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SZ vom 19.04.1999

Der militärische Pazifismus

Über den postnationalen Krieg / Von Ulrich Beck

Was ist das Kosovo-Drama – ein Krieg, ein Nicht-Krieg, ein undefinierbarer Krieg? Meines Erachtens erleben wir zur Zeit die Geburt eines postnationalen Krieges. Alles, was die Nato-Angriffe auf Jugoslawien so verwirrend (il)legitim macht, kann leicht zur Normalisierung einer neuen Art des Krieges im globalen Zeitalter werden. Postnational ist dieser Krieg (und damit nicht mehr in der Clausewitzschen Begrifflichkeit zu fassen), weil er weder im nationalen Interesse – „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ – ausgetragen wird, noch aus alten Rivalitäten mehr oder weniger verfeindeter Nationalstaaten heraus verstanden werden kann. Es ist vielmehr genau umgekehrt das globale Aufweichen der nationalstaatlichen Souveränitätsordnung, die Schwächung, ja Barbarisierung des Staates, welcher sich der Vertreibung und des Völkermords an seinen Bürgern schuldig macht, sowie der Glaube an die Zivilität stiftende Moral der Menschenrechte, was den Kosovo-Krieg „postnational“ macht. „Krieg ist Frieden“ (Orwell).

Tatsächlich kommt der postnationale Krieg mit einem Umsturz klassischer Unterscheidungen zwischen Krieg und Frieden, zwischen Innen und Außen, Angriff und Verteidigung, Recht und Unrecht, Mörder und Opfer, Zivilgesellschaft und Barbarei auf die Welt.

Die Fortsetzung der Moral . . .

In dem von den Vereinten Nationen herausgegebenen „Report of the Commission on Global Governance“ wird dargelegt, daß die Politik supranationaler Organisationen nicht nur das Management wirtschaftlicher Globalisierung beabsichtigt, sondern es dabei wesentlich auch darum geht, eine neue Ethik globaler Demokratie und Menschenrechte durchzusetzen. Viele mögen das für Wortgeklingel gehalten haben. Doch die amerikanische Außenministerin Albright („Menschenrechte und Außenpolitik“) läßt keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit zu: „Die Unterstützung von Menschenrechten ist nicht nur eine Art von internationaler Sozialarbeit. Sie ist unerläßlich für unsere Sicherheit und für unser Wohlergehen, denn Regierungen, die die Rechte ihrer eigenen Bürger mißachten, werden wahrscheinlich nicht die Rechte eines anderen respektieren. In diesem Jahrhundert wurde praktisch jeder größere Akt internationaler Aggression von einem Regime ausgeführt, das politische Rechte unterdrückte. Solche Regime lösen wahrscheinlich auch eher Unruhe aus, indem sie Minderheiten verfolgen, Terroristen Unterschlupf gewähren, Drogen schmuggeln oder im Geheimen Massenvernichtungswaffen bauen.“ (in: Amerika-Dienst 25, 1998, S. 2)

Da bekanntlich der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert ist, gilt es frühzeitig zu fragen: Welche Schattenseiten einer solchen Verbindung von globaler Ethik und Politik sind heute schon absehbar? Welche Alpträume werden mit dem Traum von der friedlichen Weltbürgergesellschaft auch wahr? Mit dem Ausbruch des Kosovo-Krieges wird dies klarer: Es entsteht eine neuartige, postnationale Politik des militärischen Humanismus – dem Einsatz transnationaler Militärmacht mit dem Ziel, der Beachtung der Menschenrechte über nationale Grenzen hinweg Geltung zu verschaffen. Die gute ist die schlechte Nachricht: Die hegemoniale Macht bestimmt, was Recht, was Menschenrecht ist. Und Krieg wird zur Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln. Gerade deswegen wird es um so schwerer, der Eskalationslogik des Krieges einen politischen Riegel vorzuschieben.

„Deutschland ist von Freunden umzingelt“, sagte der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe, nach dem Ende der militärischen Konfrontation in Europa. Das Gefühl des Umzingeltseins bringt die Paradoxie der Bedrohung nach dem Wegfall derselben auf den Punkt, die den Westen beschlichen hatte. Kein Zweifel, die plötzlich feindlosen Demokratien des Westens, verantwortlich zugleich für innere und internationale Regulierungen im Rahmen nationaler und supranationaler Institutionen (wie Europa, Nato und Vereinte Nationen) bedürfen neuer, sie erneuernder Quellen der Legitimation. Diese müssen sie in die Lage versetzen, im Zeitalter der Globalisierung Rechtfertigungen für Aktivität und die Selbstdarstellung von Erfolgen zu schaffen.

