismus?
2. Sprecherin: Die Hungerkatastrophen in der Sahel-Zone haben ihre Ursache
in einer Überweidung und Übernutzung von Steppen und Savannen:
Die Böden werden zerstört, die Wüsten breiten sich aus,
die Bevölkerung ist gezwungen, neue ungeeignete Böden zu übernutzen
und setzt einen Teufelskreis in Gang: Immer mehr Menschen müssen
von immer schlechteren Böden leben - Hunger und Naturzerstörung
steigern sich wechselseitig. Es ist die arme Landbevölkerung des
Sahel, die heute gezwungen ist, in den Steppen ein erbärmliches
Leben zu führen. Denn die kleinen Bauern und Pächter wurden
von den guten Böden verdrängt, weil hier die beiden wichtigsten
Exportprodukte angebaut werden: Erdnüsse und Baumwolle. Sie bringen
Devisen in die armen Staaten des Sahel. - Und weil die Verschuldung
des Sahel seit 10 Jahren immer mehr zunimmt, wurde die Produktion von
Erdnüssen und Baumwolle immer mehr intensiviert und ausgeweitet,
wurden die Kleinbauern in die Steppen abgedrängt. - Die Außenverschuldung
der Sahelländer stieg aber immer mehr an, weil die Agrarpreise
es Weltmarkts konstant niedrig gehalten werden - von den nördlichen
Industrieländern, die den Weltmarkt beherrschen.
1. Sprecher: So ist denn das globale Wirtschaftssystem die Ursache der
sozialen und ökologischen Katastrophe des Sahel. - Aber auch die
Landwirtschaft im Norden zerstört die Böden, wenngleich aus
anderen Gründen.
2. Sprecherin: Die kapitalintensive Agrarindustrie des Nordens ist gekennzeichnet
durch einen großen Einsatz von Monokulturen, von Düngern
und Pestiziden, von Agrarmaschinen und Tierfabriken. Sie sorgen für
eine Schädigung und Vergiftung, für eine Zerstörung der
Böden durch Erosion. - Diese Form der Naturzerstörung ist
eine Folge der Konkurrenz um lokale, regionale und globale Märkte.
Die Konkurrenz zwischen Agrarfabriken bewirkt eine ständige Steigerung
der Produktivität, für immer mehr Agrartechnik und -chemie,
und langfristig: für eine Zerstörung der Natur.
1. Sprecher: In Nord und Süd ist die Ursache der Naturzerstörung
durch die Landwirtschaft also das Weltwirtschaftssystem, nämlich
der Weltmarkt und seine Preise. - Wer das behauptet? Nicht etwa altmarxistische
Wissenschaftler, Gregor Gysi oder Jutta Ditfurth. Sondern: Der "Wissenschaftliche
Beirat globale Umweltschäden" - ein hochkarätiges Expertengremium,
das unsere konservative Bundesregierung berät - und zwar in seinem
Gutachten über das globale Problem der Bodenzerstörung. Der
"Beirat" nennt die Momente dieses ökonomischen Systems:
privater Großgrundbesitz, Konkurrenz, ständige Steigerung
der Produktivität, Dominanz der Agrar-Industrie auf den Weltmarkt
- die unschwer erkennen lassen, dass es sich um das ökonomische
System des Kapitalismus handelt. - Das ganze Gutachten liest sich so,
als wolle es die marxsche Analyse des "Agrar-Kapitalismus"
bestätigen.
2. Sprecherin: Karl Marx beschrieb schon 1848 die Etablierung des Weltmarktes
durch die Bourgeoisie:
Zitator: "Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung
aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen,
alle ... Nationen in (ihre) Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer
Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern
in den Grund schießt ... Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise
der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen
... Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihren eigenem Bilde."
2. Sprecherin: Marx beurteilt diese Entwicklung einerseits positiv:
ungeheure Produktivkräfte werden in der gesellschaftlichen Arbeit
freigesetzt und zwar in aller Welt. Andererseits sieht er bereits die
negativen Folgen für die Natur, und von den sozialen Gestehungskosten
solchen Fortschritts handelt sein Werk ohnehin.
