Parlamentarische Kommunikation in Österreich
Ein Krisenfall exemplifiziert am Streit um die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen

Ergebnisse des Proseminsars "Parlamentarische Kommunikation"
Dr. Haimo L. Handl
Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien
Sommersemester 1997
 

Vorbemerkung:
Die Arbeiten sind, wie von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern übermittelt, zusammengestellt und nicht sprachlich oder ortografisch korrigiert.
 

Studentische Beiträge von
 


Inhaltsverzeichnis
 
 

 Beitrag

 1) Vorwort Haimo L. Handl 5 2) Einleitung Studenten 6 3) Debatten zur Änderung der Nationalrats-Geschäftsordnung 1996 Christina Griessler 39 4) Demokratie zwischen Konsens und Konkurrenz Walter Hämmerle 48 5) Geschichte der Untersuchungsausschüsse im Nationalrat in der Zweiten Republik Untersuchungsausschüsse im internationalen Vergleich

Thomas Iwanschitz
 
 

54 6) Position der Sozialdemokratischen Partei Österreichs Sebastian L. Paulick 63 7) Position der Österreichischen Volkspartei Stefan Hirsch und Marcel Weigl 67 8) Position der Freiheitlichen Partei Österreichs Rosemarie Poiarkov 74 9) Position des Liberalen Forums Christian Lürzer 77 10) Position der Grünen Raimund Lunzer 81 11) Behinderung oder Stärkung des Parlamentarismus? Richard Pettauer 86 12) Resümee Studenten 87 13) Nachwort Haimo L. Handl
1) Vorwort
 
 

Ein Proseminar zur politischen Kommunikation bzw. parlamentarischer Kommunikation habe ich schön öfters am Institut für Politikwissenschaft veranstaltet. Diesmal aber, im Sommersemester 1997, entschied ich mich, die Lehrveranstaltung parallel über das Internet in einer eigenen web site zu "begleiten" um einerseits damit den Teilnehmern schnelleren Informationszugang zu gewähren, andererseits einen Anreiz zu schaffen, die eigenen Arbeiten rasch für alle lesbar zu offerieren, so dass die Lehrveranstaltungstermine für vertiefte Diskussion nutzbar werden.

Das Konzept ging auf, wiewohl ca. zwei Drittel der Teilnehmer nach der ersten Vorstellung von der Lehrveranstaltung fernblieben. Das Internet schreckte mit seinem zu erwartenden Arbeitsaufwand noch mehr ab, als es bisher meine Ansprüche an die Studenten taten!

Das verbliebene Drittel fand bald heraus, dass der Einsatz der Netzkommunikation erstens nicht die Hauptsache und zweitens schon gar nicht Selbstzweck ist, sondern, wenn klug eingesetzt, eine weitere Kulturtechnik, die ökonomischer, rascher, effizienter Kommunikation ermöglicht und befördert, nicht selbst aber eine solche ist.

Die Betonung lag deshalb weniger auf dem Neuen Medium, denn an der "normalen" Nutzung einer vielleicht bisher wenig bekannten Einrichtung als zweckdienliches Mittel zur Erreichung des eigentlichen Lehrveranstaltungsziels: Parlamentarische Kommunikation in Österreich politikwissenschaftlich zu behandeln.

Ein Proseminar ist eine "Anfängerveranstaltung", in welcher die Teilnehmer Grundzüge wissenschaftlichen Arbeitens kennen lernen und erproben sollen.

Mir ging und geht es dabei stets nicht um Seminare, die als verkappte Lesungen zu bezeichnen wären, sondern um einen Prozess der Wissensvermittlung und -erarbeitung, in welchem die studentischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur aufnehmen und vielleicht manchmal reagieren, sondern selbst auch agieren.

Parlamentarische Kommunikation ist ein weites Feld, das für eine Semesterveranstaltung natürlich sinnvollerweise eingegrenzt wird. Nach der Lektüre und Diskussion der Geschäftsordnung des Nationalrates als Regelwerk der Kommunikation dieser Kammer des Hohen Hauses wurde die sogenannte Kurdenmorde-Affäre zum Anlass genommen, die Debatte um Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Untersuchungsgegenstand dieser Lehrveranstaltung zu machen.

Ziel war es, gestützt auf das Verständnis der Geschäftsordnung und natürlich der Vorgeschichte ihrer jüngsten Änderungen, die Debatten um Einsetzung oder Nichteinsetzung eines Untersuchungsausschusses zu analysieren, um daraus Schlussfolgerungen nicht nur auf die parlamentarische Kommunikation als solche, sondern insbesondere hinsichtlich der Kontrollfunktion des Parlaments, in diesem Falle besonders seitens der Opposition, zu ziehen.

Zur Beleuchtung der Vorgeschichte, nämlich Änderung der Geschäftsordnung 1996, wurde auf den Beitrag von Christina Griessler zurückgegriffen, die das gleiche Proseminar ein Studienjahr früher absolvierte.

Die Nutzung des Internet war (und ist) mit einigen technischen Hürden verbunden, nachdem am Institut keine vernetzten Computer zur Verfügung stehen und die wenigen Terminals an der Hauptuniversität meist belegt sind. Doch jene Teilnehmer, die nicht selbst über einen Computer mit Modem verfügten, verstanden es, andere Computereinrichtungen zu nutzen, zB im Institut für Publizistik oder an der Wirtschaftsuniversität.

Parallel zur umfangreichen web site, wo neben den eigenen Arbeiten auch Literatur- und Textverweise, Hinweise auf andere web sites (links) plaziert wurden als auch Reaktionen kontaktierter Politikerinnen und Politiker, war auch eine Newsgroup installiert, in welcher kommuniziert werden konnte.

Die Netzkommunikation war in einigen Fällen, für mich nicht überraschend. recht ernüchternd. Für die enthusiastischen Lehrveranstaltungsteilnehmer waren sie aber eine wichtige Erfahrung: Vernetzung bedeutet nicht vermehrte oder bessere Kommunikation; die schönen Homepages täuschen oft über dürftige Inhalte hinweg, die angeschriebenen Personen antworten nicht oder sehr spät, obwohl es heisst, dass, entsprechend dem modernen Medium, rasch kommuniziert werde ... .

Nicht zuletzt zeigte auch das unterschiedliche Auftreten der Parlamentsparteien im Netz deren Kommunikationsverständnis bzw. -intention.

Die web site des Österreichischen Parlaments wurde als sehr informativ genutzt; ein Besuch beim zuständigen Referenten, Mag. Zimmermann von der Abteilung Literaturdokumentation, der bereitwillig Auskunft gab, war sehr aufschlussreich und geeignet, einige Klischees über verstaubte Beamten als überholt wegzuschieben angesichts des professionellen Informationsmanagements, das die doch kleine Abteilung mit relativ geringer Budgetierung leistet (Kompliment dorthin!).

Von mir wurden schon zu Beginn der Lehrveranstaltung und dann auch später wiederholt namhafte Vertreter aller Parlamentsparteien per E-mail angeschrieben und einerseits über die Lehrveranstaltung informiert, andererseits um Reaktionen gebeten. Darüber hinaus wurden auch andere Parteirepräsentanten bezüglich Sachinformationen angefragt.

Die Reaktionen waren, wie vorher erwähnt, interessant: nur wenige reagierten rasch bzw. überhaupt. In etlichen Fällen war es unmöglich, Informationen oder Hinweise zu erlangen. (Die Reaktionen von Kolleginnen und Kollegen des Lehrkörpers der Universität waren bzw. sind mit wenigen Ausnahmen nicht feststellbar, obwohl netzbegleitete Lehrveranstaltungen bei uns noch ein Novum sind! Trotz einiger Hinweise konnte ich keine Reaktionen registrieren - besonders auch nicht vom Publizistikinstitut, wo doch einige Leute selbst Projektstudien durchgeführt hatten über Netzkommunikation in Österreich...)

All das lässt sich den verschiedenen gespeicherten Dokumenten in der web site der Lehrveranstaltung entnehmen. Hier, in dieser Abschlussarbeit finden Sie die studentischen Arbeiten zum Thema.

Haimo L. Handl
 

2. Einleitung
 
 

Verfassungsbruch oder legitimes Minderheitenrecht?

"Verfassungsbruch" (Khol), "Demokratieverweigerung" (Kostelka), "Weimarer Verhältnisse" (Die Presse). Diese und ähnliche Anschuldigungen fielen in der parlamentarischen Diskussion zum Thema Untersuchungsausschüsse.

Im Rahmen des Proseminars "Parlamentarische Kommunikation" unter der Leitung von Lektor Dr. Haimo L. Handl am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien im Sommersemester 97 untersuchten wir die Debatte um Untersuchungsausschüsse und ihren Stellenwert als parlamentarisches Kontrollinstrument.

Aktueller Anlass war die Diskussion um die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zu den Themen Kurdenmorde und Bankensektor. In diesem Zusammenhang haben wir die Aussagen der Parlamentsfraktionen zu diesen Fragen untersucht. Unser Thema war also nicht die Behandlung der Vorfälle, derentwegen nach Untersuchungsausschüssen gerufen wurde, sondern die Debatte hinsichtlich der Einsetzung solcher Ausschüsse.

Unsere Arbeit beginnt mit einem Rückblick auf die Debatten zur Änderung der Geschäftsordnung 1996 sowie einer allgemeinen Abhandlung über "Konflikt und Konsens" in demokratischen Systemen allgemein und im Parlamentarismus im speziellen. Sodann folgt eine historische Auflistung der Untersuchungsausschüsse der 2. Republik. Parallel dazu die Evolution der Geschäftsordnung des Nationalrats. Zum besseren Verständnis der Arbeit zogen wir internationale Vergleiche. Schliesslich werden die Positionen aller Parlamentsparteien zu diesem Thema behandelt und in einem kurzen Resümee zusammengefasst.
 
 

3. Debatten zur Änderung der GO 1996

Christina Griessler
 
 
 

Inhaltsangabe:

1. Torpedieren die Oppositionsparteien den Parlamentarismus?

2. Geschäftsordnungsreform

3. Die Aufgaben des Parlaments

3.1. Die Gesetzgebung

3.2. Die Kontrolle der Regierung

4. Opposition - Regierung

5. Rechte der GOG

6. Sondersitzungen

7. Torpedieren

8. Beispiele

9. Schlussbemerkung

10. Begriffserklärungen Seite 25

Literaturliste

Anhang I

Anhang II
 

1. Torpedieren die Oppositionsparteien den Parlamentarismus ?

Eigendefinition: Wenn Oppositionsparteien "Aktionen" setzen, die zum Ziel haben, ein bestimmtes Vorhaben umzusetzen (z.B.: Gesetze, Diskussionsthemen, Kontrolle der Regierung, aufmerksam machen auf Unregelmässigkeiten), dann verstehe ich darunter ein "nutzen" der Mittel der Geschäftsordnung. Unter "torpedieren" verstehe ich ein behindern des Parlamentarismus ohne ein konkretes Ziel umsetzten zu wollen, welches mit der parlamentarischen Arbeit der Abgeordneten in Verbindung steht. Wenn gewisse "Aktionen" nur durchgeführt werden um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erlangen, ohne Alternativen aktiv in die parlamentarische Arbeit einzubringen, dann spreche ich in dieser Arbeit von "torpedieren".

Diese Arbeit befasst sich mit der Nutzung parlamentarischer Mittel durch die Oppositionsparteien, die sich im Rahmen der Geschäftsordnung befinden, und aufgrund dessen legale Mittel der Opposition sind. Alle "Aktionen", "Tricks" oder Mittel die von den Fraktionen der Opposition verwendet werden sind rechtlich in der Geschäftsordnung festgesetzt und damit legitim.

Daher unterscheide ich zwei Bereiche, den rein rechtlichen Bereich, der durch die Geschäftsordnung gestaltet wird und einen politischen Bereich, der der politische Wirklichkeit in der Alltagsarbeit der Fraktionen entspricht.

Dr. Werner Zögernitz unterscheidet in dem Artikel: "Die Geschäftsordnung des Nationalrates" ebenfalls in einen rechtlichen und in einen praktischen Bereich. Einerseits spricht er von der "wirkungsvollen" Geschäftsordnung, welche die Spielregeln für "eine erfolgreiche parlamentarische Arbeit" darstellt und andererseits von "einer allgemein anerkannte parlamentarische Praxis", die der Autor auch als den "Geist der Geschäftsordnung" bezeichnet.

Weiters möchte ich zwischen einer Behinderung der parlamentarischen Arbeit und einem "Aktionismus", der keine Behinderung der parlamentarischen Arbeit nach sich zieht unterscheiden. Aufgrund dessen unterscheide ich den "Aktionismus" in einen "Aktionismus im positiven Sinn" und in einen "Aktionismus im negativen Sinn". Auf diese Bezeichnung bin ich während des Gespräches mit dem dritten Nationalratspräsidenten Dr. Brauneder gestossen, der im Zusammenhang mit dem Austritt des Liberalen Forums aus dem Budgetausschuss gemeint hatte: "...also es war, ich will nicht sagen "Aktionismus im negativen Sinn", aber ein gewisser Aktionismus war es bestimmt." (Interview Dr. Wilhelm Brauneder am 13.6.1996). Unter "Aktionismus im negativen Sinn" verstehe ich ein absichtliches Behindern der Arbeit im Parlament. Unter "Aktionismus im positiven Sinn" verstehe ich einen "Aktionismus" durch den sich Oppositionsparteien einen Zugang zur Öffentlichkeit verschaffen. Diese Art des Aktionismus ist mit keiner weiteren Behinderung der Arbeit verbunden.

Wenn zum Beispiel Maiskolben an die Abgeordneten verteilt werden, dann ist dies zwar Aktionismus, aber er behindert im grossen und ganzen nicht die Arbeit im Parlament. Das auch hier die Grenzen schwer festzustellen und abzustecken sind, ist mir durchaus bewusst.

Eine interessante Frage die sich im diesem Zusammenhang stellt, ist jene ob die "Aktionen" der Oppositionsparteien sich auf die Geschäftsordnungsreform auswirken, oder ausgewirkt haben.

Deshalb habe ich mich im Zusammenhang mit der Fragestellung: "Torpedieren die Oppositionsparteien den Parlamentarismus", auch mit der derzeitigen Geschäftsordnungsreform auseinandergesetzt.

