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SZ vom 08.02.1999

35. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik

Nato hält an Option auf atomaren Ersteinsatz fest

Bonn kann sich mit Forderung nicht durchsetzen / US-Verteidigungsminister: Verzicht wäre strategischer Fehler

kit München (Eigener Bericht) – Die von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) begonnene Diskussion über den Ersteinsatz von Atomwaffen scheint zumindest vorerst beendet zu sein. Auf der 35. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik nahm der Minister am Wochenende Abstand von seiner Forderung, den Verzicht auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen der Nato in der neuen Strategie der Allianz festzuschreiben. Statt dessen plädierte Fischer dafür, „die Frage der heutigen Rolle und zukünftigen Bedeutung einzelner Aspekte des Nuklearen offen und vorurteilsfrei nach dem Washingtoner Gipfel“ zu diskutieren. Dazu solle ein „Prüfauftrag“ erteilt werden. Auf dem Treffen im April will die Allianz über ihre neues strategisches Konzept entscheiden.

Rückendeckung erhielt Fischer von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der die Diskussion bei seinem ersten Auftritt an der Isar als „legitim“ bezeichnete, allerdings einräumte, daß sie auf dem Gipfel „keine große Bedeutung“ haben werde. US-Verteidigungsminister William Cohen hingegen nannte schon allein das Nachdenken über eine entsprechende Änderung der Nato-Doktrin „einen strategischen Fehler, der unsere Sicherheit gefährden würde“. Auch der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble sagte, er sehe keinen Grund, an der Nato-Strategie zu rütteln. Am Samstag hatte die SZ berichtet, die US-Regierung habe jüngste Äußerungen Schröders mit Mißfallen registriert und den Kanzler davor gewarnt, über die Ersteinsatz-Option weiter öffentlich zu diskutieren.

Einig waren sich die mehr als 200 Experten aus Politik, Wirtschaft und Militär, daß Europa in einer neuen Nato mehr Verantwortung übernehmen müsse. Dazu gehört nach Ansicht Schröders „die Ausgestaltung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität“. Die EU habe jetzt in der Währungs- und Handelspolitik eine „Telephonnummer“, sagte Fischer, dies müsse auch für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp) gelten. Fischer wiederholte seinen Vorschlag, den Hohen Vertreter für die Gasp auch zum Generalsekretär der Westeuropäischen Union zu machen. Schröder forderte dazu auf, die Zusammenarbeit in der europäischen Rüstungsindustrie zu forcieren. Franzosen, Briten und Deutsche sollten dabei vorangehen. Dasa-Chef Manfred Bischoff regte gemeinsame Beschaffungsprogramme der Nato an, auch über den Atlantik hinweg.

Deutlich wurde aber auch, daß Europa trotz der Suche nach Eigenständigkeit auf die amerikanische Sicherheitsgarantie nicht verzichten will. „Die politische und militärische Präsenz der USA in Europa ist auch in Zukunft entscheidend für die Gewährleistung von Sicherheit auf unserem Kontinent“, sagte Außenminister Fischer.

Daß Moskau sich mit der Nato-Erweiterung noch nicht abgefunden hat, bewies der stellvertretende Außenministers Jewgenij Gusarow. Der Beitritt Polens, Ungarns und Tschechiens werde der Sicherheit in Europa abträglich sein. Unverändert gültig sei das Prinzip der „roten Linie“: eine Nato-Mitgliedschaft von Nachfolgestaaten der Sowjetunion sei „unzulässig“. Gusarow warnte die Nato vor Militäraktionen ohne UN-Mandat. Dies könne die „Zerstörung der bestehenden Weltordnung“ bedeuten.

Die Konferenz litt darunter, daß einige amerikanische Senatoren wegen des Impeachment-Prozesses absagen mußten. Im Vorjahr hatten amerikanische Politiker die Konferenz belebt, als sie die Europäer in markigen Worten aufforderten, mehr Geld für die gemeinsame Verteidigung auszugeben. Erstmals stand das Münchner Treffen unter der Leitung des ehemaligen Kanzler-Beraters und jetzigen BMW-Vorstandsmitglieds Horst Teltschik. Der 58jährige folgt Ewald von Kleist, der die vormals Wehrkundetagung genannte Konferenz ins Leben gerufen und 34mal organisiert hatte. (Seite 4)

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