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Dienstag, 12. Mai 1998

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NZZ Monatsarchiv

Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Dienstag, 12.05.1998 Nr. 108  46

Demokratie und Globalisierung

Ein Symposion in Basel

    Nicht in der Form der klassischen philosophischen Motive, des Geistes, der Moral, des Rechts oder der Demokratie, sondern als wirtschaftlicher Wettbewerb: gleichsam über das schnöde Geld scheint Globalität real zu werden. «Demokratie, Zivilgesellschaft und Globalisierung», das Thema des diesjährigen Symposions der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft in Basel, bezeichnete diesen Vorgang wirtschaftlicher Vernetzung als Problem für die bestehenden Strukturen sozialer und politischer Integration. Inwiefern unterläuft die sich globalisierende Wirtschaft zumal die liberaldemokratische Politik des territorial beschränkten Rechtsstaates? Inwiefern wird die Logik der globalen Wirtschaft dadurch zur Bedrohung, dass sie sich der Politik aufdrängt, Staaten in «Steuerkonkurrenz» zueinander bringt und dadurch die Mechanismen sozialstaatlicher Umverteilung unter Druck setzt - um so mehr, als ja das neoliberale Mehr an Konkurrenz fusionsbedingt durch ein Weniger an Konkurrenten konterkariert zu werden scheint?

    In der Auswahl der Referierenden trug die Philosophische Gesellschaft der Interdisziplinarität des Themas Rechnung. Ökonomischerseits waren durchaus positive Bewertungen der wirtschaftlichen, politisch unkontrollierten Machtbildung zu hören. Man nahm kein Blatt vor den Mund. Zumindest aber sei die unter Bedingungen der Steuerkonkurrenz notwendige Senkung der Staatsquote das geeignete Mittel, die «Nachfrage nach Arbeitslosigkeit» zu senken (mit einem Stichwort gesagt, das Franz Blankart der Diskussion zulieferte).

    Selbst wenn die globale Wirtschaft die nationalen sozialstaatlichen Umverteilungsmechanismen nur zugunsten eines gewissen globalen Ausgleiches unter Druck setzen sollte, stellt sich doch die Frage, welche rechtlichen, politischen oder gar sozialen Integrationsformen die Wirtschaft in die Grossräumigkeit zu begleiten vermögen - nicht zuletzt, um den versprochenen globalen Ausgleich durch die Verhinderung von Sozialdumping erst zu ermöglichen. Der Staatsrechtler und Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde dämpfte gleich am Anfang der Veranstaltung Hoffnungen auf eine demokratische «Transnationalisierbarkeit» der Politik. Der Ort politisch legitimer Macht bleibe der Nationalstaat. Denn nur durch den Demos, das Volk, sei staatliche Macht zu kontrollieren. Demos hinwiederum sei eine Gruppe von Menschen nie in der Eigenschaft ihrer Menschlichkeit schlechthin, sondern stets als eine besondere Gruppe in Abgrenzung von anderen. «Relative Homogenität», ein ethnisch, kulturell oder sonstwie exklusives «Kollektivbewusstsein», konstituiere das Volk als Volk, was, so die provokative These, die Integration der anderen unter die Bedingung der «Einordnensbereitschaft» stelle. Dieses Konzept wird, um das mindeste zu sagen, dort problematisch, wo die «Einordnensbereitschaft» nicht nur das Bekenntnis zum formalen Prozeduralismus demokratischer Willensbildung und zu einer menschenrechtlichen Grundordnung verlangt, sondern sich auf die Übernahme kulturspezifischer Werthaltungen erstreckt. Andererseits aber entschärfte Böckenförde diese Konsequenz seiner Analyse, indem er als möglichen Grund des Zusammenhalts auch eine «Toleranzkultur» zuliess. Das Postulat der «Homogenität» des Demos wird zumindest in diesem Fall eigentlich überflüssig.

    Grenzen, die die Strukturen des «Wir-Bewusstseins» dem Projekt transnationaler Integration setzen, wusste auch der in Genf lehrende Philosoph Kevin Mulligan aufzuweisen. Eine Analyse des Wörtchens «wir» führte ihn auf einen Staatsbegriff, für den «kollektive Intentionalität», eine traditionsgestützte und als Zivilgesellschaft interpretierbare «nostrologische Einstellung», als Vertrauensbasis Voraussetzung ist. Dem «Belgischen Kaiserreich» - dem laufenden Projekt europäischer Integration - fehlt, so das Resultat einer Anwendung des sprachanalytischen Befundes, mit der Vertrauensbasis zugleich die Legitimität.

    Steht aber die Schweizerische Eidgenossenschaft nicht wenigstens für die Möglichkeit einer nichtexklusiven politischen Integration differenter Kulturen, Traditionen und Sprachgruppen? Verschiedentlich wurde die Schweiz quasi als Modell der europäischen Integration bezeichnet - in den Tagungsdiskussionen wie vor einiger Zeit auch schon von Jürgen Habermas. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die politische Integration der Schweiz von einer zivilgesellschaftlichen Ebene «intermediärer» Gruppen, «Klubs und Klüngel» gestützt sei. Eine gewisse Ironie ergab sich diesbezüglich allerdings mit Blick auf die Basler Veranstaltung selbst. Zur Integration des Heterogenen, zur Herstellung einer übergreifenden Öffentlichkeit hat diese Tagung der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft jedenfalls wenig beigetragen: Zumal die Philosophie der suisse romande war, bis auf eine Ausnahme, schlichtweg absent.

Hans Bernhard Schmid

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