Dr. Willi Fuhrmann beschreibt in seinen Artikel: "Determinanten der Entwicklung des Geschäftsordungsrechts" zwei Gründe warum normalerweise die Geschäftsordnung des Nationalrates verändert wird. Ein auslösender Grund sind neue politische Verhältnisse und eine neue Zusammensetzung des Nationalrats oder es werden, durch eine Erneuerung der Geschäftsordnung Spezialprobleme gelöst, die durch bestimmte auslösende Ereignisse entstehen. Bei der jetzigen Geschäftsordnungsreform wollte man mehrere Probleme auf einmal lösen und gleichzeitig notwendigen Neuerungen durchführen. Durch den EU-Beitritt Österreichs, wurden Änderungen in der Verfassung vollzogen, die auch ihre Auswirkung auf die Geschäftsordnung des Nationalrates haben, welche aber noch nicht an diese Situation angeglichen wurde. So wird im Artikel 23e Abs. 5 des B-VG darauf verwiesen, dass die "Wahrnehmung der Zuständigkeiten des Nationalrates gemäss den Abs. 1 bis 4 " dem Hauptausschuss obliegt. "Die näheren Bestimmungen hierzu werden durch das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates getroffen." Der Art. 23e B-VG verweist auf die Geschäftsordnung des Nationalrates, die aus diesem Grunde reformiert werden musste. Auf der anderen Seite wollte die beiden Koalitionsparteien, die exzessive Nutzung der Mittel der Geschäftsordnung durch die FPÖ in den Griff bekommen, da sich die Sitzungen durch die Einbringung von dringlichen Anfrage bis in den nächsten Morgen zogen oder so oft wie möglich, auch ohne einen ernsthaften Grund Sondersitzungen (GOG § 46 Abs. 5) von der FPÖ-Fraktion beantragt wurden. Diese Geschäftsordnungsreform wurde durchgeführt um die Geschäftsordnung an die Verfassung anzupassen und um die oben erwähnten "Spezialprobleme" zu lösen.

Unter den Begriff "Parlamentarismus" fasse ich die Arbeit in den Ausschüssen, Unterausschüssen und die Plenumsdiskussionen im Nationalrat zusammen. Normalerweise werden unter dem Begriff "Parlament", beide Kammern des Hohen Hauses, der Nationalrat und den Bundesrat verstanden. Ich persönlich beziehe mich in meiner Arbeit nur auf den Nationalrat, da ausserdem Verbindungen mit der Geschäftsordnungsreform des Nationalrates hergestellt werden sollen. Natürlich ist es etwas schwierig den Begriff "Parlamentarismus" zu definieren, da der Begriff "Parlament" in der Verfassung nicht verwendet bzw. nur umschrieben wird. Die Verfassung verwendet statt den Begriff des "Parlaments" folgende Umschreibung: "Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat aus (Art. 24 B-VG)."

An dieser Stelle möchte ich aber die Definition des Parlamentarismus von Herbert Schambeck einbringen: "Unter den Begriff Parlamentarismus wird die Ordnung einer demokratischen Gesetzgebung verstanden. Von seiner Entwicklung hängt in einem Staat der Weg des politischen Lebens und von seinem System die Möglichkeit der Bestimmung seiner Politik ab. In dieser Sicht ist der Parlamentarismus prägend für die Staatswillensbildung, die in einem demokratischen Rechtsstaat, wie es Österreich ist, die Grundlage und die Voraussetzung für das gesamte Staatshandeln ist."

Ich untersuche im Rahmen dieser Arbeit, ob es ein behindern der Opposition im Nationalrat gibt und weiters ob es Auswirkungen auf die GOG-Reform aufgrund bestimmter Aktionen gibt.

2. Geschäftsordnungsreform:

Es wird schon seit längerer Zeit über eine Geschäftsordnungsreform diskutiert. Bevor die Ergebnisse der Geschäftsordnungsreform bekannt wurden, hatte ich den Eindruck, dass den Oppositionsparteien die Möglichkeiten des parlamentarischen Betätigungsfeldes genommen bzw. eingeschränkt werden sollten. Doch die Einigung die erzielt wurde brachte eine Einschränkung der Rechte bei der FPÖ mit sich, aber keine Beschneidung der Kontrollrechte der Opposition im gesamten. Es wurde ein Versuch gemacht den kleinen Oppositionsparteien mehr Möglichkeiten der Kontrolle zu geben. Wobei sicher der Gedanke der Regierungsfraktionen mitgespielt hat, dass die beiden kleineren Oppositionsparteien ihre Rechte nicht genauso exzessiv nutzen werden, wie es die FPÖ üblicherweise getan hat. Aus diesem Grunde heraus bezeichnet sich die FPÖ als die eigentliche einzige Oppositionspartei, da die beiden anderen Fraktionen der Opposition nur Anhängsel an den Regierungsfraktionen seien, sogenannte "Appendixparteien". Diese Geschäftsordnungsreform wurde von den Freiheitlichen als "massiven Anschlag auf den Parlamentarismus" bezeichnet. Da üblicherweise eine Reform der Geschäftsordnung gemeinsam mit allen im Parlament befindlichen Fraktionen durchgeführt wird, kam es zu diesen Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsfraktionen und beiden kleineren Oppositionsfraktionen mit den Freiheitlichen. Die Regierungsfraktionen kritisierten, dass sich die Freiheitlichen gar nicht um eine gemeinsame Lösung bemüht hätten, und die beiden anderen Oppositionsparteien hielten den Freiheitlichen vor, nur sich selbst als Oppositionspartei zu sehen und die anderen Oppositonsfraktionen die Kontrollrechte verweigern zu wollen. Die Freiheitlichen hielten den Klubobmann der sozialdemokratischen Fraktion Dr. Kostelka vor, dass er nie eine Einigung mit der FPÖ erreichen wollte und dass, die beiden Oppositionsfraktionen von den Regierungsfraktionen als "Feigenblatt" für diese Geschäftsordnungsreform missbraucht wurden. In seiner Plenumsrede vom 7. Juli 1996 meinte Mag. Ewald Stadler weiters, dass diese Reform "eine Beschränkung des Parlamentarismus" ist, die "die Bezeichnung Parlamentarismus nicht mehr verdient". Dr. Kostelka behauptet in seinen Debattenbeitrag zur Geschäftsordnungsreform am 7. Juli 1996, dass "die Mehrheit des Hauses" sich dieses nicht mehr gefallen lässt. Er kritisierte weiters, dass die Freiheitlichen zu sehr den deutschen Bundesrat als Vorbild für die Entwicklung des österreichischen Parlamentarismus ins Auge gefasst hätten, da diese eine Zwischenrede nach Muster des deutschen Bundestages schaffen wollten. Der Klubobmann fügte weiters hinzu, dass die FPÖ neidisch wären, weil sie das Recht der Einberufung der Sondersitzungen nicht mehr allein hätten. Der freiheitliche Abgeordnete Ofner sieht in der Nutzung der Mittel der Geschäftsordnung wie sie bis jetzt von den Freiheitlichen durchgeführt worden sind keinen Missbrauch. Er meinte in diesem Zusammenhang, dass man von einem Missbrauch nur sprechen kann, wenn dieser "über die Grenzen des gesetzlichen Rahmens hinausgehe", wenn aber gewisse Rechte "im Gesetz fest gehalten wurden, dann ist es kein Missbrauch". Genau das ist mein Ausgangspunkt für meine Arbeit, denn alle "Aktionen" die von den Fraktionen im Parlament durchgeführt werden sind rechtlich erlaubt, sie befinden sich auf Grundlage der Geschäftsordnung. Trotzdem können Rechte so genutzt werden, dass sie anderen Fraktionen schaden bzw. die Arbeit der anderen Fraktionen behindern. Ob es dieses Behindern oder diese "Torpedieren" der Opposition gibt versuche ich anhand dieser Arbeit aufzuzeigen.

Doch nicht nur die Freiheitlichen haben die Geschäftsordnungsreform kritisiert und sind sogar aus dem dementsprechenden Ausschuss ausgezogen, sondern auch die Liberalen, die dieser Reform zwar mitgetragen haben, brachten trotzdem kritische Bemerkungen zu einige Punkten der Reform an. Den Liberalen nach, geht es bei dieser Reform um keine grundsätzliche Reform sondern nun eine Reaktion auf unplanbare Sitzungsverläufe. So kam es wieder zu keiner Reformierung der Verfahrensweise in den Untersuchungsausschüssen, keinen neuen Überlegungen im Bezug auf die Wahlen im Nationalrat, zu keinen neue Regelung im Bezug auf die Klubbildung und zu keiner Strukturreform der Budgetdebatte.

Gerade die Verfahrensweise in den Untersuchungsausschüssen ist ein Problem, dass schon bei der Geschäftsordungsreform 1988 zu Diskussionen angeregt hatte. Schlussendlich traute man sich nicht über diese Problematik hinweg. Bei der Reform von 1988 kam es in Bereich der Untersuchungsausschüsse zu folgender Erneuerung: "Gemäss § 33 Abs. 3 GOG ist auf Beschluss des Untersuchungsausschusses Medienvertreter bei der Vernehmung von Zeugen und Anhörung von Sachverständigen Zutritt zu gewähren." Auch 1993 stand der Punkt "die Weiterentwicklung und Verbesserung des Instrumentariums der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse" wieder auf dem Plan der Reform. Doch bei den Bestimmungen über das Verfahren der Untersuchungsausschüsse gab es 1988, wie auch 1993, und auch bei dieser GOG-Reform keine Verbesserung in diesem Punkt. Solange keine Reform in Bezug auf das Verfahren der Untersuchungsausschüsse gibt, wollen die Liberalen nicht, dass das Verlangen von Untersuchungsausschüsse zu einem Minderheitenrecht wird, da die Gefahr des Missbrauch grösser ist als die des Nutzens für die parlamentarische Minderheit.

Auch die "Zwischenrede nach deutschem Vorbild" wurde als Vorschlag 1993 genauso wie 1996 in die Diskussion eingebracht. Diesmal wurde der Vorschlag von den Freiheitlichen eingebracht, der bei dieser Geschäftsordnungsreform nicht weiters berücksichtigt wurde, sondern eher nur zu einer herben Kritik von seiten des SPÖ-Klubobmanns führte.

Am 30. Jänner wurde der Antrag 29/A von den Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, Dr. Andreas Khol und Genossen eingebracht. Es handelt sich bei diesem Antrag 29/A um ein Bundesgesetz mit dem das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975) geändert wird.

Im Bericht des Geschäftsordnungsausschusses sind die Abänderungsvorschläge aufgelistet, die zusammengefasst folgendermassen lauteten:

"Die überreichten Vorschläge sollen einerseits einen geordneten Sitzungsablauf ermöglichen, andererseits zu einer Verlebendigung der Nationalratsdebatten beitragen. Sie stellen eine Diskussionsgrundlage dar und sollen im Zuge der Debatte im Geschäftsordnungsausschuss um weitere Bereiche ergänzt werden, wie z.B.:

- planbare Sitzungsdauer

- Enderledignung von Berichten in Ausschüssen, wobei in diesem Fall die Medienöffentlichkeit des Ausschusses gewährleistet sein soll;

- Optimierung bestehender Einrichtungen sowie

- Anpassung der Geschäftsordnung an die EU-Begleitgesetze (Ständiger eigener Unterausschuss des Hauptausschusses gemäss

Art. 23e B-VG)."

"Zur Vorbereitung der Novelle zum Geschäftsordnungsgesetz 1975 wurde eine informelle Arbeitsgruppe bestehend aus den Mitgliedern der Präsidialkonferenz sowie Vertretern der parlamentarischen Klubs und der Parlamentsdirektion eingesetzt. Diese Arbeitsgruppe hielt unter dem Vorsitz des Präsidenten des Nationalrates insgesamt fünf Sitzungen ab. Am 4. Juli 1996 setzte der Geschäftsordnungsausschuss seine Beratungen fort."

Ab 15. September 1996, ab der erste Sitzungen nach der Sommerpause, gilt diese GOG-Reform die folgende Neuerungen bringt:

1) Die Sitzungen nach § 46 Abs. 5, die sogenannte Sondersitzungen können durch 20 Abgeordnete beantragt werden, jedoch kann ein Abgeordneter nur einen Antrag pro Jahr unterschreiben. Jetzt besteht aber die Möglichkeit für die kleinen Oppositionsparteien, die über weniger als 20 Abgeordnete verfügen eine Sondersitzung pro Jahr zu beantragen. Die FPÖ kann pro Jahr nur noch zwei Sondersitzungen beantragen, die Grünen und Liberalen jeweils eine.

2) Die Möglichkeit eines "Dringlichen Antrags" wurde eingeführt. Die Dringliche Anfrage wird von 16.00 auf 15.00 vorverlegt. Pro Sitzungstag kann es nur einen Dringliche Anfrage oder Dringlichen Antrag geben. Die Debatten werden nicht mehr als drei Stunden dauern. Jeder Klub kann pro Jahr mindestens vier Dringliche Anfragen einbringen. Der FPÖ stehe künftig 12 (bisher 16) Dringliche zu den Liberalen 6 (statt 4), den Grünen fünf (statt drei). Ein Entschliessungsantrag kann am Tag der Einbringung dringlich behandelt werden.

3) Ein Sitzungstag soll etwa zwölf Stunden dauern. Der Opposition werden 4 Stunden für Dringliche Anfragen und weiteren Kontrollinstrumente zugestanden, 8 Stunden sollen für die Gesetzgebung verwendet werden.

4) Die Redezeit wurde generell von 40 auf 20 Minuten beschränkt. Der Erstredner in einer Debatte kann 10 statt bisher 20 Minuten sprechen. Der zweite Redner einer Fraktion kann ebenfalls nur 10 Minuten maximal sprechen, ab dem dritten Redner gilt eine Redezeit von nur mehr 5 Minuten.

5) Ausschüsse können ab September öffentlich tagen. Berichte werden nicht mehr im Plenum behandelt sondern in den zuständigen Ausschüssen enderledigt. Über einen Beschluss des Ausschusses kann die Öffentlichkeit bei Expertenhearings bei der Behandlung wichtiger Gesetzesvorlagen zugelassen werden. Mit Mehrheitsbeschluss kann auch der Rechnungshofausschuss bei der Anhörung von Auskunftspersonen öffentlich tagen.

6) Bei Anträgen kann die Opposition künftig nicht nur erzwingen, dass diese innerhalb eines Jahres im Ausschuss vorberaten werden. Fünf Abgeordnete können zweimal im Jahr einen Antrag unterzeichnen der sicherstellt, dass der Antrag innerhalb eines Jahres bis zur Abstimmung ins Plenum gebracht werden muss.