1. Sprecher: Heute nun - so die Analyse von Elmar Altvater und Birgit
Mahnkopf - ist der Kapitalismus als Weltsystem an seine Grenzen gestoßen:
Der seit 1989 entfesselte Kapitalismus betreibt eine beschleunigte Globalisierung,
die in die ökologische, und in eine soziale Katastrophe - in Nord
und Süd -, führen muss, wenn die sozialen und natürlichen
Grenzen missachtet werden. - Die Autoren suchen darüber hinaus
nach einem Weg, nach einer Entwicklungsalternative, die das ökonomische
System - entgegen seiner zerstörenden Dynamik - davon abhalten
kann, seine Grenzen zu überschreiten. - Deshalb der Titel des Buches:
"Grenzen der Globalisierung". - Wir zitieren:
Zitator: "Es soll damit angedeutet werden, dass das globalisierende
Modell einer Durchkapitalisierung der Welt nach menschlichem Ermessen
... in die Katastrophe führt und dass es daher darauf ankommt,
das Bornierte des Entwicklungsmodells herauszuarbeiten. Mehr nicht,
aber auch nicht weniger ... Es müsste möglich sein, mit den
Methoden der Wissenschaft ... ausfindig zu machen, wo das Schild Bis
hierher und nicht weiter' aufgestellt ist, um ... Alarmlichter anzuschalten
und zugleich alternative Entwicklungsbahnen zu weisen."
2. Sprecherin: Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf lehren Politikwissenschaft
in Berlin und namentlich Altvater hat eine Reihe wichtiger Studien vorgelegt:
etwa zur "Armut der Nationen", zum "Sachzwang Weltmarkt"
oder zum "Preis des Wohlstands".
1. Sprecher: Hierzulande wird die Bevölkerung recht hart auf das
Problem der Globalisierung gestoßen: Produkte aus aller Herren
Länder strömen auf den deutschen Markt: T-Shirts aus Thailand,
Trauben aus Chile, Autos aus Japan, PCs aus den USA. Die globale Konkurrenz
ist in jedem Kaufhaus mit Händen zu greifen. - Politiker und Industrievertreter
sagen den Menschen - die es nicht eben gern hören -, um in dieser
globalen Konkurrenz bestehen zu können, hätten sie sehr viel
bescheidener zu werden: Weniger verdienen, mehr arbeiten, weniger Urlaub,
seltener krank werden. Der Sozialstaat sei zu teuer, der Standort in
Gefahr. Und so reden nicht nur deutsche Politiker zu Deutschen. In allen
Industrieländern müssen sich die Beschäftigten Lohnkürzungen
und einen Abbau der Sozialleistungen gefallen lassen. Die Globalisierung
gerät weltweit zu einem Totschlagargument. Dem "Sachzwang
Weltmarkt" kann sich anscheinend niemand entziehen.
2. Sprecherin: Die Globalisierung ist in ihrer Unausweichlichkeit und
überwältigenden Kraft erst nach dem Kollaps der Realsozialismus
öffentlich und virulent geworden. Zuvor vermochte die Bipolarität
der Welt vor allem im Süden, aber auch im Norden, noch ausgleichend
zu wirken, indem sie die kapitalistischen Prinzipien moderierte.
Zitator: "Der Kapitalismus kann sich sozusagen ungeschminkt den
Völkern präsentieren. Kein Systemwettbewerb' zwingt
mehr zu sozialpolitischen Leistungen, die ... die Hektik des Marktes
im Zaum hielten."
2. Sprecherin: Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es auf dem Globus
des Kapitals keine weißen Flecken mehr, auch keine roten Flächen,
an deren Mauern der "freie" Weltmarkt endete. Die Prinzipien
der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sind universal wirklich
geworden.
1. Sprecher: Wie die Rede von der "Neuen Weltordnung" zeigt.
Insofern hat die weltgeschichtliche Entwicklung Marx' frühe Analyse
vollkommen bestätigt. - Indes - Altvater und Mahnkopf sehen nicht
nur Positives im Untergang des Realsozialismus:
Zitator: "(Die sozialistische Alternative') eröffnete
einen Aktionsspielraum für alternative Projekte, für eine
sozialpolitische Bindung der kapitalistischen Dynamik. Die Existenz
des sozialistischen Lagers bot einzelnen Ländern die Chance für
Strategien (der Selbständigkeit), der Suche nach afrikanischen',
lateinamerikanischen' oder asiatischen' Sozialismen."
