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Nr. 31 - 32 / 28. Juli / 4. August 2000


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"Es wird immer noch gefoltert"

Interview mit dem palästinensischen Menschenrechtler Khader Shkirat

  Die Zerstörung von Häusern gehört noch immer zum Alltag in den von Israel besetzten Gebieten.

Die Zerstörung von Häusern gehört noch immer zum Alltag in den von Israel besetzten Gebieten.


Khader Shkirat ist Direktor der palästinensischen Menschenrechtsorganisation "LAW - Society for the Protectio of Human Rights an the Enviroment" in Ramallah. Das Interview führteLudwig Watzal.

-Als der Friedensprozess 1993 begann, waren die Menschen voller Erwartungen und Hoffnungen. Man erwartete das Ende der Besatzung und der Menschenrechtsverletzungen. Was ist heute aus dieser Hoffnung geworden?

Shkirat: Von den Erwartungen und der Freude, die es gab, ist nichts geblieben. Israel hat den Palästinensern alles vorenthalten, auf was sie ihre Hoffnungen stützen können. Die aggressive Politik Israels setzt sich unter dem Friedensprozess fort. Das Leben der Palästinenser ist schwieriger und komplizierter geworden. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit hat es vor Oslo nicht gegeben. Heute ist es sehr schwer geworden, von Gaza in die Westbank oder von der Westbank nach Jerusalem zu kommen. In vieler Hinsicht war das Leben leichter. Ebenso enttäuscht sind wir über die mangelnde Bereitschaft der Israelis, ihre Zusagen einzuhalten. So wurden die politischen Gefangenen nicht freigelassen, Siedlungen und Umgehungsstraßen weitergebaut und die Bewohner Ost-Jerusalems weiterhin aus der Stadt deportiert. Die Israelis wollen Fakten vor den Statusendverhandlungen schaffen, was zur Bantustanisierung und Fragmentierung der palästinensischen Gebiete führt.

-Die Schwierigkeiten im Friedensprozess und im Bereich Menschenrechte wurden im Westen immer der politischen Starrsinnigkeit Netanyahus zugeschrieben. War eine solche Meinung schon damals eine Illusion, und welche Gültigkeit besitzt diese für die Barak-Regierung?

Shkirat: Die USA ließen Netanyahu fallen, weil er ihren Interessen schadete. Barak ist aber noch schlimmer als Netanyahu in der Schaffung vollendeter Tatsachen. Im Gegensatz zu Netanyahu hat er keine schrille Rhetorik, und er hat ein liberales Image. Da die Palästinenser nicht öffentlich klagen, gewinnt die Weltöffentlichkeit den Eindruck, alles sei o. k. Barak erscheint als ein Mann des Friedens, was aber nicht der Fall ist. Er ist in Bezug auf Ost-Jerusalem und den Bau von Siedlungen schlimmer als Netanyahu. Netanyahu behauptete, er baue zehn Siedlungen, tatsächlich baute er nur eine. Barak tut genau das Gegenteil. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, wie sie sich gegenüber der Öffentlichkeit darstellen und wahrgenommen werden. Nehmen Sie z. B. die Zerstörung von Häusern. Seit Oslo wurden 776 Häuser zerstört. Hunderte sind von der Zerstörung bedroht. Davor waren es wesentlich weniger. Die Vertreibung der Palästinenser aus den von Israel kontrollierten Gebieten wie der Zone C oder Ost-Jerusalem hat stark zugenommen. Palästinenser werden gezwungen, aus Zone C in Zone A überzusiedeln. Dies ist eine "stille Deportation". Sie trifft die Beduinen und die Bewohner Ost-Jerusalems.

-Wie hat sich die Lage der Menschenrechte der Palästinenser seit dem Oslo-Prozess entwickelt?