7) Grundsätzlich soll der Nationalrat künftig in Vier-Wochen-Rhythmus tagen: eine Woche Plenum, zwei Wochen Ausschüsse, eine Woche für die Arbeit im Wahlkreis.
 
 
 
 

3. Die Aufgaben des Parlaments:

Der Nationalrat übt gemeinsam mit dem Bundesrat im Zusammenwirken mit anderen Organisationen die Gesetzgebung des Bundes aus. Die Mitglieder des Nationalrates sind vom Bundesvolk gewählt. Die "erste" Kammer des Parlaments, der Nationalrat ist ein allgemeiner Vertretungskörper. Im Mittelpunkt der Aufgaben des Nationalrates steht die Ausübung der Gesetzgebung. Weitere Aufgaben des Nationalrates sind die Mitwirkung an der Vollziehung sowie die Kontrolle der Vollziehung.

Bei der Gesetzgebung dominieren die Regierungsfraktionen, da sie derzeit Gesetze beschliessen können, ohne auf Stimmen der Opposition angewiesen zu sein. Die Kontrolle fällt somit der Opposition zu. Zur Vereinfachung bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema habe ich die Aufgaben des Parlaments in zwei Kategorien eingeteilt: Gesetzgebung und Kontrolle.

Nach Dr. Werner Zögernitz wurden die Rechte der Opposition in den letzten Jahren stark ausgebaut und somit wurde die Kontrolle des Parlamentes gegenüber der Regierung gestärkt, da die Oppositionsparteien diese Aufgabe übernehmen. Auf der anderen Seite sollte jetzt die Gesetzgebung als Funktion im Parlament aufgewertet werden. Dies sollte in der Geschäftsordnungsreform 1996 erfolgen.

Zögernitz geht darauf ein, dass der Umfang der Plenardebatten in den letzten Jahren geradezu explodiert ist, jedoch die Anzahl der beschlossenen Gesetze abgenommen hat. "Damit entfernt sich der Nationalrat trotz zusätzlicher Arbeitsbelastung zunehmend von seiner eigentlichen Aufgabe, nämlich der Gesetzgebung."

Die Aufgabe der Opposition im Parlament besteht in der Kontrolle der Regierung und in der Mitarbeit an der Gesetzgebung. Die Kontrolle der Regierung durch die Opposition bedeutet aber nicht die Behinderung der Arbeit der Regierung. Die Regierung ist durch die Wahl vom Volk legitimiert und gleichzeitig verpflichtet ihre Arbeit zu erfüllen. Die parlamentarische Opposition hat nicht das Recht diese Arbeit zu verunmöglichen.

Der dritte Nationalratspräsident Dr. Brauneder hat zu diesem Ansatz folgende Meinung: "Zum Wesen der Opposition gehört es, die von ihr unrichtig eingeschätzte Arbeit der Regierung zu verhindern. Das macht allerdings die Regierungsmehrheit unmöglich, sie verhindert auch in der Regel die Berücksichtigung von Initiativen der Oppositionspartei. Dieser verbleibt daher nur ein Behindern der Regierungsaktivitäten um auf Alternativen aufmerksam zu machen" In diesem Zusammenhang wird das Problem der Einbindung der Opposition in den Gesetzgebungsprozess angesprochen, welches in dem Kapitel Gesetzgebung genauer behandelt wird. Auch Dr. Wilhelm Brauneder kritisiert, dass Alternativen von der Opposition nicht angenommen werden. Auf der anderen Seite sehen die Regierungsfraktionen keinen Willen der Freiheitlichen zur Zusammenarbeit. Dr. Khol bezeichnet die FPÖ als "obstruktionsnahe", wobei der den anderen beiden Oppositionsparteien doch zugesteht "teilweise konstruktiv" zu sein.

Der erste Präsident des Nationalrates Dr. Fischer geht an dieses Problem ganz anders heran. Er meint, dass "es nicht die Aufgabe der Opposition ist, die Regierung zu unterstützen oder zu behindern, sondern dass, die Aufgabe der Opposition ist, die Regierung zu kritisieren, zu kontrollieren bzw. Alternativprogramme zu entwickeln". Doch ersten sollte das Parlament als ganzes die Regierung kontrollieren und nicht die Opposition allein und zweitens stellt sich wieder die Frage: Was nutzt es den Oppositionsparteien Alternativprogramme zu erstellen, wenn sie sich sicher sind, dass diese von den Regierungsfraktionen, die die Mehrheit in Parlament haben, nicht berücksichtigt werden ?

Ist dann das Behindern der parlamentarischen Arbeit vielleicht wirklich die einzige Möglichkeit um auf Alternativen aufmerksam zu machen ?

Auch die Liberalen die jeglichen Aktionismus ablehnen, zogen demonstrativ aus dem Budgetausschuss aus, um so ihre Kritik an dem Umgang der Regierungsfraktionen mit den Oppositionsfraktionen anzubringen. Die Liberalen jedoch lehnen es strikt ab die Regierung an ihrer Arbeit zu behindern, da diese die Aufgabe vom Volk übertragen bekommen hat, zu arbeiten. Doch die Liberalen stellen die Behauptung auf, dass das derzeitige Parlament immer mehr zu einem "Scheinparlament" verkommt.

Unter "Scheinparlamentarismus" versteht die liberale Klubdirektorin Dr. Häusler, das Parlament als Abstimmungsmaschinerie, indem die Sachen durch die Ausschüsse gejagt werden und im Plenum darüber abgestimmt wird, ohne dass die Abgeordneten wissen, über was sie eigentlich gestimmt haben.

Die Freiheitlichen behaupten von sich eine besondere Beziehung zum Parlament zu haben. Deshalb umschreibt Mag. Stadler das Parlament als fokussierenden Ort, wo Politik fokussiert wird, wo der Brennpunkt auch der Parteienpolitik ist, nachdem die Parteien ja massgebliche Träger der repräsentativen Republik in Österreich sind. Im Plenum erhoffen sich die Parteien, egal ob Regierungsfraktion oder Oppositionsfraktion die Zustimmung der öffentlichen Meinung. Nach Stadler ist das "permanent, das ist ja die Essenz einer parlamentarischen Demokratie."

Der freiheitliche Klubdirektor Moser kritisiert, dass man mit Hilfe der GOG-Reform "Ladenschlusszeiten" für das Parlament einführen möchte. Er meinte dazu, dass es in einer Demokratie nicht darum gehen kann, dass Parlamentarier um 9 Uhr kommen und um 22.00 wieder gehen können, wenn es etwas wichtige zum Diskutieren gibt, dann muss man bis 4.00 im Parlament bleiben.
 
 

3.1. Die Gesetzgebung

(Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat aus. (Art. 24 B-VG))

Die Opposition hat die Möglichkeit mit 5 Abgeordneten eine Gesetzesinitiative zu erwirken. Da jede Fraktion im Parlament mehr als fünf Abgeordnete hat, kann diese Möglichkeit von allen Fraktionen genutzt werden. Das Problem besteht jedoch darin, dass diese Gesetzesinitiativen der Opposition von der Regierung aus den verschiedensten Gründen nicht berücksichtigt werden. Die Mehrzahl der Gesetzesinitiativen stammen daher von den Regierungsfraktionen.

Die Regierungsfraktionen müssen eine Einigung mit ihren eigenen politischen Institutionen finden. Gesetzesinitiativen müssen mit der Partei und mit den parteieigenen Organisationen abgesprochen werden. Wenn diese Einigung erreicht wurde, muss ein Konsens mit dem Koalitionspartner geschaffen werden. Nach diesem langwierigen Prozess haben die Regierungsfraktionen kein Interesse mehr auf Vorschläge der Opposition einzugehen, da dies eine erneute lange Diskussion mit sich bringen würde, die den Gesetzgebungsprozess verlängert und erschwert. Auf dieses Problem angesprochen meinte Dr. Kostelka in einem Interview mir gegenüber, dass er "die Frustration der Oppositionsparteien" in diesem Punkt durchaus verstehe.

Eine zweite Erklärung für das nicht Einbinden der Opposition in den Gesetzgebungsprozess, gab mir Dr. Werner Zögernitz, der meinte, dass die Initiativen der Opposition oft nicht in die politische Richtung der Regierungsfraktionen passen.

Es ist daher verständlich, dass die Opposition Kritik an der derzeitigen Situation im Parlament übt. Frau Dr. Schmidt bezeichnet das Parlament als ein "Vollzugsorgan der Regierung". Weiters kritisiert die Liberalenchefin, dass die Regierungsfraktionen " ihre Parteien im Parlament" benützt, "um das Formalerfordernis des Gesetzesbeschlusses erfüllen zu lassen."

Die Klubdirektorin des Liberalen Forums Frau Dr. Häusler erwähnte, dass das Liberale Forum in der letzten Gesetzgebungsperiode (GP) an die 47 Anträge gestellt hätte. Nicht alle dieser Anträge waren Gesetzesanträge, sondern auch Entschliessungsanträge wurden gestellt. Von diesen 47 Anträge wurden 6 Anträge behandelt, diese wurde danach aber abgelehnt. Das Liberale Forum fühlt sich nach Aussagen der liberalen Klubdirektorin bei der Mitarbeit an der Gesetzgebung übergangen. Das klassische Beispiel bei dem der Gesetzesvorschlag des Liberalen Forums nicht berücksichtigt wurde, war das Poststrukturgesetz. Dieses wurde in der ersten GP eingebracht in der das Liberale Forum im Nationalrat vertreten war. Bei diesem umfassenden Initiativantrag handelte es sich um die Postprivatisierung, welches nach Aussagen von Frau Dr. Häusler schon damals ein diskutiertes Thema war. Trotzdem wurde dieser Antrag nicht behandelt. Nach den Wahlen im Oktober 1994 wurde derselbe Antrag wieder eingebracht und nach den letzten Wahlen zum Nationalrat im Dezember 1995 ein weiters Mal. Danach kam eine Zusage von Seiten der Regierungsparteien, dass dieser Antrag gemeinsam mit der Regierungsvorlage, die noch in Arbeit war im Ausschuss behandelt werden soll. Schlussendlich aber wurde die Postprivatisierung als Abänderungsantrag zum Strukturanpassungsgesetz von ÖVP und SPÖ ins Parlament gebracht.

Dr. Kostelka meinte in Bezug auf diesen Initiativantrag des Liberalen Forum: "(...) die Liberalen haben sich hingesetzt und haben auf der grünen Wiese, oder wenn sie wollen auf dem Zeichenbrett eine Idealstruktur eines Postbetriebes gemacht. Das ist aber eine völlige Illusion zu glauben, dass der grösste oder zweitgrösste Ausgliederungsfall eines Bundesbetriebes der Geschichte - nicht nur der Republik - der Geschichte schlechthin, dass der bewältigbar ist ohne Verhandlungen mit den Betroffenen."

Dr. Brauneder verglich die Situation der Opposition bei der Gesetzgebung mit der des Bundesrates. Der Dritte Präsident meinte dazu folgendes: "Nehmen wir an der Bundesrat wäre gegen etwas, was der Nationalrat macht, oder macht einen anderen Beschluss. Jetzt ist der Nationalrat behindert, aber er kann einen Beharrungsbeschluss fassen, und dann ist es passiert. Nicht! So ist der Bundesrat sowie die Opposition im Nationalrat. So kann man das sehen."

Der Klubdirektor der Freiheitlichen Dr. Moser kritisiert, dass sich die parlamentarische Arbeit vom Parlament weg verlagert hat in die Sozialpartnerschaft. Dr. Moser meint dazu, dass de facto schon alles ausgehandelt und festgelegt ist, bevor diese Themen im Plenum diskutiert und abstimmt werden.

Unter den Begriff Scheinparlamentarismus versteht Moser ein Parlament dessen Arbeit de facto von der Sozialpartnerschaft übernommen worden ist. Für ihn bedeutet dass, "das der Parlamentarismus in die Richtung geht, dass wir de facto nur noch den Stempel auf Gesetzesmaterial aufdrucken, d.h. das ein Gesetz auf den geordneten Weg zustande gekommen ist, aber inhaltlich de facto die Angelegenheiten der Sozialpartnerschaft ist."

Ausserdem nutzen die Regierungsfraktionen nach Moser ihre 2/3-Mehrheit aus, ein Beispiel wäre dafür das Strukturanpassungsgesetz, wo man Verfassungsbestimmungen beschlossen hat um sie von der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes entziehen zu können. Es gab daraufhin die Annahme das diese Verfassungsbestimmungen, eine Gesamtänderung der Bundesverfassung gleichkommt und deshalb eine Volksabstimmung durchgeführt hätte werden müssen.

Der Freiheitliche Klubdirektor ist durchaus der Meinung, dass eine aktive Teilnahme an der Gesetzgebung möglich ist, z. B. durch die Arbeit in den Ausschüssen und Unterausschüssen, weiters bei sonstigen Beratungen bei denen die Oppositionsparteien ihre Vorstellungen in einer bestimmten Form umsetzten können.

So können die Oppositionsparteien zum Beispiel Initiativanträge, Entschliessungsanträge oder Abänderungsanträge einbringen. Ob Initiativanträge der Opposition von der Regierung wahrgenommen werden, hängt von dem Demokratieverständnis der einzelnen Parteien ab, meint Moser.

Dr. Kostelka der Klubobmann der SPÖ glaubt, dass es "ja nicht im Interesse der Opposition sein kann wenn es überhaupt keine Regierungs- und Gesetzgebungsentscheidungen gibt." Es liegt im Wesen der Opposition als Minderheit, dass sie inhaltlich nur soweit auf die Entscheidung Einfluss nehmen kann, als die Mehrheit dazu bereit ist. Das ist die Gesetzmässigkeit des Parlamentarismus." Bei der Ausarbeitung eines Gesetzes muss man mit den betroffene Gewerkschaften, mit den Ministerien, mit den Ländern, mit öffentliche Organisationen, verhandeln und dann muss klubintern die Zustimmung eingeholt werden und zum Schluss muss noch mit dem Koalitionspartner eine Übereinkunft getroffen werden. Wenn dann ein Gesetzesentwurf entstanden ist, kann kaum noch auf die Wünsche der Opposition eingegangen werden. Es gibt aber auch Gesetzesentwürfe, die man mit der Opposition ausarbeitete, wie zum Beispiel der Gesetzesentwurf über den Lauschangriff und beim Thema des Schutzalters. Die Tendenz geht in die Richtung, dass Gesetzesentwürfe nicht im Parlament entstehen, sondern in den Institutionen ausserhalb des Parlaments, dass gibt auch Dr. Kostelka zu
 
 

3.2. Die Kontrolle der Regierung:

"Parlamentarische Kontrolle ist ein Teilsystem des Gesamtsystems staatlicher Kontrolle."