1. Sprecher: Die beiden Autoren haben in großer Distanz zu den
realsozialistischen Systemen gedacht und dürfen wohl der Tradition
eines westlichen, liberalen Marxismus zugerechnet werden.
Zitator: "(Die Sozialismen) diskreditieren fast immer die sozialistischen
Vorstellungen von Marx und Engels ... Sie hatten jedoch eine beträchtliche
Bedeutung für die Entwicklung des globalen Systems."
1. Sprecher: Und - was für Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf die
wichtigste Folge zu sein scheint:
Zitator: "Mit dem Verschwinden der sozialistischen Alternative'
geht die Vision einer globalen Alternative überhaupt verloren."
1. Sprecher: Und das hat insbesondere für die Völker der sog.
Dritten Welt eine immense Bedeutung: In Indien leben 40% der Bevölkerung
in absoluter Armut. Sie sind also nicht imstande, auch nur ihre physischen
Bedürfnisse zu befriedigen, also: Essen, Trinken, Kleidung, Wohnung
oder Heizung. Ihnen fehlt es an Lebensnotwendigem; die Folgen: Hunger,
Krankheit, ein früher Tod. - In der Volksrepublik China finden
wir nur etwa 5% der Bevölkerung in solcher Armut. Wie man sieht,
ist es mit einer abstrakten Entgegensetzung von Demokratie und Diktatur
nicht getan. - Es ist zu hoffen, dass China mit einer wünschenswerten
demokratischen Öffnung nicht auch die Verelendung der Völker
des Südens nachholen wird.
2. Sprecherin: Die Debatte um das angebliche "Ende der Geschichte"
- so Altvater/Mahnkopf - zeigt, welche Bedeutung die bloße Existenz
des Realsozialismus in der westlichen bürgerlich-demokratischen
Welt gehabt hat.
Zitator: "(Er verbürgte) die Erinnerung daran, dass es jenseits
des Markts durchaus alternative Entwicklungsmöglichkeiten geben
kann, dass also Geschichte offen und nicht beendet ist, dass die Gegenwart
nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat."
1. Sprecher: Vielen Vertretern linker Intelligenz ist diese Erinnerung
nach 1989 abhanden gekommen. Sie vollzogen ihre persönliche Wende,
oft mit verblüffender Schnelligkeit und geistiger Gelenkigkeit.
Was umso peinlicher wirkt, als ja die Probleme des kapitalistischen
Weltsystems nicht kleiner geworden, sondern im Begriffe sind, sich global
ins Maßlose zu steigern. - Worauf übrigens der römische
Papst zu wiederholten Malen hingewiesen hat.
2. Sprecherin: Der Untergang des Realsozialismus hat die USA in den
Stand gesetzt, als Hegemonialmacht eine unipolare Weltordnung herzustellen.
In ihr nun beobachten die Autoren eine Entfesselung des Kapitalismus,
die sie mit dem Begriff "Entbettung" bezeichnen. - Die Entbettung
im Raume bringt die Prinzipien des Kapitals in die letzten Winkel der
Erde und in alle Bezirke der Materie. - Die Entbettung in der Zeit hat
eine rasende Beschleunigung der Entwicklung zur Folge, die die geschichtlich
gewachsenen Gesellschaften und Lebenswelten der Menschen zerstören
muss.
1. Sprecher: So schafft sich der entbettete Kapitalismus global den
ihm gemäßen, gleichförmigen Raum. Er macht Ungleichzeitiges
gleichzeitig und bringt das scheinbar Antiquierte in seiner globalen,
einheitlichen Zeit zum Verschwinden. - Der Schluss der beiden Autoren:
Die kapitalistische Globalisierung ist zum ersten Mal surreal:
Zitator: "Surreal ist sie, weil (die Globalisierung) außerhalb
jeder Kontrolle durch unsere Vernunft, ohne Berücksichtigung von
Ästhetik und Moral stattfindet."
2. Sprecherin: Sodann ist sie absurd, weil der Prozess der Globalisierung
überhaupt nicht zum Stillstand kommen kann.
Zitator: "Ist die Globalisierung erst einmal in der Reichweite
der Marktagenten, dann muss sie nachgerade zwanghaft immer schneller
und immer weiter ausladend fortgesetzt werden. So wie (der Philosoph)
Günther Anders schrieb: bis dass der Mensch selbst zu einem Antiquitätsstück
in einer auf den Kopf gestellten Welt geworden ist."