Um es ganz vorsichtig auszudrücken: Der militärische Humanismus, welchen der Westen mit dem Eintreten für Menschenrechte auf seine Fahnen geschrieben hat, füllt dieses Vakuum bilderbuchartig aus, indem er den feindlosen Institutionen eine kosmopolitische Mission verschafft hat.

Es ist wohl nicht übertrieben, von demokratischen Kreuzzügen zu sprechen, in denen der Westen in Zukunft auch um die Erneuerung seiner Selbstlegitimation fechten wird. Am Kosovo-Krieg kann man erkennen, wie wirkungsvoll dabei den verbliebenen Pazifisten ihre Argumente im Munde umgedreht werden. Und dies hat viel mit dem Epochenunterschied zwischen dem Clausewitzschen und dem postnationalen Krieg zu tun.

Dieser Unterschied betrifft zunächst die Art der Akteure. Postnationale Kriege entstehen aus dem Zerfall oder der Erosion staatlicher Strukturen und nicht etwa, wie Clausewitz unterstellt, aus der Konfrontation expansionslüsterner Staaten. Dieser Zerfall staatlicher Macht hat viele Ursachen und Symptome: Enttäuschung über Sozialismus und Kapitalismus, Despotismus, Korruption, wirtschaftlicher Zusammenbruch, die Entstehung paramilitärischer Gruppen – in Jugoslawien etwa das Wüten der berüchtigten „Tiger“ unter der Leitung des Serben Arkan oder der „Tschetniks“ unter der Führung des extremen Nationalisten Seselj. Arkan war eine bekannte Figur des Belgrader Untergrunds; er besaß eine Kette von Eiscafés, in denen auch Drogen verkauft wurden, bevor er vom jugoslawischen Militär angeheuert wurde, um „ethnische Säuberungen“ zu exekutieren.

Auch die Kriegsziele widersprechen dem nationalen Interessenkalkül. Postnationale Kriege entzünden sich an einer nach innen gewendeten Identitätspolitik – der Eroberung des staatlichen Machtapparates durch partikulare Gruppen, die sich auch „kulturelle Identität“ (ethnisch, rassistisch, religiös, sprachlich) gegen andere abgrenzen und diese mit staatlich-militärischen Mitteln „ausgrenzen“ (im wörtlichen Sinne des Wortes). Es geht also nicht um Expansion oder geostrategische Interessen, wie Clausewitz unterstellt. Es handelt sich um die Fortsetzung von ethnischen Konflikten mit anderen, mit staatlich-militärischen Mitteln. Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zur organisierten Kriminalität, nicht zuletzt auch um die Raub- und Mordzüge paramilitärischer Gruppen zu finanzieren. Weil das Ziel oft die Destabilisierung und Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen ist und nicht die Unterwerfung eines klar definierten Gegners, sind die Nebeneffekte klassischer Kriege zum eigentlichen Ziel der Kampfeinsätze im postnationalen Krieg geworden. Die an Menschenrechten orientierte Politik des Westens gerät so oder so in die Not, unentscheidbare Entscheidungen treffen zu müssen. Überall ist von Alternativlosigkeit die Rede. Was also sind die Alternativen?

Eine Antwort auf postnationale Kriege läuft darauf hinaus, diese wie Clausewitz-Kriege zu behandeln und anzunehmen, daß die kriegerischen Fraktionen, wenn nicht Staaten so doch Quasi-Staaten repräsentieren, um auf diese Weise ein Verhandlungslösung „von oben“ herbeizuführen. Beispiele dafür sind die Abkommen von Dayton (in dem Bosnien besiegelt wurde) und von Oslo (mit dem der Frieden zwischen Israelis und Palästinensern eingeleitet werden sollte). Die andere Alternative ist, das interne Völkermorden innerhalb „souveräner Staaten“ als Rückfall in die barbarische Vormoderne anzusehen, an welcher die Ansprüche der Menschenrechte abprallen. So rechtfertigt sich die Politik der Nicht-Intervention – kombiniert mit dem Bau von Festungsmauern, um Europa vor diesem ein für allemal „blutrünstigen Balkan“ zu schützen.