Die Abgeordneten des Nationalrates haben bestimmte Rechte und Mittel um die Regierung kontrollieren zu können. Die Kontrolle kann von den einzelnen Abgeordneten durchgeführt werden, durch Anwendung des Interpellationsrechtes, des Resolutionrechtes, mit Hilfe des Enqueterechtes und weiters kann der Nationalrat der gesamten Regierung oder einzelen Mitgliedern durch eine ausdrückliche Entschliessung das Vertrauen versagen (Misstrauensvotum). Die Möglichkeit einer Interpellation kann auf verschiedenste Weise durchgeführt werden. Abgeordnete können Dringliche Anfragen stellen oder in der Fragestunde, die am Beginn jeder Sitzung stattfindet, wenn keine Aktuelle Stunde durchgeführt wird, ein mündliche Anfrage stellen. Die Interpellation dient dazu die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen, im Rahmen dieser können alle einschlägigen Auskünfte verlangt werden. Mit Hilfe einer Resolution kann der Nationalrat seinen Wünschen über die Ausübung der Vollziehung gegenüber der Bundesregierung und ihren Mitgliedern durch Entschliessungen Ausdruck verleihen. Das Verlangen eines Untersuchungsausschüsse benötigt im Nationalrat einen Mehrheitsbeschluss. Das wohl stärkste Mittel der Kontrolle, welches aber kaum Anwendung findet ist das Misstrauensvotum, welches ebenfalls eine Mehrheit im Nationalrat benötigt. Weiters können einzelne Mitglieder des Nationalrates durch einen Beschluss wegen Gesetzesverletzung beim VfGh angeklagt werden.

Die parlamentarische Kontrolle ist in einem sehr umfassenden Sinn zu verstehen: Es geht nicht nur um eine "Überprüfung" der Tätigkeit von Regierung und Verwaltung im Sinne der Kriterien "Richtigkeit", "Sparsamkeit", und "Zweckmässigkeit", sondern es geht darüber hinaus um die Schaffung von Transparenz, um die Offenlegung von Entscheidungsabläufe, um das Aufzeigen von Unterlassungen oder von alternativen Handlungsmöglichkeiten, also um die Qualität des Regierungsprozesses im umfassenden Sinne.

Nach Andreas Nödl ist die parlamentarische Kontrolle "die Geltendmachung der Verantwortlichkeit durch einen autonomen, alternativen und legitimen Machtträger mittels kritischer Überprüfung und Beeinflussung, nicht aber mit Hilfe von Beherrschung, wobei die Maßstäbe für die Geltendmachung der Verantwortlichkeit primär im politischen Bereich zu suchen sind."

Die gegenseitige Kontrolle der Parteien beginnt oft schon bei der Zusammenarbeit im Plenum oder in den Ausschüssen. Deshalb muss bei der Analyse der Kontrollfunktion des Parlaments auch die parlamentarische Kooperation, besonders bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden.

Das Parlament hat die Aufgabe die Regierung zu kontrollieren. Doch da die Regierungsfraktionen die Regierung eher unterstützen als kontrollieren, bleibt die Kontrolle der Regierung bei den Oppositionsparteien. So beschreibt auch Heinrich Neisser in seinem Artikel: "Die Kontrollfunktionen des Parlamentes" , dass die "Trennlinie der Gewalten" zwischen der Regierungsmehrheit ( d.h.: Regierung und parlamentarische Mehrheitsfraktion) und der Oppositionsparteien verläuft. Weiters meint Neisser dass, die österreichischen Bundesverfassung "in vieler Hinsicht noch immer dem Leitbild, wonach das Parlament als politische mehr oder minder homogene Volksvertretung und geschlossene Einheit der Regierung gegenübersteht," folgt. Aus diesem Grund können gewisse Rechte nur von der Mehrheit eingesetzt werden.

Die in der Geschäftsordnung festgesetzt Kontrollrechte regen immer wieder zur Diskussion an, da sie diesem in der Bundesverfassung festgelegten Leitbild nicht entsprechen. Die Opposition hat die Kontrolle Grossteils ohne die Hilfe der Regierungsfraktionen zu bewältigen.

Das Recht der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, wäre ein wirksames Kontrollrecht der Opposition gegenüber der Regierung. Jedoch würde die Opposition eine Mehrheit benötigten um diesen Einsetzen zu können. Nach mehreren GOG-Reformen wurde dieses Recht nicht zu einem Minderheitenrecht umgestaltet. Wobei seit langem über ein einheitliches Verfahren des Untersuchungsausschusses, ohne eine Einigung zu erzielen diskutiert wurde. Die Liberalen wollen zuerst diesen Punkt reformieren, bevor die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Minderheitenrecht wird, da diese einen Missbrauch befürchten. Für die Liberalen sich die Kontrollrechte die im GOG festgehalten sind, nicht zum Missbrauch bestimmt. Sondern eine sinnhaftes Gebrauchen dieser wird angestrebt.

Während den Verhandlungen zur GOG-Reform ist ein Streit zwischen den Oppositionsparteien ausgebrochen. Denn die beiden kleineren Fraktionen in Parlament waren durchaus an dieser Reform interessiert, auch wenn sie diese nicht ohne Kritik annahmen.

Die Freiheitlichen die gegen diese GOG-Reform bestimmt hatten, sehen sich aufgrund ihrer Haltung gegenüber den Regierungsfraktionen als die einzige Oppositionspartei im Parlament. Die anderen beiden Oppositionsparteien wurden von Vertretern der FPÖ als "Appendixparteien" denunziert. Die Grünen und das Liberale Forum wiederum kritisierten die FPÖ in dem Punkt, dass nur die Freiheitlichen für sich gewisse Rechte in Anspruch nehmen will.

Die FPÖ vertritt also die Meinung, dass nur sie als einzige Partei im Parlament die Kontrolle gegenüber der Regierung durchführt. Die parlamentarische Kontrolle ist nach "ihrem Wesen nach politische Kontrolle".

Die Anzahl der Plenardebatten ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Trotzdem wurde weniger Zeit für die Behandlung von Gesetzesvorlagen verwendet. Anstatt dessen wurden Dringliche Anfragen behandelt und andere parlamentarische Geschäftsordnungsdebatten abgehalten. Nach Dr. Zögernitz hat sich der Anteil der zweiten parlamentarischen Funktion, der Kontrolle erhöht.

Von 1970 bis 1994 wurden 6 Sondersitzungen auf Verlangen einer Minderheit abgehalten. Allein im Jahr 1995 wurden 7 Sondersitzungen einberufen. Diese 7 Sondersitzung wurden von nur einer einzigen Partei verlangt, von der FPÖ.

In den vier Jahren der XVII GP wurden 31 Dringliche Anfragen eingebracht, 1995 waren es 32 Dringliche Anfragen. In der 51. Plenarsitzung, die 22 Stunden dauerte wurden nur Dringliche Anfragen bzw. andere parlamentarische Geschäftsordnungsdebatten behandelt, jedoch keine Gesetzesvorlagen diskutiert. Die Diskussion über Gesetzesvorlagen nimmt ab, aber die "Sonderaktionen" der Oppositionspartei nehmen zu. Diese "Sonderaktionen" finden meistens zu Tageszeiten statt, die für die Medienberichterstattung sehr günstig sind. Die politisch wichtigen Diskussionen werden immer weiter in die Nacht verschoben.

Durch solche "Sonderaktionen" hat sich der Zeitaufwand für die Kontrollfunktionen stark erhöht.

Dr. Zögernitz kritisierte, dass die echte und dringende Kontrolle durch eine oberflächliche parlamentarische Diskussion von den Oppositionsparteien ersetzt wird. Die Opposition zeige kein echtes Interesse an der Kontrolle, es geht diesen nur darum die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen.

Eine durchaus sinnvolles Kontrollmittel ist der in der GOG-Reform 1993 geschaffene Unterausschuss des Rechnungshofes, der bis Jänner 1996 nie zusammentrat. Hier könnte echte Kontrolle durchgeführt werden.

Abstimmungen können auf Wunsch der Opposition auch namentlich durchgeführt werden, somit wird aber das Verfahren viel zeitaufwendiger. Bei der Plenarsitzung am 13.11.1995 benötigte man insgesamt 2 ½ Stunden für die namentliche Abstimmung.

Die klassischen parlamentarischen Kontrollinstrumente sind die schriftliche parlamentarische Interpellation, die Dringliche Anfrage, die Fragestunde, die Aktuelle Stunde, der Untersuchungsausschuss. Ausserdem kann eine Minderheit im Nationalrat eine Sonderprüfung durch den Rechnungshof verlangen und Debatten im Plenum über die Berichte der Volksanwaltschaft und über den Rechnungsabschluss.

Für die Freiheitlichen ist die Kontrolle der Regierung die wichtigste Aufgabe im Parlament. Dazu benötigen sie gewisse Rechte, die in der GOG festgeschrieben sind, um eine schlagkräftige Opposition zu bleiben. Die Freiheitliche kritisieren, dass die Regierung ihnen diese Rechte wegnehmen will, weil es der Regierung weh tut, wenn die Freiheitlichen diese einsetzten. Der FPÖ muss aber auch klar sein, dass die Regierung gewisse Gegenstände zu erledigen hat, d.h. dass Themen aus den Ausschüssen behandelt werden müssen und Gesetze diskutiert und über diese abgestimmt werden muss. Es kann nicht nur eine Kontrolle im Parlament geben, sondern es muss auch die Gesetzgebung durchgeführt werden. Der freiheitliche Klubobmann ist aber der Meinung, dass sowieso viele Kompetenzen in puncto Gesetzgebung an Brüssel abgegeben worden sind, und dass aufgrund dessen die Kontrolle gegenüber der Gesetzgebung im österreichischen Parlament wichtiger geworden ist. Das Rezept Stadlers in diesem Punkt würde lauten: " Kontrolle des Parlaments stärken - die Gesetzgebung ist ohnehin minimiert worden !"

Der freiheitliche Klubdirektor Moser meint: "Sichergestellt muss sein, dass die Opposition als solche allerlei Möglichkeiten hat die Regierung zu kontrollieren."
 
 

4. Opposition - Regierung:

Eine der Aufgaben der Opposition im Parlament ist die Kontrolle der Regierung. Wobei jeder der drei Oppositionsfraktionen dabei ihren eigenen Weg gehen um dieser Aufgabe nach zu kommen. Die Art und Weise wie die Freiheitlichen die Regierung versuchen zu kontrollieren, wird von den beiden anderen Oppositionsfraktionen durchaus kritisch gesehen. Die Liberalen kritisierten die von den Freiheitlichen eingebrachte Anfrage an dem Tag der Regierungserklärung im Parlament. Frau Dr. Häusler hält diese "Aktion" für einen "geschäftsordnungsmässigen Trick" um sich in Szene zu setzen. Dieses "sich in Szene setzen" versteht die Klubdirektorin in gewisser Weise, da die Opposition gegenüber der Regierung machtlos ist. Sie meinte aber weiters: " da gibt es halt konstruktivere Oppositionsparteien und destruktive, also die einen ertragen mehr sozusagen und die anderen ertragen weniger". Die Liberalen zählen die Freiheitlichen zu den destruktiven Oppositionsparteien, da z. B. die Dringliche Anfrage am Tag der Regierungserklärung nichts Positives bewirkt hatte. Diese Anfrage der Freiheitlichen musste noch vor der eigentlichen Regierungserklärung im Plenum behandelt werden. Die geplante Erklärung der Regierung musste verschoben werden, obwohl diese der wichtigste Punkt der Sitzung war.

Die liberalen Klubdirektorin sieht das Mehrheitsverhältnis im Parlament realistisch.

"Natürlich eine Mehrheit ist eine Mehrheit, das ist das Wesen der Demokratie." Es muss der Mehrheit möglich sein, was sie für notwendig hält durchzusetzen. Trotzdem kritisierte Frau Häusler, dass die Regierungsfraktionen manchmal die Grenzen überschreiten, sogar soweit, dass sich der Verfassungsgerichtshof beschwert hatte. Dass der Parlamentarismus unter der 2/3-Mehrheit leidet, glaubt nicht nur die liberale Klubdirektorin Häusler, sondern auch die Vertreter der anderen Oppositionsparteien. Die Regierungsfraktionen haben zu zweit jene Mehrheiten, die sie für die Beschlussfassung von einfachen bzw. Verfassungsgesetzen benötigen. Deshalb kann auf eine Beteiligung der Oppositionsparteien im Rahmen der Gesetzgebung verzichtet werden. Frau Dr. Häusler bedauert, dass die zwei kleineren Fraktionen nach der letzten Wahl (Dez. 1995) zusammen nicht einmal die "20er Rechte" haben. Das Problem, dass vielen Oppositionsrechte nur an eine gewisse Grösse gebunden sind, führt dazu, dass nur die Freiheitlichen diese nutzen können.

Neben der Kontrolle der Regierung, muss auch die Gesetzgebung durchgeführt werden. Faktum ist, dass die Oppositionsparteien kaum die Möglichkeiten haben ihre Vorschläge als Gesetze umzusetzen. Entweder passen die Vorschläge nicht in die politische Richtung der Regierung oder diese Gesetzesvorschläge sind nicht umsetzbar. Deshalb werden Gesetze oft nur von den Regierungsfraktionen ausgearbeitet und beschlossen.

Wie gehen die Oppositionsparteien, damit um? Ist ein Behinderung der Regierung sinnvoll?