1. Sprecher: Welches sind nun die besagten Marktagenten, die Akteure
einer entbetteten Globalisierung? Es sind - dem Buch "Grenzen der
Globalisierung" zufolge - nicht die produzierenden und konsumierenden
Menschen, nicht die Nationen, nicht die Staaten. Akteure der Globalisierung
sind vielmehr die internationalen Konzerne und Banken.
2. Sprecherin: Die Autoren sprechen von einer "Entbettung des Geldes"
im Rahmen der entfesselten Globalisierung - was nicht ohne Folgen bleiben
kann. Denn das Finanzsystem zwingt zur Erwirtschaftung von Zinsen.
Zitator: "D.h. es zwingt zur Akkumulation, zur Produktion von Profit
und daher zur Produktivitätssteigerung, zur Beschleunigung - und
alle diese erzwungenen Antworten sind ohne Naturverbrauch auf stets
höherem Niveau nicht zu haben."
1. Sprecher: Die Billionen Dollar, die an den internationalen Finanzmärkten
von den Großbanken bewegt werden, sind nur z.T. zur Finanzierung
von Welthandel und Investitionen erforderlich. Ein riesiger Anteil dient
der Spekulation und ist - so betont insbesondere Elmar Altvater immer
wieder - eine ständige Bedrohung einer stabilen Weltwirtschaft.
2. Sprecherin: Die Finanzmärkte bezeichnen die Autoren als Knoten
im globalen kapitalistischen Netz. Nicht nur die großen Märkte
wie New York oder Tokio sind von enormer Bedeutung, auch kleine Plätze
wie Luxemburg oder die Cayman-Inseln.
Zitator: "Sie haben auch dazu beigetragen, dass die globalen Ungleichheiten
... in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen haben. - Dass die deutschen
Direktinvestitionen auf dem afrikanischen Kontinent geringer sind als
auf den kleinen Cayman-Inseln in der Karibik, ist ein Indiz für
die neuen ... Tendenzen der Exklusion ganzer Kontinente aus dem formellen
Marktgeschehen."
1. Sprecher: Die nationale Herkunft der transnationalen Unternehmen
ist heute fast bedeutungslos - ein Zufall der Geburt. Ihre Produkte:
Computer aus Japan, Bananen aus Mittelamerika, Fernsehserien aus Hollywood
sind da und nur das allgegenwärtig, wo sich die Kaufkraft konzentriert.
Hier konkurrieren europäische, amerikanische und japanische Fahrzeuge
mit Wagen aus Korea und Malaysia, bald auch aus Indien und China. Sie
allesamt sind Produkte großer internationaler Konzerne. - In den
armen Gesellschaften dagegen, findet man sie kaum. Hier laufen auch
heute noch viele Frauen meilenweit für ein Bündel Brennholz.
Zitator: "Die Zugriffsmöglichkeiten auf alles das, was auf
diesem Globus bereitgestellt wird, (haben) allerdings nur jene, die
über D-Mark, Yen, Schweizer Franken oder Dollar verfügen;
eine Mehrheit der Weltbevölkerung mit schwacher Währung ist
davon ausgeschlossen."
2. Sprecherin: Diese Mehrheit zählt zu den Opfern der entbetteten
Globalisierung: Der Abstand zwischen dem reichsten Fünftel der
Menschheit und dem ärmsten Fünftel hat sich in 30 Jahren verdoppelt.
Waren die ärmsten Staaten um 1960 30mal ärmer als die Industrieländer,
so ist dieser Abstand heute auf das 60fache gewachsen.
1. Sprecher: Wie schon angedeutet, besorgt die entbettete Globalisierung
auch in den nördlichen Ländern soziale Verwerfungen: Löhne
werden gekürzt, Sozialsysteme demontiert, die Tarifautonomie wird
beschnitten.
2. Sprecherin: Auch die Natur zählt zu den Opfern eines entfesselten
Kapitalismus, der für ihre globale Zerstörung sorgt. Die wichtigsten
Umweltprobleme seien hier nur genannt: Die Klimaveränderung, der
Ozonabbau, die weltweite Bodenzerstörung und die globale Waldvernichtung.