Shkirat: Der Friedensprozess hat nicht die Natur der Menschenrechtsverletzungen verändert. Sie haben zugenommen und sich in einigen Bereichen verschlechtert. Landenteignungen, Häuserzerstörungen, Zugang zum Wasser, die Bewegungsfreiheit, Folter, Deportationen und die Errichtung von Umgehungsstraßen haben nach dem Friedensprozess zugenommen. Die Ausgangssperren sind zum Beispiel völlig weggefallen. Aber tatsächlich ist nichts besser geworden. In den palästinensischen Gebiete, in denen Israel keinen direkten Einfluss mehr ausüben kann, hat sich etwas verändert: Dort gibt es jetzt die Menschenrechtsverletzungen der Autonomiebehörde. ? --Können Sie die wichtigsten Menschrechtsverletzungen der Israels nennen? Vor einigen Monaten entschied das Oberste Gericht in Israel, dass Folter in Verhören verboten ist. Gibt es trotzdem noch Folter in Gefängnissen des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet? Shkirat: Es wird immer noch gefoltert. Das Oberste Gericht in Israel hat Folter nicht in Gänze als illegal verworfen. Es hat sie nur deshalb als illegal bezeichnet, weil sie nicht auf einem Gesetz, sondern nur auf einer Verordnung beruhte. Hätte Folter eine rechtliche Grundlage besessen, wäre sie nicht verboten worden. Trotzdem ist es eine fortschrittliche Entscheidung, und meine Organisation begrüßt sie; es ist aber noch nicht weitreichend genug. Das Gericht hat aber Folter nicht gänzlich untersagt. Folter gegenüber den Palästinensern ist in der israelischen Gesellschaft akzeptiert. LAW, der Organisation, der ich vorstehe, hatte gerade zwei Fälle von Folter. Die Israelis haben jetzt ihre Strategie geändert, sie benutzen jetzt palästinensische Kollaborateure, um die Gefangenen zu foltern. 47 Mitglieder des israelischen Parlaments, der Knesset, brachten einen Gesetzentwurf ein, um Folter zu legalisieren. Im Augenblick liegt dieser Entwurf aber auf Eis. ? -Welche Politik verfolgt Israel gegenüber den Palästinensern aus Ost-Jerusalem? Konfisziert Israel immer noch Identitätskarten mit all den daraus folgenden Konsequenzen? Shkirat: Wie unsere Konferenz Anfang Juni über Jerusalem gezeigt hat, geht auch unter der Barak-Regierung diese Politik weiter. Bis heute gab es noch keine neuen Vorschriften, aber man spricht über Veränderungen. 2 500 Familien, ca. 20 000 Palästinenser, sind bisher davon betroffen worden. Der Verlust der ID-Karte geht mit dem Verlust des Aufenthaltsrechtes in Ost-Jerusalem einher. So können sich die Palästinenser nur noch illegal am Ort aufhalten. Somit stehen den Menschen nicht mehr die normalen Vergünstigungen wie medizinische Betreuung und andere soziale Einrichtungen zur Verfügung. Die Israelis zwingen die Palästinenser, Ost-Jerusalem zu verlassen und in die Westbank oder Arafats autonome Gebiete zu ziehen. Zu dieser Strategie gehört auch die Politik der Häuserzerstörungen und die Landenteignungen zum Bau von Siedlungen und Umgehungsstraßen. ? -Gibt es eine Strategie hinter dem Bau von Umgehungsstraßen?

Shkirat: Natürlich. Einerseits will man alle Siedlungen dadurch miteinander verbinden, um die palästinensischen Orte zu umgehen. Andererseits will man die palästinensischen Gebiete weiter zerstückeln, um sie dadurch zu desintegrieren. Israel versucht, den Palästinensern die Benutzung dieser Straßen weitestgehend zu verbieten. Diese Straßen versprühen einen Hauch von Apartheid.

-Warum wehren sich die Menschen nicht gegen den Siedlungsausbau, obwohl er zu ihren Lasten geht?

Shkirat: Die palästinensische Gesellschaft widersteht nicht den Siedlungen, weil sie sieht, dass die Autonomiebehörde korrupt ist. Es gibt eine Clique von Leuten, die von Oslo profitiert haben und sich um die Sorgen der Menschen nicht kümmern. Weiterhin gibt es einen Mangel an Demokratie und der Achtung der Menschenrechte. Solange die Autonomiebehörde diese beiden Mängel nicht beseitigt, wird sie keine Unterstützung von den Menschen erhalten.

-Auch die Autonomiebehörde kann keine positive Bilanz in Sachen Menschenrechte vorweisen. Gibt es Menschenrechtsverletzungen durch Arafats Behörde?

Shkirat: Die gravierendste Menschenrechtsverletzung durch die Autonomiebehörde ist Folter. Hinzu kommt die Einschränkung der Meinungsfreiheit, willkürliche Verhaftungen, Demonstrationsverbot, Misshandlung durch die palästinensischen Sicherheitskräfte sowie der Missbrauch der Macht der Behörde. Korruption ist ebenfalls ein häufig auftretendes Phänomen.

-Wie würden Sie die Atmosphäre in Palästina beschreiben? Entspricht sie der in einer demokratischen Gesellschaft oder eher der in einem autoritär-diktatorischen Regime? Shkirat: Es herrscht eine Atmosphäre der Furcht. Die Autonomiebehörde hat sie durch ihre Unterdrückungsmethoden und ihre willkürlichen Übergriffe geschaffen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Menschen werden eingeschüchtert und haben keine Gelegenheit, ihre Meinung frei zu äußern. Die Medien werden eingeschüchtert und müssen zeitweise ihr Erscheinen einstellen. Wie Arafat versucht, in allen gesellschaftlichen Bereichen seine Macht durchzusetzen, hat die Verhinderung meiner Kandidatur für die Palästinensische Anwaltskammer gezeigt. Durch einen Trick hat man die Wahl verhindert, da man keine Mehrheit hinter sich hatte. ? -Haben Sie sich unter der israelischen Besatzung oder unter der Autonomiebehörde freier gefühlt?