Dr. Häusler meint, dass man nicht generell sagen kann, ob die Opposition die Regierung bei ihrer Arbeit behindert oder nicht. Doch es gibt auch immer wieder Bereichte wo Regierung und Opposition einen Konsens findet. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist unterschiedlich und hängt vom Thema ab. Grundsätzlich stellt die liberale Klubdirektorin fest, dass die Arbeit von der Opposition nicht behindert wird. Auch die Freiheitlichen behindern die Arbeit der Regierungsfraktionen im Parlament nicht, da die Einbringung einer Dringlichen Anfrage keine Behinderung darstellt. Unter Behinderung versteht Häusler, wenn zum Beispiel ein Obmann eines Ausschusses den Ausschuss nicht einberufen oder zu spät einberufen würde, oder den Ausschuss absetzten würde, wenn dort eine wichtige Vorlage beschlossen werden sollte. Ausserdem wollen die Liberalen die Regierung gar nicht behindern, da die Regierung dazu da ist zu arbeiten. "Regierungsarbeit zu behindern ist sicher nicht Oppositionsinteresse", behauptet Frau Dr. Häusler. Auf der anderen Seite jedoch sieht es so aus als würden die Regierungsparteien kein Interesse an der Arbeit der Oppositionsfraktionen haben bzw. die Arbeit immer wieder zu Nichte machen. Die Liberalen wollten ihre Ideen umsetzen, und brachten daraufhin in einem halben Jahr 47 Anträge in der XX GP ein (Stand 14 Juni 1996), damals wurden nur 6 Anträge im Ausschuss verhandelt. "Da fühlt man sich schon übergangen", meinte die liberale Klubdirektorin. Diese 6 behandelten Anträge der Liberalen wurde alle abgelehnt. Es scheint, dass die Regierungsfraktionen kein Interesse an Vorschlägen von der Opposition haben und diese einfach durch ihre Mehrheiten abwürgen. In diesem Punkt sind die Oppositionsparteien sicherlich gegenüber den Regierungsfraktionen benachteiligt, da sie kaum Möglichkeiten haben ihre Ideen umzusetzten.

Die Liberale ist der Auffassung, dass die kleinern Fraktionen in den Ausschüssen benachteiligt sind. Und zwar aus zwei Gründen: Einerseits sind die Oppostionsparteien aufgrund der Anzahl der Abgeordneten benachteiligt und andererseits aufgrund des Zuganges zur Informationen. Jeder Abgeordneten der in einem Ausschuss arbeitet, hat einen Referenten, der dem Abgeordneten das Thema aufbereitet, aber trotzdem ist eine Fraktion, die mehrere Leute in einem Ausschuss hat, im Vorteil. "Das Hauptproblem ist ja", meinte die liberale Klubdirektorin, "dass sehr viele Gesetzesinitiativen von den Ministerien vorbereitet werden, und dann gibt’s ja noch die grossen Interessensverbänden, die den grossen Fraktionen angehören, d. h. die haben die Arbeiterkammer, die Wirtschaftskammer und weiss Gott noch was alles, die ihre Sache begutachten, schicken, machen, - dass hat eine kleine Fraktion nicht."

Deshalb glaubt die Liberale, dass ihre Fraktion, sowie die beiden anderen Oppositionsfraktionen durch die Anzahl der Abgeordneten in den Ausschüssen und durch den Zugang zur Information benachteiligt sind.

Mag. Ewalt Stadler der Klubobmann der Freiheitlichen stellt die Behauptung auf, dass die Regierung das Parlament beherrscht und nicht umgekehrt. Weiters versucht die Regierung die Oppositionsparteien regierungskonform zu machen. Die Regierung möchte sowenig Widerstand im Nationalrat haben wie möglich um schnell und ohne Probleme arbeiten zu können.

Stadler erklärt weiters, dass das Parlament von den Regierungsfraktionen beherrscht wird, zeigt sich auch in dem Punkt, dass der Ablauf der Sitzungen im Plenum normalerweise von der SPÖ und ÖVP bestimmt wird. (Siehe § 8 GeoNR)

Auf der anderen Seite sollte der FPÖ doch auch klar sein, dass die Regierung gewisse Gegenstände zu erledigen hat, d.h. dass gewisse Themen von den Ausschüssen im Plenum behandelt werden müssen und dass über Gesetze diskutiert und über diese abgestimmt werden muss. Es kann nicht nur eine Kontrolle im Parlament geben, sondern es muss auch die Gesetzgebung durchgeführt werden. Der freiheitliche Klubobmann ist aber der Meinung, dass sowieso viele Kompetenzen in puncto Gesetzgebung an Brüssel abgegeben worden sind, und dass aufgrund dessen die Kontrolle gegenüber der Gesetzgebung im österreichischen Parlament wichtiger geworden ist. Der Grundsatz Stadlers in diesem Punkt würde lauten: "Kontrolle des Parlaments stärken - die Gesetzgebung ist ohnehin minimiert worden!"

Stadler geht nicht von der klassischen Gewaltenteilung von Montesquieu aus, sondern von einem politologischen Verständnis der Gewaltenteilung. Nicht das Parlament steht einer Regierung als Opposition gegenüber sondern, die parlamentarischen Fraktionen, die nicht an der Regierung beteiligt sind bilden die Opposition gegenüber den Fraktionen, die die Regierung bilden. Im österreichischen Parlament stehen also die SPÖ und ÖVP als Regierungsfraktionen, den drei Oppositionsfraktionen gegenüber und zwar der FPÖ, den Grünen und den Liberalen. Da aber nach der Meinung der FPÖ, die Grünen und die Liberalen mit ihren Ansichten regierungsfkonform sind, sehen sich die Freiheitlichen als einzige Opposition im Nationalrat. Ewald Stadler wollte die Politik des Liberalen Forums nicht erläutern, da diese Partei seiner Meinung nach "davon leben, dass sie eine Gegnerschaft zu den Freiheitlichen haben." Weiters spricht Herr Mag. Stadler davon, dass die Liberalen "ein Blinddarm, der Wurmfortsatz der SPÖ" sind. "Sie sind mit SPÖ-Unterstützung gegründet worden und verhalten sich daher auch wie eine Regierungspartei."

Der Klubobmann erklärte, dass " mit den Freiheitlichen und mit der Art und Weise wie Freiheitliche Oppositionspolitik betreiben, jetzt endlich einmal die parlamentarische Normalität, die Demokratische in Österreich einzieht, nur die ist die Regierung noch nicht gewöhnt und um das abzudrehen, gehen wir gleich her und basteln solange an der Geschäftsordnungsreform bis man glaubt die Opposition regierungskonform gemacht zu haben."

Nach der Auffassung des FPÖ Klubobmann versucht die SPÖ die ÖVP unter Druck zu setzen, damit diese mit der FPÖ keine Gespräche führen. In der vorigen GP war diese Beeinflussung seitens der SPÖ noch schlimmer, "jetzt versucht sich die ÖVP einigermassen zu emanzipieren (...). Stadler erklärt, dass die SPÖ ihre Ausgrenzungspolitik betreibt, und versucht die ÖVP unter Druck zu setzen, deshalb ist die Kommunikation zwischen der FPÖ und den Regierungsfraktionen sehr schlecht. "Die Gesprächsbasis zwischen FPÖ und SPÖ ist so gut wie nicht vorhanden", meint Stadler. Die Freiheitlichen behaupten dass, der Parlamentarismus unter der 2/3-Mehrheit der Regierungsfraktionen leidet. Durch diese 2/3 Mehrheit scheint es, dass die Oppositionsparteien bei der Gesetzgebung übergangen werden. Der freiheitliche Klubobmann kritisierte dass, Gesetzesinitiativen der Opposition nicht wahrgenommen werden, der in diesem Punkt die gleichen Meinung vertritt, wie die liberale Klubdirektorin Frau Dr. Häusler. Dieses "nicht-beachten" der Opposition, ist auf die 2/3-Mehrheit zurückzuführen, welche die Regierungsfraktionen besitzen.

Der freiheitliche Klubdirektor Moser geht bei dem Interview ebenfalls auf das Problem der 2/3-Mehrheit ein, die die Regierungsfraktionen seiner Meinung nach bis zur Gänze ausnutzen. Die 2/3-Mehrheit schadet nach Moser dem Parlamentarismus, weil absolute Mehrheiten immer schaden, da die Kontrolle eingeschränkt möglich ist. "Die Oppositionsparteien behindern die Arbeit der Regierungsparteien nicht, sie unterstützen die Koalitionsparteien in dieser Form nicht, aber sie unterstützen Österreich", erklärt Moser. "Wir stellen Alternativen vor und zwingen die Regierenden diese Alternativen für das Später zu übernehmen. Und die Bevölkerung hilft uns dabei - wenn man sich die letzten Wahlgänge ansieht."

Aus den Reihen der Oppositionsparteien kommt die Kritik, dass die 2/3-Mehrheit von den Regierungsfraktionen ausgenutzt wird. Der sozialdemokratische Klubobmann Dr. Peter Kostelka behauptet jedoch dass, eine 2/3-Mehrheit sehr bedacht und mit viel Überlegung eingesetzt wird.

Ausserdem klagt der SPÖ-Klubobmann über die schlechte Gesprächskultur die zwischen Opposition- und Regierungsfraktionen herrscht. Er bezieht sich bei dieser Aussage jedoch eher auf eine Oppositionspartei, nämlich auf die FPÖ.

Grundsätzlich stellt Dr. Kostelka fest dass, sich die Arbeit der Oppositionsparteien von der Arbeit der Regierungsfraktionen unterscheiden. Die Oppositionsfraktionen können neue Vorschläge machen und Alternativen aufzeigen, sie müssen nicht, wie die Regierungsfraktionen Kompromisse schliessen. Die Arbeit der Regierungsparteien ist durch Kompromiss geprägt. Zuerst mit den einzelnen Organisationen und Gruppen innerhalb der eigenen Fraktion, dann mit der Partei und am Schluss noch mit der Koalitionspartei.

"Die Oppositionsparteien haben es in diesem Punkt einfacher", glaubt Kostelka. Dieser mag in der Annahme schon Recht haben, wenn er meint, dass die Arbeit der Oppositionsparteien in vielen Angelegenheiten einfacher ist. Trotzdem ist es jedoch so, dass auch sehr vernünftige Vorschläge und Ideen, die von Seite der Opposition kommen nicht angenommen werden. Das führt auf Dauer zu Frust. Weiters ist Dr. Kostelka der Meinung, dass wenn man mit so viele Gruppen und Organisationen Kompromisse schliessen muss, dass es kaum möglich ist auf die Wünsche der Opposition einzugehen.

Der SPÖ-Klubobmann ist der Auffassung dass, auch wenn eine Einheit zwischen Regierung und Regierungsfraktion im Parlament vorherrscht, eine Kontrolle weiterhin besteht. Intern werden zwischen Partei und Fraktion viele Dinge abgesprochen, das in gewisser Weise auch schon einer Kontrolle gleichkommt. Es muss zu einem Kompromiss zwischen Fraktion und Partei kommen. Eine totale Opposition der Fraktion zur eigenen Regierung kann es nicht geben.

Der ÖVP-Klubdirektor Dr. Werner Zögernitz stellte die Behauptung auf, dass aktionistische Abgeordnete in einer Oppositionspartei besser aufgehoben sind, als in einer Regierungsfraktion. Weil die Regierungsfraktionen Personen brauchen, die sachlich kompetent arbeiten können und Wissen in ihre Arbeit einbringen. Für die Oppositionsparteien ist die Öffentlichkeit wichtig, da man auf sich aufmerksam machen will. Der ÖVP-Politiker erwähnte das Filibustern, welches die Grünen durchgeführt haben um Zeit zu gewinnen. Kritik übte der Klubdirektor der ÖVP gegenüber den Liberalen aus. Da seiner Meinung nach kein konstruktives Zusammenarbeiten im Budgetausschuss mit dieser Fraktion möglich war.

Dr. Zögernitz begründete, warum Gesetzesinitiativen von der Opposition, nicht aufgegriffen werden. Diese Gesetzesinitiativen passen seiner Meinung nach oft nicht in das politische Konzept der Regierungsparteien. Trotzdem haben die Oppositionsparteien sogar mehr Vorteile als die beiden Regierungsfraktionen. Die Abgeordneten der Oppositionsfraktion sind im Plenum in Bezug auf Redezeit sogar bevorzugt. Auf der Liste mit den Reden sind die Oppositionsparteien führend.

Der ÖVP-Klubdirektor behauptete, dass die Abgeordneten der kleineren Fraktionen bei der Arbeit in den Ausschüssen nicht benachteiligt sind, weil ein Mitarbeiterstab ihnen bei der Analyse von Gesetzesentwürfen behilflich ist.

Der dritte Nationalratspräsident Dr. Brauneder geht von dem Faktum aus, dass bei einer solchen Zusammensetzung des Parlamentes, wie der Nationalrat derzeit besteht, eine Oppositionspartei sowieso kaum Möglichkeiten hat die Arbeit der Regierung zu behindern. Er behauptete dazu folgendes: "Jetzt ist die Oppositionspartei immer die schwächere, dass heisst letztendlich werden sie immer unterliegen, so dass das was sie eigentlich machen könnten als realistisch gesehen nur ein Behindern ist, indem ich eben diskutiere Abänderungsanträge stelle, indem ich also alle Oppositionsmittel einsetzte, eben die sogenannten Sondersitzungen mache (...)."
 
 

5. Rechte der GO:

Auf die Frage, ob die Oppositionsparteien die Mittel der Geschäftsordnung ausnutzen, meinte die liberale Klubdirektorin Dr. Häusler, dass die Oppositionsfraktionen die Mittel der Geschäftsordnung zahlenmässig nicht ausnutzen, nicht einmal die Freiheitlichen, welche die Mittel der GOG nur bei der Gestaltung von Sitzungen ausnutzen, dort aber dann exzessiv. Die Opposition in Parlament spaltet sich in zwei Gruppen, die Freiheitliche auf der einen Seite und die beiden kleineren Oppositionsfraktionen auf der anderen. Die liberale Klubdirektorin schätzt die Grünen bei der Parlamentsarbeit ähnlich ein, wie die Liberalen, obwohl die Grünen eher zum Aktionismus neigen als die Liberalen. Wobei Frau Dr. Häusler auch feststellt, dass die Grünen, wenn sie z. B.: Maiskolben im Plenum verteilen, nicht die Geschäftsordnung, sondern besser gesagt die "Hausordnung" ausnutzen. Die liberale Klubdirektorin kritisierte, die von den Freiheitlichen eingebrachte Dringliche Anfrage am Tag der Regierungserklärung. Dieses Beispiel zeigt nach Dr. Häusler dass, diese "Aktion" nicht notwendig war. Die Aktion mit der Anfrage bei der Regierungserklärung beschreibt Frau Dr. Häusler als einen "geschäftsordnungsmässigen Trick" . Trotzdem muss festgehalten werden, dass alle "Tricks" die die Freiheitlichen im Parlament anwenden, in der GOG festgehalten und somit legitim sind. Frau Dr. Häusler bemerkte, dass es aber auch darauf ankommt was daraus gemacht wird. Sie kritisierte auch die Vielzahl der namentlichen Abstimmungen im Plenum, die je ein halbe Stunde benötigen. Die Freiheitlichen brachten 16 Anträge auf namentliche Abstimmung ein, dass ihnen aber dann selbst zu überzogen vorgekommen ist und die Freiheitlichen zogen ein paar Anträge wieder zurück.