1. Sprecher: Alle Tendenzen, Kräfte und Probleme der Globalisierung
werden zusammengeführt in dem zentralen V. Teil des Buches, der
überschrieben ist: "Globus und Planet". Hier konfrontieren
die Autoren den entfesselten, globalisierenden Kapitalismus mit seinen
Wirkungen: mit der Verelendung von Menschen und ganzen Gesellschaften,
mit der Zerstörung der Natur. Damit aber muss die Globalisierung
Gegenkräfte freisetzen, die sie begrenzen werden.
2. Sprecherin: Die enorme Dynamik des Kapitalismus hat entscheidend
zu seinem Sieg im "Kalten Krieg" beigetragen. Eigentlich,
meinen Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf, könnte die bürgerliche
Gesellschaft nunmehr in sich selbst ruhen. - Indes ...
Zitator: "Anstatt zu ruhen, ist ihre globalisierende Dynamik ...
ungebrochen. Der von der "Logik des Geldes" angetriebene kapitalistische
Markt ... (kann nicht) zu jener Ruhe gelangen, die allein die soziale
und ökonomische Globalisierung angesichts der begrenzten ökologischen
Tragfähigkeit der Erde erträglich machen würde."
1. Sprecher: Wie konnte es zu der globalen Naturzerstörung kommen,
zu der die Menschheit jahrtausendelang gänzlich außerstande
war?
Zitator: "Erst mit der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert,
also vor etwa 200 Jahren, als die Ernte des unterirdischen Waldes'
begonnen wurde und Kohle und Kohlen' mit der europäischen
Rationalität einen Dreierbund zur Umwälzung der Welt eingingen
- vor historisch sehr kurzer Zeit also -, konnte die theoretische Schrankenlosigkeit
des kapitalistischen Systems sozusagen praktisch werden."
1. Sprecher: Wir sind nun bei dem "Gelenkglied" des Buches,
bei der zentralen Analyse, angelangt. Das Kapitel trägt den Titel:
"Prometheische Revolutionen" in der Geschichte. Hier fassen
die Autoren die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte in den Blick,
um ihren Gang bis zur heutigen entfesselten Globalisierung verständlich
zu machen. - Darüber hinaus aber versuchen sie aus dem bisherigen
Verlauf der Geschichte, auf zukünftige Entwicklungen zu schließen
und diese in ihrer Notwendigkeit darzustellen. - Ein nicht unbescheidenes
Vorhaben also, das aber - wenn es gelingt - von großer theoretischer
und praktischer Bedeutung sein kann.
2. Sprecherin: Die "prometheischen Revolutionen" sind nach
der mythischen Gestalt des Prometheus benannt, der den Menschen das
Feuer brachte - eine neue Form des Energiegebrauchs also - und ihnen
dadurch einen technischen Sprung ermöglichte. - Wir kennen zwei
prometheische Revolutionen in der Menschheitsgeschichte: die industrielle
im 18. Jahrhundert und die "neolithische" Revolution; den
Übergang von dem Nomadentum der Jäger und Sammler zum Ackerbau
und zur Sesshaftigkeit in der Jungsteinzeit. - Altvater und Mahnkopf
bestimmen das Wesen der prometheischen Revolution so:
Zitator: "Dabei handelt es sich um jene radikalen Veränderungen
in der Menschheitsgeschichte, in denen nicht (nur) ... die soziale Organisation
eine andere ablöst, sondern auch das Energiesystem (und damit)
das gesellschaftliche Naturverhältnis' revolutioniert, die
Humangeschichte der Natur' neu geschrieben werden. ... Das Kennzeichen,
ja Definitionsmerkmal einer prometheischen Revolution ist die Fähigkeit,
die Energieeffizienz beträchtlich zu erhöhen ... und auf der
Basis dieses Überschusses auch den sozialen und kulturellen, den
ökonomischen und politischen Evolutionsprozess anzutreiben."
2. Sprecherin: Durch ihre Agrikultur gelang es der neolithischen Gesellschaft,
die Sonnenenergie einzufangen und so die eingesetzte Arbeitsenergie
zu vervielfältigen. Für technische Prozesse nutzte man die
Wärmeenergie des Holzes und der Wasserkraft.
