DIE ZEIT


Politik 27/2002

Not und Spiele

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Afrika und der G-8-Gipfel - ein Marshall-Plan für den Krisenkontinent

von Bartholomäus Grill

Der Senegal bei der Fußballweltmeisterschaft, ausgeschieden erst im Viertelfinale - und ein ganzer Kontinent trommelt und tanzt und feiert sich selber: Wir sind auch wer! Fröhliche, ausgelassene Erdenbürger, so mag die Welt ihre Afrikaner.

Vergessen der Hunger, die Seuchen, das Massenelend, die Schrecken des Krieges. Bis zum Schlusspfiff jedenfalls. Aber kommendes Wochenende, wenn wieder einmal die anderen um den Cup Jules Rimet spielen, die sportiven Großmächte, wird das immer gleiche Afrika in die Wahrnehmung zurückkehren, als verlorene, hoffnungslose Großmacht. Und die ökonomischen Großmächte werden sich zum G-8-Gipfel in Kanada treffen und ungern debattieren wollen über dieses Afrika.

Allein, der Krisenkontinent steht diesmal auf ihrer Agenda. Die Afrikaner werden sie daran erinnern, wenn sie ihre New Partnership for Africa's Development (Nepad) vorstellen, eine Art Marshall-Plan zum Wiederaufbau des Erdteils. Schon wieder eines jener vollmundigen Rettungsprogramme, die am Ende jämmerlich scheitern? Die ewigen Afropessimisten winken diesmal zu schnell ab. Denn das Nepad-Papier schlägt einen Grundton an, den man aus den Ländern südlich der Sahara noch nie gehört hat.

Zum ersten Mal in der postkolonialen Geschichte räumen afrikanische Staatschefs ihre Mitschuld an der Misere des Kontinents ein, und zum ersten Mal zeigen sie sich gewillt, die wahren Ursachen zu benennen und zu bekämpfen: schlechte Regierungsführung, Demokratiemangel, Misswirtschaft, Krieg, Gewaltherrschaft. Zugleich aber rufen sie die reichsten Nationen der Welt auf, ihr Jahrhundertprojekt zu unterstützen, denn allein können sie es nicht schaffen. Sie fordern nicht Almosen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe, um das Abhängigkeitsverhältnis zwischen (schwarzen) Bettlern und (weißen) Spendern zu durchbrechen. Sie wollen als gleichwertige Partner behandelt werden. "Dies ist eine Chance, die nur einmal in einer Generation kommt", mahnt Niall FitzGerald, der Chef von Unilever; sein Weltkonzern macht in Afrika Milliardenumsätze - trotz aller Probleme.

Was die Unterstützer der Initiative für ein Allheilmittel halten, ist in den Augen ihrer Kritiker schädliche Medizin. Öffnung der Märkte, Deregulierung - haben diese wohlfeilen Rezepte den Patienten Afrika bislang nicht noch kränker gemacht? Die Einsprüche kommen vor allem von Gewerkschaften und sozialen Organisationen. Und: Nepad sei wieder so ein Reformversuch, der von ganz oben, von einer Hand voll Präsidenten, diktiert werde; das Volk habe wie üblich nichts zu sagen.

Kein Zweifel, Nepad offenbart wie jedes Mammutprojekt große Schwächen. Es wird einem Erdteil mit 48 höchst unterschiedlich entwickelten Staaten einfach übergestülpt. Manche Regierungschefs, darunter der Libyer Ghaddafi, ignorieren oder verwerfen den Plan, weil sie die Vormachtstellung von Südafrika und Nigeria, den Lokomotiven an der Spitze des Reformzugs, nicht anerkennen. Und natürlich klingt das Versprechen, die Segnungen des freien Marktes überwänden alle Not, in den Ohren von Millionen Flüchtlingen, Kriegsopfern, Aids-Kranken oder Slumbewohnern ziemlich zynisch - sie bleiben vorerst vom Wirtschaftsleben ausgeschlossen, egal, wie es reguliert wird.

Und dennoch: Nepad ist eine Chiffre für das radikale Umdenken der Afrikaner. Viele haben erkannt, dass sie ihrem maroden Kontinent nur selber aufhelfen können. Nun ist es an den wohlhabenden Staaten, umzudenken - auch im eigenen Interesse. Das Elend im Süden produziert gewaltige Flüchtlingsströme und gefährdet die globale Sicherheit. Höchste Zeit, dass der Norden seine Lehrsätze befolgt: mehr Handel, weniger Hilfe - zum Beispiel für die Landwirte Europas und Amerikas. Denn die Abschottung der Märkte raubt den Afrikanern enorme Export- und Zukunftschancen. Dieser Skandal wird beim Gipfel in Kanada gewiss zur Sprache kommen. Und man kann den Afrikanern nur wünschen, dass die Reichen und Satten nicht so gleichgültig reagieren wie unlängst in Rom, bei der UN-Konferenz zur Welternährung. Nur zwei Industriemächte, Spanien und Italien, sandten ihre Staatschefs. Devise: Was schert es uns, wenn 800 Millionen Menschen hungern - es gibt Wichtigeres.