Die Liberalen versuchen keine aktionistische Politik zu betreiben, trotzdem sind sie sehr spektakulär aus dem Budgetausschuss ausgezogen. Darauf angesprochen erklärte Frau Dr. Häusler, dass ein Auszug aus einem Ausschuss das letzte Mittel sein sollte, doch wenn man dort nur noch den Kasperl spielt, dann scheint es sinnlos zu sein im Ausschuss zu verbleiben. Dr. Häusler meinte weiters, dass der Auszug aus dem Budgetausschuss ein gewisser Aktionismus war, es war eine Aktion. Jedoch verstehen die Liberalen unter Aktionismus eher ein ständiges herumblödeln, ein Aufmerksam machen.

Der freiheitliche Klubobmann Mag. Ewald Stadler ist der Meinung, dass die Regierungsfraktionen, die Kontrollrechte der Opposition beschneiden wollen, da die Freiheitlichen für die Regierungsfraktionen zu unangenehm sind. Die Mittel die die Freiheitlichen anwenden um die Regierung zu kontrollieren, sind alle in der GOG festgeschrieben. Um also die Rechte der Freiheitlichen beschneiden zu können, wie es der Klubobmann Stadler beschreibt, muss die GOG geändert werden. Das war der Fall und es war ersichtlich, dass es zu einer Einschränkung der Rechte der FPÖ kommt.

Der Klubobmann ist ebenfalls der Meinung, dass die "sogenannten" Aktionen, Auswirkungen auf die Geschäftsordnungsreform haben. Stadler meinte, dass dieser Aktionismus trotzdem noch keinem weh getan hat. "Es geht ja nicht soweit, dass da unten Schlägereien stattfinden." Der Klubobmann gibt als Grund für die Änderung der Rechte in der GOG folgendes an: "Die Regierung will ein regierungskonformes und regierungsangepasste Parlament haben."

Den Auszug des Liberalen Forums aus dem Budgetausschuss bezeichnet der freiheitliche Stadler nicht als Aktionismus, weil es "ein legitimes Recht einer Fraktion in einem Ausschuss" ist sich zu verweigern.

Ein Vorschlag der Freiheitlichen für die GOG-Reform ist zum Beispiel, die Öffentlichkeit der Ausschüsse. Die Freiheitlichen, die sich für die Öffentlichkeit der Ausschüsse einsetzten, verlangen nicht nur eine Medienöffentlichkeit der Ausschüsse, sondern eine vollständige Öffentlichkeit, wenn es die Räumlichkeiten zulassen. Erstrangig bleibt die Medienöffentlichkeit und dann soweit die Räumlichkeiten es zulassen auch die Öffentlichkeit des Publikums. Stadler auf die Befürchtung ob es nicht zu Aktionismus kommt, wenn die Ausschüsse öffentlich sind: "Demokratie ist ein Wagnis - ein permanentes Wagnis. Wer sich von Demokratie und demokratischen - dazu gehört Transparenz und Öffentlichkeit, wer sich davor fürchtet braucht die Demokratie nicht mehr zu wagen. (...) Demokratie lebt davon, von Öffentlichkeit und Transparenz."

Rein theoretisch könnten Liberale und Grüne gemeinsam mit den Freiheitlichen eine Sondersitzung zu einem wichtigen Thema einberufen. Die Grünen organisieren mit den Freiheitlichen nichts aufgrund des "Futterneides", behauptete Stadler und die Liberalen leben von der Feindschaft zur FPÖ. Die Freiheitlichen bezeichnen die Grünen und die Liberale als "Appendixparteien", weil diese Parteien keine Opposition bilden, sondern ein Anhängsel an den Regierungsfraktionen sind.

Der freiheitliche Klubdirektor Dr. Moser meinte im Interview am 27. Juni 1996, dass die Geschäftsordnung die Rechte der Oppositionsparteien auf ein gewisse Grösse abstellen. Also gewisse Rechte können erst ab einer bestimmten Grösse verlangt werden. Doch Moser meinte, dass diese Rechte keine wahren Oppositionsrechte sind, da diese auch von den Regierungsfraktionen genutzt werden können, d h. von jenen Fraktionen, die eine gewisse Grösse besitzen. Bei der Anwendung der Oppositionsrechte, kommt es also darauf an wie offen das Verhältnis zwischen Opposition und der Regierung ist und danach richten, sich nach Dr. Moser die Ausnutzung der einzelnen Oppositionsrechte. In diesem Zusammenhang kann man nicht von einer Ausnutzung der Oppositionsrechte sprechen, da es keinen Missbrauch der Geschäftsordnung gibt, welche diese Rechte festsetzt.

Moser meinte, dass es keine "geschäftsordnungsmässigen Tricks" gibt. Es kommt darauf an wie jemand die Bestimmungen der Geschäftsordnung handhabt. Seiner Meinung nach zeichnet es jemanden aus, der sich mit dem Parlamentarismus als solches auseinandersetzt, dass er weiss welche Möglichkeiten die Geschäftsordnung bietet und diese Möglichkeiten auch tatsächlich in Angriff nimmt.

Nach der Aussage von Klubdirektor Moser sind die Oppositionsparteien in den Ausschüssen nicht benachteiligt, da das d´Hondtsche Verfahren die Zusammensetzung der Ausschüsse erstellt. Die Zusammensetzung erfolgt nach dem Stärkeverhältnis "und entsprechend dem Stärkeverhältnis kann dann ein jeder Abgeordnete im Ausschuss seine Rechte wahrnehmen". Rein rechtlich sind die Oppositionsparteien in den Ausschüssen nicht benachteiligt. Auch die FPÖ, die für eine Oppositionsfraktion eine beachtliche Grösse besitzt, hat den Vorteil über eine gewisse Anzahl von Abgeordneten zu verfügen. Die beiden kleineren Oppositionsparteien haben realpolitisch mit Nachteilen zu kämpfen, da sie über wenige Leute im Ausschuss verfügen.

Bei den Ausschüssen gibt es de facto keinen Anwesenheitszwang. Trotzdem hält es Moser nicht für klug, wenn man aus einem Gremium ausziehen würde, wo die Möglichkeit besteht an der Gesetzgebung mitwirken.

Moser forderte einem weiteren Ausbau der Rechte für die Opposition, es sollte das Interpellationsrecht ausgebaut werden, die Untersuchungsausschüsse sollten als Minderheitenrecht umgestaltet werden und im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschüssen sollten neue Regelungen bezüglich Datenschutz und Amtsverschwiegenheit getroffen werden. Weiters forderte Moser auch ein Interpellationsrecht bei ÖBB und Post auch wenn diese Unternehmen schon privatisiert sind. Deshalb wäre eine Ausweitung des Interpellationsrechts erforderlich um "nachzuschauen was mit diesen Mitteln oder zur Verfügung stellen von Möglichkeiten eben tatsächlich passiert." Ausserdem sollten Oppositionsanträge innerhalb einer bestimmten Zeit behandelt werden müssen. Moser meinte zum Abschluss seinen Aufzählungen, dass es da Forderungen und Möglichkeiten genug gäbe, die man gerne umsetzt gesehen hätte. Die Opposition hat auch nach Moser genug Möglichkeiten um im Rahmen der Geschäftsordnung auf sich aufmerksam zu machen. Es können Sondersitzungen beantragt werden, Dringliche Anfragen gestellt werden, man kann Anfragebesprechungen durchführen, es können Fristsetzungen und Sonderprüfungen des Rechnungshofes verlangt werden usw. Ein Anliegen des freiheitlichen Klubdirektors ist es, die Demokratie weiterzuentwickeln, d.h. die Opposition und die Bevölkerung soll eine gewisse Einsichtnahme gewährleistet werden. Es sollten Massnahmen der direkten Demokratien ausgeweitet werden. Zu den Grünen meinte Dr. Moser, dass diese ihre Rechte nicht ausnutzen, die sie haben und greifen daher lieber zu Aktionismus. Aufgrund dessen sind die Grünen parlamentarisch de facto fast nicht vorhanden, da sie keine Friststellungen verlangen, keine Anfragebesprechungen durchführen, keine Dringliche Anfragen einbringen, also ihre Rechte nicht nutzen.

Die Regierungsfraktionen sehen das Problem natürlich von einer anderen Seite, als die Oppositionsfraktionen. So beschäftigen die "Aktionen" der Freiheitlichen die SPÖ eher, da die FPÖ durch Nutzung ihrer Rechte den Terminplan des Parlaments über den Haufen werfen, das bei den beiden Regierungsfraktionen zu entnervten Reaktionen führte.

Zu der Ausnutzung der Rechte in der GOG meinte der SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka :" (...), dass die geschäftsordnungsmässigen Instrumentarien zugeschnitten sind in der Regel auf gewisse Verhältnisse und auch davon leben, dass sie im tocquevilleischen Sinne, jedes Rechstinstrumentarium da absurdum geführt wird, wenn die aus ihr fliessenden Rechte bis zur Neige ausgekostet werden."

"Die Freiheitlichen beispielsweise haben schon Dringliche Anfragen eingebracht in der Länge von 12 oder 14 Stunde, was wirklich öde ist, weil immer wieder die selben Argumente kommen und das ist eine Redeübung für ungeübte Parlamentarier aber mit Sicherheit nicht eine inhaltliche Auseinandersetzung." Peter Kostelka geht darauf ein dass, die Liberalen und Grünen auch diese Möglichkeiten hätten. "Die Grünen haben das Filibustern punktuell einmal betrieben, aber sie betreiben nicht Obstruktion aus System." Der SPÖ-Klubobmann bestätigte, dass das Problem der Ausnutzung von Rechten eher nur auf eine Partei beschränkt ist.

Dr. Kostelka erklärte, dass die Geschäftsordnung ein Dauerthema ist. Jetzt wurde die Reform begonnen, weil ein zusätzlicher EWR-Ausschuss geschaffen werden musste. Da man jetzt sowieso die GOG abändern musste, wollte man gleich mehrere Probleme auf einmal lösen.

Über die Reform sagte der ÖVP-Klubdirektor Dr. Werner Zögernitz, dass diese Reform bis Mitte Juli 1996 abgeschlossen sein soll. Seit 1994 wird über diese Reform diskutiert.

Obwohl es zwischen den Freiheitlichen und den Regierungsfraktionen bei der Ausarbeitung der Geschäftsordnung Schwierigkeiten gab, möchte man, meinte Dr. Zögernitz die GOG-Reform mit Einstimmigkeit beschliessen. Die Liberalen und Grünen werden für diese Reform stimmen. Die erhoffte Einstimmigkeit bei der Abstimmung über die GOG-Reform am 11. Juli 1996 wurde nicht erreicht. Die Freiheitlichen, die sich benachteiligt fühlen waren gegen diese Reform.

Der ÖVP-Klubdirektor stimmte der Annahme zu, dass gewisse Aktionen, der Oppositionsfraktionen Auswirkungen auf GOG-Reformen haben. Als Beispiel führte Dr. Zögernitz den Redemarathon der Grünen an, der in einer Reform der GOG des NR endete.

Der dritte Nationalratspräsident Dr. Brauneder ist davon überzeugt, dass die Oppositionsparteien im vollem Masse, je nach ihrer Stärke die Rechte der GOG nutzen. Die "Dringliche Anfrage" kann von Freiheitlichen, Liberalen und Grüne beantragt werden, die sogenannte "Sondersitzungen" kann aber nur von Freiheitlichen verlangt werden, da diese Fraktion die nötige Anzahl von Abgeordneten besitzt. "Das lässt irrigerweise den Eindruck erweckt, dass die Freiheitlichen die Rechte der GOG ausnützen", meinte Dr. Brauneder.

Auf der anderen Seite ist der dritte Nationalratspräsident der Meinung, dass die Regierungsfraktionen im Parlament ihre 2/3-Mehrheit "in einem überzogenen Masse" ausnutzen. Er verweist auf die Kritik aus den Reihen des Verfassungsgerichtshofs sowie der Staatsrechtslehrer. Die 2/3-Mehrheit wird benötigt um Verfassungsgesetze zu verabschieden. Dr. Brauneder erwähnte dass, die Verfassung ein sehr sensibles Instrument ist, so dass man eigentlich sich erwartet, dass es in diesem Bereich wenig Veränderungen gibt, wie zum Beispiel in der USA bzw. in der Bundesrepublik Deutschland. Gesetze werden in den Verfassungsrang gehoben um diese einer Überprüfen des Verfassungsgerichtshofes entziehen zu können. "Das ist sozusagen ein Beharrungsbeschluss des Parlaments gegenüber dem Verfassungsgerichtshofs", kritisierte der freiheitliche Nationalratspräsident.

Da die Opposition die Aufgabe hat die Regierung zu kontrollieren, muss in erster Linie die Arbeit dieser überprüft werden. Die Schwierigkeit die die Oppositionsparteien derzeit haben, ist dass die derzeitigen Regierungsfraktionen eine Mehrheit besitzen, d. h. man benötigt keine weitere Fraktion um ein Gesetz zu beschliessen. Auf dieses Problem eingehend, meinte Dr. Brauneder: "Zum Wesen der Opposition gehört es, die von ihr unrichtig eingeschätzte Arbeit der Regierung zu verhindern. Das macht allerdings die Regierungsmehrheit unmöglich, sie verhindert auch in der Regel die Berücksichtigung von Initiativen der Oppositionsparteien. Dieser verbleibt daher nur ein Behindern der Regierungsaktivitäten um auf Alternativen aufmerksam zu machen".

Ein "geschäftsordnungsmässiger Trick" ist für Dr. Brauneder das "Ausnützen der Geschäftsordnung zum eigenen Vorteil bzw. Schaden des politischen Gegners wie z.B. ehemals durch den oben erwähnten ‘Redemarathon’ " Für diesen Marathon wurden eine entsprechenden Zahl von Rednern nominiert mit dem Ziel eine medienwirksame Zeit für sich gewinnen zu können.

