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Dienstag, 12. Oktober 1999
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NZZ Tagesausgabe

Neue Zürcher Zeitung NEUE LITERATUR/HERBST 99 Dienstag, 12.10.1999 Nr. 237  92 / B18

Weltrepublik als realistische Vision

Otfried Höffes «Demokratie im Zeitalter der Globalisierung»

Von Georg Kohler

1795, im Anhang der Abhandlung «Zum ewigen Frieden» - diesem bis heute inspirierend gebliebenen Entwurf einer auf Zivilität und Recht gegründeten Weltordnung - zeigt Kant, warum sich seine so utopisch anmutende Philosophie friedlicher Erdpolitik auch mit dem Realitätssinn nüchterner «Staatsleute» vertragen kann - und muss: Der «ewige Friede», seine Vorstellung einer auf Gerechtigkeitsprinzipien beruhenden, nach geregelten Verfahren geschehenden Selbststeuerung der globalen Menschheit, sei erstens «keine leere Idee» und menschenmöglich. Zweitens bilde diese - wie gesagt: grundsätzlich wirklichkeitsfähige - Konzeption eine vernunftnotwendige Zielsetzung und damit die primäre Handlungsvorgabe für jede politische Praxis. Erst nach der Ausrichtung des Tuns durch die Vernunft und im Rahmen der so vorausgesetzten Verbindlichkeiten könne die pragmatische Klugheit von Politikern und Juristen zum Zuge kommen.

    Bevor man nicht weiss, was überhaupt (normativ-konstruktiv) richtig ist, kann gar nicht überlegt werden, wie das am besten institutionalisierbar ist. Der praktische Verstand folgt dem vernünftigen Ideal, nicht umgekehrt. Sonst verliert alles den Sinn. Das gilt bis heute.

    Deshalb operiert auch Otfried Höffe auf dieser Basis, wenn er in seinem neuen Buch, die kantischen Intentionen erneuernd, die Architektonik einer normativen Theorie der Weltpolitik umreisst. «Demokratie in Zeiten der Globalisierung» ist ein umsichtiges, exakt aufgebautes und, bei aller argumentativen Sorgfalt, kühnes Buch, das nicht weniger als die Legitimität und die institutionellen Grundzüge einer künftigen Weltrepublik zum Gegenstand hat. Gewiss kein zeitgeisteifriger Fast-food-Essay, sondern ein Stück gründlicher Philosophie, lohnt es Seite für Seite die konzentrierte Lektüre.

    Höffes Gedankengang und Erkenntnisinteresse ist ausdrücklich geführt von einer aktuellen und nur scheinbar selbstverständlichen Prämisse: «Die Globalisierung soll nicht mit einer politischen Regression, dem Abbau der Demokratie bezahlt werden.» Da aber die gesellschaftlichen Wirklichkeiten der Gegenwartsmoderne in vielen Bereichen und auf die verschiedenste Weise Kräfte freigesetzt haben, die sich nicht mehr im Rahmen der einzelnen Demokratien bearbeiten lassen, also ein «Handlungsbedarf» entstanden ist, der «sich nicht an Staatsgrenzen hält», kann die Antwort auf das Problem, wie die demokratische Ordnung realitätsmächtig bleiben soll, nach Höffe nur lauten: als globale Demokratie, das heisst als eigentliche Weltrepublik mit eigenen öffentlichen Gewalten und letzten Souveränitätsrechten.

Ausweitung auf planetarisches Niveau

    Wer es ernst meint mit dieser Behauptung, steht vor einem Heer von Einwänden und Rückfragen. Das Buch weicht ihnen niemals aus; Schritt für Schritt erkämpft es sich die Berechtigung zu seiner konstruktiven Absicht: dem einleuchtenden Modell einer weltstaatlichen Struktur. Dabei gliedert sich der Argumentationsweg in drei grosse Abteilungen. Unschwer lässt er sich auf das alte Schema dialektischer Erörterung beziehen. Der These folgt die Antithese, darauf die Synthese.

    Nach der einleitenden differenzierenden Bestimmung dessen, was unter «Globalisierung» zu verstehen ist (nämlich ein vielfältiger Zivilisationsvorgang, der keineswegs nur unter marktökonomischen Hinsichten zu diskutieren ist), formuliert Höffe die fundamentale normative Ausgangsthese: Nötig ist die Errichtung einer Rechtsordnung im Rahmen zwangsbewehrter Staatsgewalt, die an Menschenrechte und Demokratie gebunden ist. Diese einfache Feststellung wird auf nahezu 200 Seiten legitimationstheoretisch anspruchsvoll entwickelt. Ihr Zentrum bildet ein Begriff «qualifizierter Demokratie», der nicht nur zwischen der Legitimation des Rechts und derjenigen des Staates (der «öffentlichen Gewalt») genau unterscheidet, den Gehalt von «Demokratie» festlegt, die kriterialen Gerechtigkeitsprinzipien entfaltet und konstruktionsleitende Konzepte wie «Subsidiarität» und «Föderalismus» klärt, sondern gleichfalls soziale Voraussetzungen gelingender Rechtsstaatsgemeinschaftlichkeit wie «Solidarität» und «Bürgertugend» behandelt.