1. Sprecher: Die Agrargesellschaft hatte also die solare Energie zu
ihrer Grundlage; sie arbeitete mit erneuerbaren Rohstoffen und überlastete
die Regenerationsfähigkeit der Natur in der Regel nicht. Der Anstieg
der Produktivität vollzog sich nur langsam, ebenso die Vermehrung
gesellschaftlichen Reichtums.
2. Sprecherin: Der solaren Agrargesellschaft entsprach das System des
Feudalismus und in den Städten ein frühes Bürgertum,
das Träger von Handwerk und Handel war. In den Städten auch
entstand seit dem Hochmittelalter ein früher Kapitalismus.
1. Sprecher: Im 18. Jahrhundert dann die zweite prometheische Revolution:
Die Dampfmaschine ermöglichte die Nutzung von Kohle, also von fossiler
Energie. Diese sprunghafte Erhöhung der Energieeffizienz ermöglichte
eine enorme Steigerung der Arbeitsproduktivität, die Entwicklung
des neuen Systems industrieller Technik - und die ihr angemessene soziale
Organisation: die kapitalistische bürgerliche Marktgesellschaft
- die heute global entfesselt und universal geworden ist. Wir lesen:
Zitator: "Mit der Industriegesellschaft bildet sich die totalisierende
wissenschaftlich-technische Zivilisation' heraus, die sich zwischen
Mensch, Gesellschaft und Natur ausbreitet, sie einzieht und beherrscht."
1. Sprecher: Hier begegnet uns innerhalb einer Analyse, die dem Denken
von Karl Marx verpflichtet ist, die heideggersche Bestimmung der Technik:
Sie war einmal ein Instrument in der Hand des Menschen, ein Mittel der
Verwirklichung menschlicher Ziele. Diesen Charakter hat - so Heidegger
- die moderne Technik, die Kraftmaschinentechnik, längst verloren:
Sie umfasst heute Mensch und Natur und hält sie in ihrem Griff.
Sie lässt die Erde "veröden" und die Menschen ihr
Wesen verlieren. - Zwei Schüler Heideggers - Günther Anders
und Hans Jonas - haben diesen Technikbegriff für das Verständnis
der atomaren Drohung und der Zerstörung der Natur fruchtbar gemacht.
2. Sprecherin: Die Dynamik der Entwicklung ist nach Altvater und Mahnkopf
begründet durch die kapitalistische Markt- und Geldwirtschaft:
Sie sorgt - auf der Basis fossiler Antriebsenergie - für eine permanente
Steigerung der Produktivität, für einen ständigen Umsturz
der Produktions- und Lebensverhältnisse, und das in immer kürzeren
Abständen und mit immer größerer - heute globaler -
Reichweite. Diese Modernisierungsprozesse haben eine beschleunigte Differenzierung
zur Folge: eine ständig vertiefte Arbeitsteilung, eine Fragmentierung
und Individualisierung der Industriegesellschaften.
1. Sprecher: Und eine sich gleichfalls beschleunigende Vernutzung und
Zerstörung der Natur. - Die Kennzeichen oder Wesensbestimmungen
der Industriegesellschaft: Sie beruht nicht mehr auf solarer, sondern
auf einer begrenzten fossilen Energie. Sie verbraucht zumeist nicht-erneuerbare
und nur begrenzt verfügbare Rohstoffe, und überlastet alle
Ökosysteme. - Die ständige Steigerung der Produktivität
vermehrt den Reichtum der Industriegesellschaften in einem Maße,
das früheren Epochen unvorstellbar war. - Die Reichweite des Industriesystems
ist heute global, was die Gesellschaft, und planetar, was die Natur
betrifft. Aber eben damit stößt es an seine Grenzen: Es beginnt
sich erneut ein Umschlag abzuzeichnen.
Zitator: "Es ist völlig klar, dass die industrielle Revolution
ihr Maß an den erschöpflichen Beständen von Ressourcen
und Senken des Planeten Erde ... findet."
2. Sprecherin: Die Agrikultur brauchte Jahrtausende um langsam zu entstehen
und sich zu entwickeln, und zuletzt durch die kapitalistische Agrarindustrie
ersetzt zu werden.
Zitator: "Die industrielle Revolution wird allenfalls wenige hundert
Jahre benötigen, um mit dem Ende der fossilen Energien unterzugehen.