Der Nationalratspräsident Brauneder kritisierte wie auch die Vertreter der anderen Oppositionsparteien, dass die Initiativen der Opposition nicht berücksichtigt werden. Die Regierungsfraktionen benötigen die Oppositionsfraktionen nicht um Gesetzte beschliessen zu können, das ist auch der Grund warum die Regierungsfraktionen, die Vorschläge der Oppositionsfraktionen nicht berücksichtigen.

Aus dieser Erfahrung heraus definiert Dr. Brauneder unter den Begriff "Scheinparlamentarismus": "das Beschliessen von Regierungsvorlagen durch die Regierungsparteien ohne kritische Haltung im Parlament, besonders bei hohem Zeitdruck sowie allenfalls auch bei zu geringer Diskussion in den Ausschüssen". Grundsätzlich sieht der freiheitliche Nationalratspräsident keine Benachteiligung der Oppositionsfraktionen in den Ausschüssen. Die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen haben gewisse Rechte in den Ausschüssen und sie können Stellungnahmen abgeben. Es ist mehr oder weniger erlaubt die Arbeit in den Ausschüssen niederzulegen, wie es die Liberalen im Budgetausschuss gemacht hatten.

Eine Nichtteilnahme der Oppositionsfraktionen an der Arbeit in den Ausschüssen hält Dr. Brauneder für zulässig, ist aber in weiterer Folge ein Verzicht auf Rechte sowie auf politische Stellungnahme. Nationalratpräsident Brauneder würde nie eine Ausschuss verlassen, sowie es die Liberalen taten. Er begründete dieses folgendermassen: "Andererseits ist es natürlich so, dass ich, das meiner Partei nicht empfehlen würde, irgendwo nicht hinzugehen, weil sich das schlicht und einfach von der Arbeitsmoral im Parlament nicht gehört, (...)" Weiters würden nach den Aussagen Dr. Brauneders in den Ausschüssen viel Informationen weitergegeben, die man dann nicht zur Verfügung hätte, wenn man diesen verlässt.

Dr. Brauneder spricht sich dafür aus, dass "Kontrollrechte prinzipiell als Minderheitenrechte" gestaltet werden. Eine weitere Forderung ist eine Diskussionsstraffung durch behutsame Redezeitregelung. Ausserdem fordert Dr. Brauneder genauso wie Dr. Stadler mehr Öffentlichkeit im Parlament.
 
 

6. Sondersitzungen:

Geo des NR: § 46 Abs. 5.: " Innerhalb einer Tagung beruft der Präsident des Nationalrates die einzelnen Sitzungen ein. Wenn innerhalb einer Tagung wenigstens ein Fünftel der Abgeordneten unter Angabe eine Themas oder die Bundesregierung es verlangt, ist der Präsident verpflichtet, eine Sitzung einzuberufen, und zwar so dass der Nationalrat spätestens binnen acht Tagen nach Eintreffen des Verlangens beim Präsidenten zusammentritt."

Die FPÖ versucht die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, indem sie sehr häufig Sondersitzungen des NR verlangen. Die im Plenum diskutierten Angelegenheiten, werden über die Medien zur Bevölkerung gebracht. Ausserdem sind die Plenarsitzungen der Öffentlichkeit zugänglich. Die FPÖ will den Wählern vermitteln, dass sie mehr als alle anderen Parteien arbeiten und Ungerechtigkeiten aufzeigen. Die meisten Sondersitzungen der letzten Zeiten wurden von der FPÖ initiiert. Trotzdem ist es das Recht der FPÖ diese Sondersitzungen zu verlangen.

Während man über die GOG-Reform verhandelte, wurden zwei Möglichkeiten in Betracht genommen, wie man den "übermässigen Gebrauch" der Sondersitzungen ein Ende setzen könnte. Auf der einen Seite wurde über die Beschränkung der Anzahl der Sondersitzungen (§ 46 (5) der GOG) diskutiert, die zweite Möglichkeit wäre eine Verlängerung der Anberaumungszeit der Sondersitzungen gewesen. Vor dem Abschluss der GOG-Reform war die zweite Variante eher im Gespräch. Schlussendlich hatte sich aber die Beschränkung der § 46(5) Sitzungen durchgesetzt.

Im Punkt der Sondersitzungen sieht die liberale Klubdirektorin Häusler eine durchaus missbräuchliche Verwendung durch die Freiheitlichen, da diese zu einer "superdringlichen" pervertieren.

Kritisch steht die liberale Klubdirektorin den Sondersitzungen der Freiheitlichen gegenüber, die mit diesem Mittel ein Thema thematisieren, dass auch in einer anderen Art und Weise durchgeführt werden könnte. Es ist nach Häusler nicht notwendig eine Sondersitzung einzuberufen, wenn kein Notfall vorherrscht.

Die Liberalen wären für eine zahlenmässige Beschränkung der Sondersitzungen, da sie diese für Missbrauch gefährdet halten.

Der freiheitliche Klubobmann Stadler erklärt, dass wenn die FPÖ eine Sondersitzung beantragt, können Themen behandelt werden, die die Freiheitlichen für wichtig erachten. Die FPÖ bevorzugt Sondersitzungen, weil diese Sitzungen aufgrund eines bestimmten Themas einberufen werden. Der Inhalt der "normalen" Sitzungen werden durch die Mehrheit der beiden Regierungsfraktionen geprägt. Um Dringliche Anfragen zu einem bestimmten Thema einbringen zu können benötigt man eine ordentliche Sitzung, die aber von den beiden Koalitionsparteien gestaltetet wird.

Ewalt Stadler lehnt die Bezeichnung Sondersitzung ab, er spricht von 64 / 5 Sitzungen. Der Begriff "Sondersitzung" ist seiner Meinung nach etwas überzogen ist. Es handelt sich hierbei einfach um das Recht einer Parlamentsfraktion oder einer bestimmten Anzahl von Parlamentariern eine Sitzung zu einem bestimmten Thema zu beantragen. Alles andere ist nach Stadler von den Regierungsfraktionen schon vorgegeben, und deshalb ist diese

64 / 5 Sitzung ein urparlamentarisches und urdemokratisches Instrumentarium. Die Freiheitlichen halten es deshalb für einen Unfug die Anzahlt der Sondersitzungen zu beschränken, bei Änderung der Einberufungsfrist wäre Gesprächsbereitschaft vorhanden gewesen. Man hätte sich auf eine Verlängerung der Einberufungsfrist einigen können. Trotzdem sollte die Opposition eine schlagkräftige bleiben, d. h. der Zeitraum sollte zwischen letzter Sitzung und Abhaltung der Sondersitzung sollte nicht zu gross werden.

Der Klubobmann Stadler kritisiert weiters, dass bei einer "normalen" Sitzung, die Opposition zwar Dringliche Anfragen einbringen kann, aber ansonst sind diese Sitzungen durch die Regierungsfraktionen geprägt. Ausserdem wird eine Dringliche Anfrage erst um 16.00 Uhr behandelt. Für Ewald Stadler bedeutet das, dass die Gestaltungsmöglichkeiten der Opposition eingeschränkt sind. Deshalb wird von den Freiheitlichen eine Sondersitzung bevorzugt, weil die Gestaltung bei der Partei liegt die diese Sitzung verlangt. Stadler meinte folgendes:" Zuerst bestimmt einmal die Regierung den ersten Teil des Programmes in einer normalen und gewöhnlichen Sitzung während bei einer Sitzung die das Parlament verlangt, also diese 46 / 5 Sitzung, die man langläufig als Sondersitzung bezeichnet (...) das ist etwas wo nicht die Regierung das Programm bestimmt sondern was tatsächlich das Parlament in dem Fall jetzt die Opposition bestimmt."

Die Tagesordnung einer Sitzung wird in der Präsidiale mit den Klubobmännern jeder im Parlament befindliche Fraktionen erstellt.

Angesprochen auf das Thema Sondersitzung antwortet der freiheitliche Klubobmann: "Allein die Tatsache, dass sie (Regierung) versuchen uns (FPÖ) diese 46 / 5 Sitzungen zu untergraben, schwieriger zu machen usw. beweist ja dass, das ein sehr wirkungsvolles Oppositionsinstrumentarium war - dass es der Regierung weh tut sonst würden sie es ja nicht versuchen abzudrehen. (...) Der Druck der die Plenarsitzung erzeugt, erzeugt einen Arbeitsdruck und zwar bei den Abgeordneten genauso wie bei der Regierung."

Sehr energisch kritisierte Dr. Peter Kostelka die exzessive Nutzung des Rechtes auf Einberufung einer sogenannten Sondersitzung durch die Freiheitlichen. Dazu meinte dieser: "Wenn sie also ein Instrument haben, dass nur 1/5 der Abgeordneten zum NR das Recht innerhalb von 8 Tagen sämtliche anderen 4/5 der Abgeordneten zu einer Dringlichkeitssitzung, Sondersitzung zusammenzurufen, dann ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden, wenn das in einer Art und Weise verwendet wird, das man mit dem normalen Arbeitsplan noch zu Rande kommt und wirklich dringende Fragen dort abgehandelt werden. Wenn sie aber was wiederholt passiert, eine Sitzung in der eine Dringliche Anfrage zu Thema X möglich wäre, abschliessend spät in der Nacht, in den Morgenstunden des nächsten Tages und acht, zehn Stunden später nach Schluss der ersten Sitzung ein Antrag auf eine nächste Sitzung eingebracht wird, dann ist das exzessiv, und ist auch Missbrauch des Instrumentarium."

Dr. Werner Zögernitz der Klubdirektor der ÖVP meinte, dass ein Problem der Sondersitzungen ist, dass sich Termine verschieben. Private Mandatare in ihren Bezirken müssen ihre Termine verschieben um im NR anwesend sein zu können, d. h. sie können ihre Arbeit in ihren Bezirken nur sehr schwer um mit vielen Verzögerungen durchführen. Ausserdem müssen im Parlament die Termine für Ausschüsse ständig geändert werden, wenn eine Sondersitzung stattfindet. So verzögert sich die Arbeit im Parlament bzw. es verunmöglicht eine Planung der Arbeit für die Parlamentarier.

Der dritte Nationalratspräsident Dr. Brauneder stellte fest, dass das Recht auf Verlangen von Nationalratsitzungen ein Mittel ist mit dem die Oppositionsparteien im Rahmen der GOG auf sich aufmerksam machen können.

Die "Dringliche Anfrage" kann von Freiheitlichen, Liberalen und Grüne beantragt werden, die sogenannte "Sondersitzungen" kann aber nur von Freiheitlichen verlangt werden, da diese Fraktion die nötige Anzahl von Abgeordneten besitzt. Dr. Brauneder erklärte, dass es tatsächlich gemäss GOG § 46 (5) drei Möglichkeiten gibt, den Nationalrat zu einer Sitzung einzuberufen, und zwar folgende: Durch den eigener Entschluss des Präsidenten, auf Verlangen der Bundesregierung und auf Verlangen einer "grossen Opposition" . Der Dritte Nationalratspräsident machte darauf aufmerksam, dass keiner dieser Möglichkeiten vom Gesetz als "Sonder"-sitzung bezeichnet wird.

"Und ich glaube der Ärger bei den anderen ist nicht so sehr die Tatsache, dass es eine Sitzung gibt, sondern dass man plötzlich an einem Tag, den man schon für etwas anderes reserviert hat, eine Sitzung gibt, so dass es terminlich alles durcheinanderhaut. Das Argument würde ich auch sagen, ich glaube dass, mit der Sondersitzung, der sogenannte dass gar nicht so eine Diskussion hätte geben müssen wenn vielleicht Termine abgesprochen worden wären." Der freiheitliche Präsident ergänzte Bezug nehmend auf die Sondersitzungen folgendes: "Diese Diskussion über sogenannte Sondersitzungen, wäre dann entschärft, wenn es klar wäre, das man im Zuge eine Sondersitzung ein Thema einer anderen Oppositionspartei mitbehandelt."
 
 

7. Torpedieren:

Die liberale Klubdirektorin Frau Dr. Häusler ist der Meinung, dass man nicht generell sagen kann, ob die Opposition die Regierung bei ihrer Arbeit behindert oder nicht. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist unterschiedlich und hängt vom Thema ab. Grundsätzlich stellt die liberale Klubdirektorin fest, dass die Arbeit von der Opposition nicht behindert wird. Auch die Freiheitlichen behindern die Arbeit der Regierungsfraktionen im Parlament nicht, da die Einbringung einer Dringlichen Anfrage keine Behinderung darstellt. Unter Behinderung versteht Häusler, wenn zum Beispiel ein Obmann eines Ausschusses, den Ausschuss nicht einberufen oder zu spät einberufen würde, oder den Ausschuss absetzten würde, wenn dort eine wichtige Vorlage beschlossen werden sollte. Die Liberalen wollen die Regierung gar nicht behindern, da die Regierung dazu da ist zu arbeiten. Regierungsarbeit zu behindern ist nicht das Interesse der Oppositionsparteien.

Auf die Frage, "ob die Oppositionsparteien den Parlamentarismus torpedieren": meinte der FPÖ-Klubobmann, dass das Schutzbehauptungen der Regierungsfraktionen sind, damit diese die Oppositionsfraktionen bei der Geschäftsordnungsreform untergraben können.

Der freiheitliche Klubobmann definierte den Begriff "torpedieren" folgendermassen: "Torpedieren wäre dann der Fall, wenn der Parlamentarismus als solcher leiden würde. D.h. die Bedeutung des Parlaments damit geschmälert würde, aber das ist ja nicht der Fall und das bestreiten ja auch niemand, das kann aber ja wirklich niemand bestreiten, dass mit unserer Oppositionstätigkeit die Bedeutung des Parlaments sinkt." Die Behauptung, dass die Oppositionsparteien den Parlamentarismus torpedieren, ist eine reine Schutzbehauptung der Regierungsfraktionen. Stadler meinte, dass die Bedeutung des Parlament durch die Oppositionsarbeit der Freiheitlichen gestiegen ist und nicht umgekehrt.

Der freiheitliche Klubdirektor Dr. Moser behauptete, dass es im Parlament kein torpedieren gibt. "Torpedieren so wie es die Regierenden es verstehen heisst: Das man ihre Vorlagen, die sie also auf rascheste Art und Weise umsetzen wollen, durch parlamentarische Möglichkeiten versucht in die richtige Form zu bringen," meinte Moser.

