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Montag, 9. Februar 1998

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NZZ Monatsarchiv

Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 07.02.1998 Nr. 31  45

«Globalisierung» als Metapher

    Im «Punkt Omega» erreicht der Weltprozess, wie der jesuitische Priester und spekulative Naturwissenschafter Teilhard de Chardin ihn imaginierte, seinen Mittel- und Höhepunkt: Die kosmologische Evolution, durch das Erwachen des menschlichen Geistes zu Bewusstsein und also zu sich kommend, mündet in ein mystisches Finale, in die spirituelle Verschmelzung der Individuen zu einem «Ultra-Ego» jenseits aller Egoismen. - Auf dem Weg zur Vergeistigung des sozio- ökologischen Superorganismus Erde wird die «Globalisierung» eine, vielleicht die entscheidende Etappe gewesen sein: Das dramaturgische Update des Programms der Geistwerdung stammt von Leonardo Boff, dem brasilianischen Befreiungstheologen, der von «Rom» nicht minder beargwöhnt wird, als Teilhard de Chardin es bei Lebzeiten wurde. Boff entwarf seine kosmo-politische Vision vor den Augen und Ohren derer, die am vergangenen Mittwoch abend - sehr zahlreich - in die Basler Elisabethenkirche gekommen waren, um, nicht ohne eine gewisse, ortsbedingte Andächtigkeit, die «Denkanstösse» zu empfangen, die eine neue Vortragsreihe zu geben verspricht. Ins Leben gerufen worden ist sie von der Stiftung «Mensch, Gesellschaft, Umwelt» (Universität Basel) sowie der «Novartis-Stiftung für nachhaltige Entwicklung».

    Der Armenpriester als - vom Paulus zum Saulus regredierter - Bauchredner des Kapitalismus? Das nicht. Sondern: «Globalisierung» als Metapher - als Chiffre für das, was aus der Grenzenlosigkeit werden könnte, wenn sie denn einmal nicht mehr von den Hegemonialmächten des Marktes und der Wirtschaft bestimmt würde: eine weltweite Solidargemeinschaft nicht nur aller Menschen, sondern alles dessen, was da kreucht und fleucht. Im politischen Streit um Worte ist das, so will es scheinen, ein doppelt kluger Zug. «Globalisierung» wird «positiv besetzt», aber so, dass die kritische Stossrichtung - gegen die «globalitären» Tendenzen des ungezügelten Verwertungsimperativs - erhalten bleibt: Wer «Globalisierung» sagt, sagt auch «Menschheit»; wer «Menschheit» sagt, muss auch «ethische Globalisierung» wollen, nicht nur ökonomische. - Wie stets aber, wenn eine Weltanschauung durch eine andere - und dann noch so breitflächig - übermalt wird, stellen sich Fragen nach der Vereinbarkeit der Prinzipien. Wenn «Kooperation» und «Solidarität» den Weltprozess - eigentlich - steuern, wieso hat sich dann im weiten Feld des Übergangs von der Natur zum Geist, in der Soziosphäre sozusagen, das Prinzip «Konkurrenz» festsetzen und breitmachen können? Ist Konkurrenz das schlichte Gegenteil der Kooperation, oder ist sie ihre Vorstufe? Ist sie gar ein Moment der Kooperation? Oder - diabolische Verkehrung - ist die Kooperation lediglich eine Form der Konkurrenz?

    Wie kühles Kalkül und Menschenfreundlichkeit auf verwirrende Weise ineinandergreifen können, hat der Abend in der Elisabethenkirche erkennen lassen: Um eine Spende (ortsüblich: Kollekte) für das von Leonardo Boff in Rio de Janeiro betreute Strassenkinder-Projekt gebeten, sah das Auditorium sich zugleich von der Aussicht angespornt, dass «Novartis» den aufgehäuften Betrag verdoppeln werde. Hat das Gefühl für Verantwortung und Solidarität den Griff ins eigene Portemonnaie gelenkt, oder war es ein «niederer» Impuls, einer, der den globalen Spieler (vielleicht auch für lokale «Fouls»?) «strafen», ihm möglichst viel abmarkten wollte?

    Am Ende, wird man sagen können, haben alle etwas davon gehabt: Leonardo Boff und die Strassenkinder, das Auditorium und auch der globale Spieler, der, wiewohl nur nebenbei und «symbolisch» (Stichwort «peanuts»?), etwas für die Transfiguration der ökonomischen in eine «ethische» Globalisierung getan hat. Die Frage freilich bleibt: Ist eine solche wechselseitige Instrumentalisierung ein Zeichen der Kooperation oder eines der Konkurrenz? Gewiss ist es ein Indiz für gewachsene Komplexität. Im evolutionären - und irgendwie «katholischen», nämlich schlechthin alles integrierenden - Welt-Bild Boffs gilt die Zunahme von Komplexität als Hoffnungsschimmer: wir halten, gleich wie, auf den Punkt Omega zu.

Uwe Justus Wenzel

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