Es sei denn, es wird ein post-industrieller Ausweg gefunden. ... Der
Ausweg kann (aber) auf der allgemeinsten Ebene nur durch eine erneute
prometheische Revolution markiert werden, die jene Schranken, an die
die industriell kapitalistische Revolution gestoßen ist überwindet."
1. Sprecher: Diese neue prometheische Revolution muss die sozialen und
ökologischen Verheerungen des Kapitalismus aufheben: Dies kann,
meinen Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf, nur der Übergang in
eine postindustrielle, solare Gesellschaft leisten. Womit natürlich
nicht bloß die Verwendung von Solartechnik gemeint ist.
2. Sprecherin: Die solare Gesellschaft muss die Sonnenenergie in ihren
verschiedenen Formen zur Grundlage machen. Zugleich darf sie nur erneuerbare
Rohstoffe verarbeiten; nicht zuletzt, um die natürlichen Systeme
des Planeten nicht zu überlasten. D.h. aber auch: Die Produktivität
der solaren Gesellschaft wird sich in ökologisch vertretbaren Grenzen
halten. - Der gesellschaftlich erarbeitete Reichtum muss global allen
Gesellschaften zugute kommen, um die skandalöse Verelendung des
Südens und die sozialen Probleme des Nordens aufzuheben. - Schließlich
soll die gesellschaftliche Reichweite global bleiben, aber durch regionale
Kooperation und lokale Netze ergänzt werden. U.a. um eine unabhängige
Entwicklung und die Ungleichzeitigkeit der Gesellschaften wiederherzustellen.
1. Sprecher: Der Übergang zur globalen Gesellschaft kann der Menschheit
- über das pure Andauern der Gegenwart hinaus - wieder eine Zukunft
geben. Und er ist die reale Bedingung einer humanen Zukunft, da sie
die Menschheit aus der entgrenzten Dynamik eines Mensch und Natur zerstörenden
Kapitalismus befreit. -
Es ist unschwer zu sehen, dass dieser große Entwurf sich einem
dialektischen Denken verdankt, das von den Problemen unserer Zeit angetrieben
wird: Die Solargesellschaft enthält die positiven, zukunftsmächtigen
Züge der prä-neolithischen, agrarischen und fossil-industriellen
Gesellschaft in sich. Sie hebt beide Gesellschaftsformen auf und bewahrt
sie zugleich als Momente:
2. Sprecherin: Der sparsame Umgang mit den natürlichen Ressourcen,
eine geringere Produktivität, die Verallgemeinerung der Produkte
gesellschaftlicher Arbeit, die geringere Reichweite sind Merkmale der
prä-neolithischen und der Agrargesellschaft. - Zugleich hebt sie
die positiven Momente der fossilen Gesellschaft in sich auf: so die
Globalität oder auch die Möglichkeiten der Befriedigung physischer
Bedürfnisse durch ein produktives, jedoch nicht zerstörendes,
solares Industriesystem.
1. Sprecher: Mit einem Begriff von Hegel und Marx ist der Übergang
zur solaren Gesellschaft die "Negation der Negation": Er negiert
das kapitalistische Industriesystem, das ja selbst als Negation der
Agrargesellschaft entstanden ist. Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf
zeigen also, dass das dialektische Denken auch heute Einblick geben
kann, in das, was ist, und in das, was an der Zeit ist; dass es Vergangenheit
und Gegenwart analytisch erschließen, und die Notwendigkeiten
der Zukunft offen legen kann. Die Autoren haben, insbesondere mit dieser
Analyse, ein Niveau erreicht, das in sozialwissenschaftlichen Studien
nicht leicht zu finden ist. Dialektisches Denken erhebt bei Hegel und
Marx den Anspruch, die Geschichte der Vergangenheit, den Zustand der
Gegenwart und das Wesen der Zukunft in ihrer Notwendigkeit zu erfassen.
Diesen Anspruch relativieren die Autoren: Sie weisen ausdrücklich
darauf hin, dass die Zeittendenzen nur schwer einzuschätzen sind
und die Gefahr falscher Schlüsse groß ist. Einiges sei hier
noch angedeutet:
2. Sprecherin: Die Autoren analysieren das Scheitern der "nachholenden
Industrialisierung": Die südlichen Länder brauchen zu
ihrer Entwicklung Kredite und um deren Zinsen bedienen zu können,
müssen sie exportieren. Das degradiert sie zu Rohstofflieferanten
der Industrieländer.