Beide Antworten sind vor allem eines: unrealistisch. Die Verwechslung der nationalen mit der globalen Epoche führt zu ungerechten und vorübergehenden Waffenstillständen, wobei mit dem immer nächsten Kriegsausbruch die Legitimität und Glaubwürdigkeit internationaler Institutionen zu Bruch gehen. Im zweiten Fall wird der transnationale Charakter der neuen Kriege verkannt. Zuschauen ist auch deswegen nicht möglich, weil Flüchtlingsströme, transnationale Kriminalität oder auch die Diaspora-Volksgruppen im eigenen Land dies nicht zulassen. Es ist paradoxerweise genau dieses Dilemma –Wegschauen macht ebenso schuldig wie Eingreifen –, welches postnationale Kriege in Zukunft möglich, wirklich, am Ende vielleicht sogar normal werden läßt.

. . . mit kriegerischen Mitteln

Im Zuge der neuen westlichen Politik ethischer und wirtschaftlicher Globalisierung werden die Souveränitätsrechte der nationalstaatlichen Moderne entkernt und dem Zugriff „globaler Verantwortung“ geöffnet. Gerade weil das weltweite Einklagen von Grundrechten hoch legitim ist und entsprechende Interventionen, wie im Kosovo, als selbstlos gelten, bleibt oft unerkannt, daß sie sich deswegen auf das wundervollste verzahnen lassen mit den altmodischen Zielen imperialistischer Weltpolitik (das Ausspielen der Vereinten Nationen, Mentoren- und Klientenbeziehungen). Während es nach innen hin zugleich gelingt, Bühnen und Rollen zu schaffen, die es „lahmen Enten“ – Politikern und Militärs – erlauben, sich im Glanze neuer Aktivität und Legitimität zu sonnen: Die Themen der globalen Zivilgesellschaft (auch das ist eine Paradoxie) und des Pazifismus versorgen nicht nur den global agierenden Westen mit dem ideologischen Rüstzeug für militärische Interventionen. Man könnte sogar von der Wunderpille militärischer Pazifismus sprechen, an der kränkelnde und strauchelnde Politiker genesen können. Für einen Sozialdemokraten ist es vielleicht sogar leichter, dem Nato-Bombardement Ex-Jugoslawiens zuzustimmen, als sich auf die Socken zu machen, um endlich – wie verkündet – die Arbeitslosigkeit zu senken und die Renten zu reformieren.

Der militärische Pazifismus, die neue Mischform von humanitärer Selbstlosigkeit und imperialer Machtlogik wird vorbereitet, normalisiert und generalisiert durch Entwicklungen, die man als Globalisierungszirkel kennzeichnen kann: Mit der Erosion territorialstaatlicher Macht schlägt die Stunde der „globalen Verantwortung“. Globalisierung (in welchem Sinne auch immer verstanden) schwächt nationalstaatliche Souveränität und staatliche Strukturen. Der Zusammenbruch nationalstaatlicher Institutionen hat sogar in den neunziger Jahren zu den wirklich schweren menschlichen Tragödien und Kriegen geführt, zuletzt in Ex-Jugoslawien, zuvor schon in Somalia, Westafrika sowie in Teilen der ehemaligen Sowjetunion. Ähnliches droht nun mit der Finanzkrise in Südostasien, beispielsweise Indonesien. Auch wenn die Schwächtung der staatlichen Zentralmacht nicht alleine oder primär auf die neuen Einflüsse globaler Märkte zurückgeführt werden kann, so zeichnet sich doch ab, daß auf diese Weise ein verdecktes staatliches Macht- und Legititmationsvakuum verschärft werden oder offen hervorbrechen kann. Dies schließt ein, daß nationalstaatliche Kompromisse zwischen ethnischen Gruppen ihre Bindekraft verlieren und die latent gehaltenen Konflikte sich am Ende in „Bürgerkriegen“ entladen.

Da sich dies jedoch vor den Augen der Weltöffentlichkeit vollzieht, stellt sich immer wieder das Dilemma – Eingreifen oder Wegschauen –, und der militärische Pazifismus des Westens gerät auf die schiefe Ebene. In einem Weltsystem schwacher Staaten, wie es im Zuge neoliberaler Weltpolitik propagiert und geschaffen wird, steht dann einem imperialen Mißbrauch der kosmopolitischen Mission nichts mehr im Wege. Das will – heute – niemand.

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