DER STANDARD, 09. September 2000 Zurück zur Suche


WEISENBERICHT


Allgemeine Schlussforderungen
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"Die österreichische Regierung hält ihre Verpflichtung auf die europäischen Werte ein"
1. In Bezug auf die Verpflichtung der österreichischen Regierung auf die gemeinsamen europäischen Werte, speziell auf solche, die sich auf die Rechte der Minderheiten, der Flüchtlinge und der Immigranten beziehen.


108 Im Einklang mit unserem Mandat, und auf Basis einer detaillierten Prüfung, sind wir zur Ansicht gekommen, dass die österreichische Regierung ihre Verpflichtung auf die europäischen Werte einhält. Die Beachtung der Menschenrechte durch die österreichische Bundesregierung, insbesondere in Bezug auf die Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und Einwanderern ist nicht auf einem niedrigerem Stand als in den anderen Mitgliedsstaaten der EU. Die juristische Situation in der drei genannten Bereichen ist denen vergleichbar, die in anderen Mitgliedsstaaten der EU angewandt werden. In manchen Bereichen, speziell in jenen, die die Rechte der nationalen Minderheiten betreffen, können die österreichischen Standards höher als jene betrachtet werden als jene, die in vielen anderen Staaten der EU angewandt werden.


109 Die Regierung hat konkrete Maßnahmen ergriffen um die Einhaltung det gemeinsamen Standards und Werte zu verbessern, z.B durch die Schaffung der Deklaration die von den Führern der Regierungskoalition am 3. Februar 2000 unterzeichnet wurde. Die konkreten, von der Regierung initiierten oder fortgesetzten Aktivitäten zur Bekämpfung des Rassismus, der Xenophobie und des Antisemitismus zeigen, dass sich die österreichische Regierung der konkreten im Land existierenden Probleme bewusst ist. In gleicher weise korrespondiert die Art der Maßnahmen mit den gemeinsamen europäischen Werten, die die Regierung initiiert hat, um eine kritische Analyse der österreichischen Vergangenheit durchzuführen, um gegen Versuche zu kämpfen, das Ausmaß der vom nationalsozialistischen Regime begangenen Verbrechen zu verdunkeln, und um jede Form direkter oder indirekter Diskrimierung oder fremdenfeindlicher Vorurteile zu bekämpfen.


2. In Bezug auf die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ.

110 Es gibt Gründe, aufgrund derer die Beschreibung der FPÖ als populistische Partei mit radikalen Elementen noch immer adäquat ist. Die FPÖ hat xenophobe Gefühle in Wahlkampagnen benutzt. Damit hat sie eine Atmosphäre geschaffen, die offen gegen Ausländer gerichtete Manifestationen in etwas normales verwandelt haben, was starke Beunruhigung hervorrief.


111 Wir denken, dass die österreichische Regierung so aktiv reagieren sollte, wie es der Bundespräsident durch seine Verurteilung xenophober und diffamierender Manifestationen getan hat.


112 Die FPÖ hat Kritiker auszuschalten versucht, indem sie Verleumdungsklagen gewohnheitsmäßig gegen ihre Kritiker eingesetzt hat.


113 Die Minister der FPÖ haben im Allfgemeinen ihre Verpflichtunggen in der Regierung in Übereinstimmung mit den Werten der EU ausgeübt . Es ist nicht auszuschließen, daß im Lauf der Zeit neue Strömungen innerhalb der Partei aufkommen. Die Zukunft wird uns zeigen, ob dies eintritt.


3. In Bezug auf die von den Vierzehn ergriffenen Maßnahmen.

114 Es ist nicht Teil unseres Mandats, uns über die juridische Natur der von den 14 Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen zu äußern.


115 Die Maßnahmen, für die sich die 14 Mitgliedstaaten der EU entschieden, haben die Sensibilität für die die Bedeutung der gemeinsamen europäischen Werte vergrößert, nicht nur in Österreich sondern auch in anderen Mitgliedstaaten. Ohne Zweifel haben im Falle Österreichs die Maßnahmen der 14 dazu beigetragen, dass die österreichische Regierung ihre Anstrengungen intensiviert. Die Maßnahmen haben auch dazu gedient, dass die Zivilgesellschaft diese Werte mit größerem Nachdruck verteidigt.


116 Unserer Meinung nach gäbe es im Fall der Aufrechterhaltung der von den 14 Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen jedoch einen kontraproduktiven Effekt, und deshalb sollten sie beendet werden. Die Maßnahmen haben in Österreich bereits nationalistische Gefühle geschaffen, vor allem weil sie in manchen Fällen fälschlich als gegen die österreichischen Bürger gerichtete Sanktionen interpretiert wurden.


4. Empfehlungen, die sich aus dem Bericht ergeben:


117 Wir empfehlen mit Nachdruck die Entwicklung eines Mechanismus innerhalb der europäischen Union zur Kontrolle und Bewertung der Übereinstimmung und der Handlungsweise der Mitgliedsländer der Union in Bezug auf die gemeinsamen europäischen Werte. Wir treten daher dafür ein, in den Artikel 7 des EU-Vertrags Vorkehrungen für Prävention und Kontrolle aufzunehmen, um vom ersten Moment an auf eine gleichwertige Situation zu reagieren, wie sie gegenwärtig in Österreich gegeben ist. Das würde die die fundamentale Verpflichtung der EU auf die gemeinsamen europäischen Werte unterstreichen. Ein Mechanismus dieser Art würde auch einen offenen und konfliktfreien Dialog mit dem betroffenen Mitgliedsland möglich machen.


118 Mittels dieses Kontrollmechanismus würde der Rat in die Lage versetzt, die Entwicklung einer besonderen Situation in einem Mitgliedsland zu bewerten und konkrete Maßnahmen zu treffen. Gemeinsam mit dem Kontrollmechanismus sollte ein System der Prävention geschaffen werden, mit dem man durch Maßnahmen der Information und der Erziehung auf alle Formen der direkten oder indirekten Diskriminierung, oder der Xenophobie, reagieren kann.


119 Es ist wichtig, dass sich innerhalb der Gemeinschaftsinstitutionen institutionalisierte Mechanismen etablieren, um diese Ziele zu erreichen. Diese institutionalisierten Mechanismen könnten die Schaffung eines Menschenrechtsbüros des Rates beinhalten, das dem Europäischen Rat (der Staats- und Regierungschefs) berichtet; die Ernennung eines für Fragen im Zusammenhang mit den Menschenrechten verantwortlichen Kommissars innerhalb der europäischen Kommission; und, im Besonderen, die Erweiterung der Aktivitäten, des Budgets und des Status der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die ihren Sitz in Wien hat, sodass es derart zu einer vollständigen Einrichtung einer Menschenrechtsbehörde der EU kommen kann.

Paris, 8. September 2000
Martti Ahtisaari
Jochen Frowein
Marcelino Oreja