1. Sprecher: Diese Logik des globalen Systems ist eine Ursache des weltweiten
Hungers. - Denn die Rohstoff- und Agrarpreise des Weltmarkts sind so
niedrig, dass ihr Niveau als ein Verbrechen an den Völkern des
Südens bezeichnet werden muss. - Dennoch sind die nördlichen
Industrieländer nicht bereit und in der Lage, Abhilfe zu schaffen.
Vielmehr ergreifen sie harte Maßnahmen, um den globalen Status
quo aufrecht zu erhalten.
Zitator: "Der plutokratische Lebensstil wird also militärisch
(Stichwort: Weltpolizei), politisch (Asylrechtsänderungen), ideologisch
(Wohlstandschauvinismus) und karitativ (Hungerhilfen)gegen die Zumutungen
der aus dem Industriemodell Ausgeschlossenen verteidigt, wenn die ökonomischen
Sachzwänge nicht mehr wirkungsvoll genug sein sollten."
2. Sprecherin: Auch in den nördlichen Industrieländern stößt
die Entwicklung des Systems an ihre Grenzen: Eine Steigerung des Reichtums,
von Massenproduktion und ?konsum ist nicht länger möglich.
Eine Massendemokratie gründet sich jedoch auf ein Fundament des
Wohlstands. Was aber, wenn er in Zukunft nicht mehr garantiert wird?
Zitator: "Da Demokratie nur auf einem Mindestniveau von Wohlstand
Chancen der lebendigen Entfaltung besitzt, verkümmert sie darunter
zu autoritären Mustern der direkten Repression oder des teilnahmslosen
Zerfalls von politikverdrossenen' Gesellschaften."
1. Sprecher: Welcher Weg führt durch die Krise der Globalisierung
hin zu einem Übergang in die solare Gesellschaft? Die Autoren schlagen
drei Instrumente vor:
2. Sprecherin: Zunächst muss der Kapitalexport besteuert werden,
um im Norden Arbeitsplätze zu sichern und im Süden eine unabhängige
Entwicklung von Wirtschaftsregionen zu ermöglichen. Die Erträge
dieser Steuer sollen in die Länder des Südens fließen.
- Zugleich ist die Arbeit finanziell zu entlasten und die Arbeitszeit
zu verkürzen; sodann soll der Energieverbrauch durch eine Steuer
belastet werden. - Der Effekt: Die Produktivität sinkt, die Massenproduktion
wird reduziert, eine Nachfrage nach Arbeitskraft entsteht.
1. Sprecher: Internationale Studien - so die Autoren - haben gezeigt,
dass die drei Instrumente wirksam sein können. Und: Wir müssen
handeln, und zwar noch ehe uns die Katastrophen erreichen:
Zitator: "Die Globalisierung als eine Durchkapitalisierung der
Welt ... einfach sich selbst, d.h. den großen ökonomischen
Mächten transnationaler Unternehmen und global agierenden Banken
zu überlassen, würde allerdings auf eine ... soziale und ökologische
Katastrophe hinauslaufen. Also bleibt nur die Perspektive der gesellschaftlichen
Regulation der globalen Prozesse in Politik und Wirtschaft."
1. Sprecher: Die Akteure des globalisierenden Weltmarkts sind bekannt:
Industriekonzerne und Banken. Wer aber können die Träger des
Wandels sein, die Akteure der Regulation und Begrenzung? Die Autoren
scheinen ihre Hoffnung vor allem auf die neuen sozialen Bewegungen und
auf die freien, internationalen Umwelt- und Dritte-Welt-Organisationen
zu setzen. sie sind sich natürlich bewusst, dass es diesen Akteuren
heute an Einfluss fehlt. Gleichwohl: Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf
haben ein wichtiges Buch vorgelegt. Es ist unverzichtbar für alle,
die sich kritisch mit den globalen Problemen unserer Zeit befassen.
Zitator: "Die ungestüme Globalisierung hat also am Ende der
Geschichte keine "Wüste Gobi" hinterlassen: Es gibt Oasen.
Und es gibt Perspektiven alternativer Entwicklung, die keine fata morgana
sind. Man kann sie analytisch herausfinden, aber nur praktisch (erproben)."
Von Klaus Werry in: Am Abend vorgestellt (WDR3) vom 25.09.1996
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