Shkirat: Man kann beides nicht vergleichen. Die Autonomiebehörde ist unser Projekt. Ich stimme mit ihrer Politik überhaupt nicht überein, trotzdem ist es unsere nationale Behörde. Trotz aller Menschenrechtsverletzungen können wir es nicht mit der israelischen Besatzung vergleichen. Unser Kampf soll zur Verbesserung der Politik der Autonomiebehörde führen. Der Kampf gegen Israel zielt auf die Beendigung der Besatzung Palästinas. ? -Können Sie das palästinensische Rechtssystem generell beschreiben? Welche Rolle spielt das Staatssicherheitsgericht?

Shkirat: Während des Besuches von US-Vizepräsident Al Gore in Jericho im Februar 1995 forderte dieser von Arafat die Etablierung dieses Staatssicherheitsgerichtes, um den Terrorismus zu bekämpfen und die Kritiker des Friedensprozesses mundtot zu machen. Damit war klar, dass dies zum Zusammenbruch des palästinensischen Rechtssystems führen würde. Vor diesem Gericht gibt es keine fairen Prozesse. Die Verhandlungen vor dem Staatssicherheitsgericht dauern oft nur Minuten. Lebenslange Haftstrafen und Todesurteile sind keine Seltenheit. Vor diesem Gericht werden zunehmend Zivilisten, Menschenrechtler und Intellektuelle abgeurteilt, wohingegen vor den Militärgerichten Straftaten von Polizisten verhandelt werden. Zunehmend werden auch Zivilisten vor Militärgerichten abgeurteilt. Beide Gerichtstypen tragen zur Unterminierung des Rechtssystems bei.

-Welche Rolle spielt das Oberste Gericht in Palästina?

Shkirat: Das Oberste Gericht in Palästina fällt wichtige Entscheidungen und Urteile, aber keines wurde jemals von der Exekutive befolgt oder umgesetzt. "Das Oberste Gericht in Palästina" ist Präsident Arafat.

-Wie beurteilen Sie den Legislativrat, das sogenannte Parlament?

Shkirat: Der Legislativrat wurde im Januar 1996 gewählt. Die Menschen erwarteten viel von ihren Vertretern. Präsident Arafat und seine Behörde waren erfolgreich, indem sie den Legislativrat marginalisierten und ihn in die Exekutive integrierten. Die Abgeordneten haben versagt, ihre eigenständige Existenz und Rolle zu verteidigen. Der Legislativrat wurde zu einem Instrument der Unterdrückung in den Händen von Präsident Arafat, wie das Beispiel der acht Abgeordneten zeigt, die einen kritischen Brief unterzeichnet hatten, in dem der Autonomiebehörde Korruption und der Ausverkauf Palästinas vorgeworfen worden ist. Selbst der Präsident des Legislativrates, Achmed Qurei, spielte eine negative Rolle, indem er den Legislativrat der Exekutive preisgab. Im Legislativrat gab es einige kritische Abgeordnete, aber die haben resigniert. Sie sind frustriert. Arafat blockiert alle demokratischen Möglichkeiten. Das geplante Grundgesetz wird niemals verabschiedet. Dies hat Arafat selber gesagt. Er hasst Gesetze.

-Wie beurteilen Sie die Zukunft Palästinas?

Shkirat: Ich sehe die Zukunft meines Landes optimistisch. Wir haben ein hochqualifiziertes zivilgesellschaftliches Potenzial, um eine Demokratie aufzubauen, und wir haben den Mut, gegen die israelische Besatzung zu kämpfen. Wir wollen endlich die Anerkennung unserer Menschenrechte. Es geht also nicht nur um einen Staat, sondern die Frage ist, wie er aussieht, welche Souveränität er besitzt und wo seine Grenzen verlaufen. Nur wenn die Palästinenser volle Souveränität in den Grenzen von 1967 erhalten, die Frage der Flüchtlinge gerecht gelöst sowie die Siedlungen aufgelöst sind, wird es dauerhaften Frieden geben. Sollten diese Probleme nicht gerecht gelöst werden, kann ich mir vorstellen, dass die Menschen in fünf Jahren gegen Apartheid und die Bantustanisierung kämpfen. Die Ergebnisse des Friedensprozesses können revidiert werden. Jeder Friede bedarf der Unterstützung durch das Volk. Ich kann Ihnen versichern, dass das palästinensische Volk dieses Szenario niemals akzeptieren wird. Es wird keinen Frieden und Stabilität geben, solange die Palästinenser nicht ihre vollen Rechte genießen können. Erst dann werden auch die Verletzungen der Menschenrechte aufhören.

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