    Wichtig ist dabei die schon auf dieser Argumentationsstufe unternommene Verteidigung des nach wie vor notwendigen Rechts auf Einzelstaatlichkeit, dessen Merkmale Höffe in seiner Kategorie des «aufgeklärten Nationalstaates» zusammenfasst.

    Der zweite, ungefähr 100 Seiten starke Teil registriert die faktische Verlegenheit, in die uns der Standpunkt der Gerechtigkeit konsequenterweise bringt, und zwar unter einem doppelten Gesichtspunkt. Erstens ist im Grunde immer schon (also z. B. bereits im 18. Jahrhundert zu Kants Zeiten) rechtsethisch gesehen unstreitig, dass «überall, namentlich auch zwischen den Staaten, die Herrschaft partikularer Gewalt gebrochen» werden muss, Recht, Gerechtigkeit und Demokratie daher nicht nur territorial begrenzt gelten dürften. Zweitens unterstützt in der Gegenwart ein realistisches Argument die obige, «idealistische» Forderung: Der durch «Globalisierungen» entstandene Handlungsbedarf, der von einer tatsächlichen, wenngleich nicht vollständigen Entmachtung der Einzelstaaten begleitet ist, verlangt ebenfalls die Ausweitung des demokratischen Rechtsstaatskonzeptes auf das planetarische Niveau: «Zum Zweck kollektiver Handlungsfähigkeit braucht es einen demokratischen Weltstaat: eine Weltrepublik.»

Ein nötiges und mögliches Ziel

    Höffe weiss natürlich, wie radikal und wirklichkeitsfremd sein Postulat erscheint. Deshalb beschäftigt er sich ausführlich mit den denkbaren Antithesen und Einwänden. In einer interessanten Debatte prüft er insbesondere die Positionen des politikwissenschaftlichen (Neo-)Realismus, des «neuen Institutionalismus» (Keohane, Rittberger u. a.) und die der Demokratisierungstheorie (die fortschreitende Demokratisierung der Staatenwelt Frieden stiftet, da «Demokratien keine Kriege gegeneinander führen»).

    Weil aber keine dieser Gegenkonzeptionen das rechtsethische und handlungspraktische Defizit in Sachen globaler Ordnungspolitik zu beheben vermag, beharrt er auf der Vernunftnotwendigkeit eines wirklichen Weltstaates. Allerdings in sehr moderierter Form: als föderaler und subsidiärer Weltbundesstaat, der aus den Einzelstaaten besteht und sich allmählich aus den existierenden internationalen Organisationen und Vertragsverhältnissen auf- und ausbauen lässt.

    Schon im zweiten und vor allem im dritten Teil des Buches (auf zusammen knapp 150 Seiten) liefert Höffe zum Schluss die Darstellung dieser Idee, die zwischen fundamentalphilosophischer Zielsetzung, operativer Umsetzung der normativen Vorbildgestalt in wirklichkeitsmächtige Institutionen und zivilisationsdiagnostische Berücksichtigung gegebener Entwicklungschancen vermittelt. Er skizziert mit einiger Präzision seine «komplementäre Weltrepublik», die den letzten Garanten des Völkerrechtsschutzes, des Welt-Bürgerrechts und einer sozialen und ökologischen Weltmarktordnung bildet.

    So endet das Ganze verhalten optimistisch; der vorgelegte Entwurf wird vom Verfasser selbst als «realistische Vision» bewertet. Denn «über den bleibenden Defiziten darf man das schon Erreichte nicht übersehen, und dieses spricht per saldo eher für einen Fortschritt als einen Rückschritt: Die Vereinten Nationen beispielsweise haben zwar ihr selbstgesetztes Ziel, den globalen Rechtszustand, nicht annähernd erreichen, den Gegensatz, einen internationalen Naturzustand, aber ausdrücklich verwerfen können. Und obwohl vieles im trockenen Versichern und in der Schein- Wirklichkeit pathetischer Manifeste stehenbleibt, lässt sich nicht leugnen, dass in anderen Hinsichten der zwischenstaatliche Naturzustand mehr und mehr verabschiedet wird.»

    Höffes ausserordentliches Buch ist ein bedeutender Beitrag zu einer der wichtigsten Problemstellungen am Beginn des neuen, von «Globalisierung» geprägten Jahrhunderts: Wie das Politische auf Weltebene zu institutionalisieren ist, wenn wir seine stets mögliche andere Seite, den blutigen und glücksfeindlichen Welt-Bürgerkrieg, verhindern wollen. Mag man auch skeptisch bleiben, Höffes Argumente sind nicht einfach zu entkräften.

    Otfried Höffe: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung. Verlag C. H. Beck, München 1999. 465 S., Fr. 62.-.

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