Der SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka versteht unter "torpedieren", wenn ein "normaler Handlungsablauf" verunmöglicht wird. Auch unter dem Begriff "Obstruktionspolitik" versteht Kostelka "torpedieren". Auf den Aktionismus den früher die Grünen begangen haben geht der Klubobmann ein. Diese "Filibuster" haben Grüne früher punktuell betrieben, aber es war trotzdem kein grosses Problem für die Arbeit im Parlament.

Der freiheitliche Nationalratspräsident Dr. Brauneder definiert den Begriff "torpedieren" folgendermassen: "das wäre der Fall, wenn die Oppositionspartei von ihrem Recht missbräuchlich Gebrauch machen würde".
 
 

8. Beispiele:

Einzelne Beispiele aus der Geschichte des österreichischen Parlamentarismus bestätigen durchaus die Kritik der Oppositionsparteien. Die Liberalen behaupten, dass ein "Scheinparlamentarismus" vorherrscht. In einem solchen "Scheinparlament", stimmen die Abgeordneten je nach Klubmeinung einem Gesetzesentwurf zu oder dagegen.

Ein etwas älteres Beispiel, welches aber doch die Unübersichtlichkeit der Parlamentsarbeit aufzeigt, ist das des ehemaligen VP-Justizsprecher Michael Graff.

Michael Graff musste eingestehen, das menschenrechts- und damit verfassungswidrige Asylgesetz "nicht gelesen" zu haben. Damals entschuldigte er sich damit, dass er keine Zeit gehabt hätte diesen Gesetzesentwurf zu lesen.

Nicht nur für die Liberalen scheint es unmöglich zu sein alle Gesetzesentwürfe und dazu passenden Änderungsvorschläge durchzuarbeiten, sondern auch für die Regierungsfraktionen, die aber die Gesetze durch ihre parlamentarischen Mehrheiten annehmen. Jeder Abgeordnete sollte zumindest wissen, was die Gesetzen regeln bzw. was im Gesetz steht, die er beschliesst, wenn er schon nicht persönliche dafür zu Verantwortung gezogen werden kann.

Das Problem mit der Zeitnot bekamen die Liberalen 1996 besonders beim Budgetausschuss zu spüren, wo ihnen keine Zeit für die Analyse der Abänderungen blieb. Deshalb legte das Liberale Forum ihre Arbeit im Budgetausschuss nieder, da sie nach eigenen Aussagen den "Scheinparlamentarismus" nicht unterstützen wollten. Thomas Barmüller ein Abgeordnete des Liberalen Forums meinte zu diesem Punkt folgendes: "Kein Schwein kennt sich mehr aus". Zur "Farce" verkomme die Arbeit der Abgeordneten behauptete die liberale Klubchefin Heide Schmidt. Der demonstrative Auszug aus dem Ausschuss hatte zwei Auslöser. Noch bis zur vorletzten Sitzung des Gremiums hatte es in der Aktenstössen des Strukturanpassungsgesetzen einen "Artikel 91" gegeben, der keiner weiteren Erörterung bedurfte. Dieser wurde später in der Regierungsvorlage gestrichen. "Entfällt", stand lakonisch in der Regierungsvorlage statt dem vorher genannten "Art. 91". Dann wurde ein Konvolut nachgereicht. Die Ausschussmitglieder staunten: Sämtliche Änderungen der Ressorteinteilung des Familienministeriums bis zur Zusammenlegung der Verkehrs- und Wissenschaftsagenden - wurde darin zum vermeintlichen verschollenen "Artikel 91" des Gesamtflickwerkes erklärt. Dabei bleibt den Mandataren und Klubexperten kaum noch Zeit zur Lektüre und Analyse. Weitreichende Novellen würden "im letzten Moment unter der Tür durchgeschoben", protestierte LIF-Abgeordneter Friedhelm Frischenschlager.

Hier stellt sich die Frage, ob die Abgeordneten der SPÖ bzw. ÖVP diese Lektüre durcharbeiten konnten bevor sie darüber abstimmten. Ich bezweifle sehr, dass die Mehrheit der Mitglieder dieser beiden Fraktionen über den Inhalt Bescheid wussten über den sie abstimmten.

In diesem Zusammenhang meldete sich auch die grüne Klubobfrau Petrovic zu Wort. Zu diesem Thema meinte sie folgendes :"Die Arroganz der Regierungsparteien war noch nie so deutlich. (...) Die Vorgangsweise ist unerträglich"

Die Kritik der Liberalen richtet sich nicht nur gegen die Regierungsfraktionen, die beim Strukturanpassungsgesetz ihre 2/3-Mehrheit missbräuchlich verwendet hatten, sonder auch gegen die Freiheitlichen die ihre Rechte in der gleichen Weise missbräuchlich verwenden.

Schmidt : "Ich halte es für notwendig, dass bei jeder Gelegenheit deutlich gemacht wird, dass die Freiheitlichen mit anderen Spielregel, wenn überhaupt mit Spielregeln, spielen.

Sie schiessen schon viele Tore, das gebe ich gerne zu. Und Tore faszinieren. Auf dem Spielfeld, wo mehrere Mannschaften sind, ist es für eine Mannschaft, die sich an keine Spielregeln hält, leichter, Tore zu schiessen, als für die, die sich daran halten. Das lässt die Tore aber auch in einem ganz anderen Licht erscheinen. Unsere Aufgabe ist es, Fauls als solche erkenntlich zu machen."

Nicht nur die Freiheitlichen versuchten die Mittel der GOG für ihre Zwecke zu nutzen. Die Grünen waren eine Zeitlang die "Meister in Filibustern". Ihre bekannteste Aktion ist auch schon eine gewisse Zeit her, aber diese Art des Aktionismus endete ebenfalls in einer GOG-Reform.

Die Grünen versuchen damals eine Abstimmung über das Tropenholzgesetz zu verschieben, indem sie einen Redemarathon im Parlament durchführten. Diese "Aktion" dauerte mehrere Stunden und führte zu Unmut bei den Regierungsparteien. Jetzt jedoch sehen sich die Grünen als durchaus konstruktive Oppositionspartei, die die FPÖ als dekonstruktiv bezeichnet.

"Die Grünen seine die einzigen, die inhaltliche Oppositionspolitik leisten", so Petrovic. "Man müsse die FPÖ fast auffordern, sich in den parlamentarischen Ausschüssen mehr zu engagieren."

Bei der jetzigen GOG-Reform versuchte man die Beschlussfassung durch alle im Nationalrat vertretenen Fraktionen zu erreichen. Doch seitens der FPÖ wurden an dieser Reform bald Kritik laut und Ablehnung dieser folgte. Die ÖVP strebt zwar eine Allparteien-Einigung darüber an, will sein Konzept im Notfall aber auch mit der SPÖ allein durchziehen. Dr. Andreas Khol dazu: "Erpressen lasse ich mich sicher nicht, wenn eine Zweidrittelmehrheit da ist. Dazu ist mir die Reform zu wichtig ? Diese Aussage zeigt wieder die unüberlegte Anwendung der 2/3-Mehrheit durch die Regierungsfraktionen.
 

9. Schlussbemerkung:

Diese wie auch viele andere GOG-Reformen sind zum Teil auch durch "missbräuchliche" Verwendung der Geschäftsordnungsrechte durch die Oppositionsparteien ausgelöst worden. Wenn dieser Gebrauch von Rechten, die Regierungsfraktionen störte, dann wurde die Geschäftsordnung so verändert, dass dieses Problem für die Regierungsfraktionen gelöst war. Wenn die Oppositionsparteien ihre Rechte übermässig und nicht im Sinne der Regierungsfraktionen verwenden, werden die Regierungsfraktionen eine Reform dieser Rechte anstreben. Willi Fuhrmann geht in seinem Artikel: "Determinanten der Entwicklung des Geschäftsordnungsrechts" auf diese Problematik ein.

Des öfteren ist bei den Oppositionsparteien die Kritik aufgekommen, dass die Regierungsfraktionen ihre 2/3-Mehrheit missbräuchlich verwenden. Gerade bei der Gesetzgebung werden die Oppositionsfraktionen in dem Sinn übergangen, dass sie an einem von SPÖ und ÖVP initiierten Gesetzesentwurf kaum mitwirken können. Aufgrund dessen könnte man von der Annahme ausgehen, dass das Parlament im Bereich der Gesetzgebung keine Opposition benötigen würde, es könnte die Gesetzgebung nur von den Regierungsfraktionen durchgeführt werden.

Diese Annahme übersieht jedoch den wichtigen Aspekt der Kontrolle. Hauptsächlich die Oppositionsfraktionen führen die Kontrolle im Parlament durch. Diese Kontrolle beginnt schon bei der Diskussion der Gesetzesentwürfe und bei der Bearbeitung in den Ausschüssen. Wenn hier die Mitarbeit der Oppositionsparteien an Gesetzesentwürfen fehlen würde, wäre die Kontrolltätigkeit der Opposition sehr eingeschränkt möglich. Es wäre ein grosser Fehler zu glauben, dass die Kontrolle erst nach der Schaffung des Gesetzes effektiv beginnen kann. Wenn die Kontrolle der Opposition erst nach der Annahme eines Gesetzesentwurfes im Plenum einsetzen würde, dann wäre schon eine wichtige Zeitspanne für eine effektive Kontrolle verstrichen. Das Parlament besteht aus dominanten Regierungsfraktionen und der Opposition, die nicht die selben parlamentarischen Möglichkeiten hat, wie die beiden Regierungsfraktionen. Man muss aber auch berücksichtigen, dass die Mehrheiten, die im Parlament vorhanden sind, auf die Nationalratswahl zurückzuführen sind. Die Regierungsfraktionen haben gewisse Aufgaben zu erfüllen, die von der Opposition durch gewisse Rechte, die in der GOG festgehalten sind kontrolliert werden. Den Ansatzpunkt, dass nur die Regierungsfraktion im Parlament wichtig sind, halte ich für ein Todesurteil des Parlamentarismus. Das Parlament besteht aus Regierungsfraktionen und Opposition, und nur durch ein Zusammenspiel dieser Fraktionen im Parlament, kann der Parlamentarismus Bestand haben.

Folgende Hypothese bezieht sich wieder auf die 2/3-Mehrheit. Diese lautet folgendermassen: Je öfters sich die Regierungsparteien mit ihrer 2/3-Mehrheit über die Meinungen und Äusserungen der Oppositionsparteien ohne Überprüfung hinwegsetzen, desto öfters werden die Oppositionsparteien zu alle ihnen nach der GOG des NR zur Verfügung stehenden Möglichkeiten greifen, um sich Verhör zu verschaffen.

Diese Hypothese muss falsifiziert werden, weil die Oppositionsparteien grundsätzlich immer versuchen auf sich aufmerksam zu machen. Auch wenn die beiden Regierungsfraktionen sorgfältiger mit der 2/3-Mehrheit umgehen als das jetzt der Fall ist, würden die Oppositionsfraktionen versuchen für die Öffentlichkeit präsent zu sein. Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, dass dieses ständige übergehen der Oppositionsfraktionen zur Frustration führt. Das muss aber nicht automatisch ein Behindern der Arbeit der beiden Regierungsfraktionen zur Folge haben. Die Liberalen sind sogar der Meinung, dass die Regierung ihre Arbeit erledigen muss, weil diese vom Volk in diese Position gewählt worden ist. Die Mittel, die in der GOG für die Oppositionsparteien vorhanden sind, werden jetzt schon genutzt. Die Grünen, die im Jahr 1993 den Redemarathon durchgeführt hatten, nutzen ihre Rechte um auf gewisse Fakten aufmerksam zu machen. Auch die Freiheitlichen wollen durch die häufige Anwendung gewisser Rechte eine verbesserte und effektivere Kontrolle gegenüber der Regierung erreichen. Ob diese Nutzung bei allen Fraktionen sinnvoll durchgeführt wird bleibt dahingestellt. Grundsätzlich ist aber zu erwähnen, dass es diese Nutzung der Rechte schon immer gegeben hat und diese nicht angestiegen ist durch die 2/3-Mehrheit der SPÖ und ÖVP. Angestiegen ist jedoch die Kritik am Umgang mit dieser Mehrheit durch die beiden Regierungsfraktionen.

Grundsätzlich zu sagen, dass die Regierungsfraktionen ihre 2/3-Mehrheit missbräuchlich verwenden bzw., dass die Oppositionsparteien ihre Rechte übermässig beanspruchen, ist nicht möglich und wäre sogar falsch. Auch davon auszugehen, dass die Oppositionsparteien generell den Parlamentarismus "torpedieren" wäre ein fataler Fehler.

Ich glaube, dass man durchaus behaupten kann, dass jede Oppositionsparteien einmal oder öfters versucht hat auf ihre eigene Art und Weise auf gewisse Dinge und Probleme aufmerksam zu machen. Die Liberalen sind unter Protest aus einem Ausschuss ausgezogen, die Freiheitlichen "nerven" die anderen Fraktionen mit ständigen Sondersitzungen und die Grünen gingen in die Geschichte des Parlaments ein durch ihren Redemarathon. Trotzdem sind sich die drei Fraktionen durchaus bewusst, welche Aufgaben das Parlament zu erfüllen hat.

Bei der Bearbeitung diese Themas und bei der Durchführung der Interviews hat sich die Kritik der übermässigen Ausnutzung der Rechte der GOG hauptsächlich auf die Freiheitlichen bezogen. Die generelle Aussage, dass die Oppositionsparteien als Gesamtheit das Parlament bei der Arbeit behindern, ist deshalb nicht aufrecht zu halten, da die beiden Regierungsfraktionen den Liberalen und Grünen bei der Nutzung deren Rechte durchaus positiv gegenüber gestanden sind.

Die Frage müsste umgestaltet werden auf: "Torpedieren die Freiheitlichen den Parlamentarismus?" Aber nicht einmal diese Frage ist so leicht zu beantworten. Auf jeden Fall ist es nicht die Aufgabe der FPÖ, die Arbeit der Regierungsfraktionen zu behindern. Richtig ist, dass die Arbeit der Regierungsfraktionen nicht verhindert werden kann, sondern diese kann nur verzögert werden. Doch eine "Behinderung" ist nicht der Sinn einer Oppositionsfraktion. Diese haben die Aufgabe zu kontrollieren und Alternativprogramme zu erstellen.

Im Langenscheidt Fremdwörterbuch wird unter "torpedieren" folgendes verstanden : "etwas zu Fall bringen, das Gelingen von etwas verhindern oder stören". Wie ich schon erwähnte ist es nicht möglich, bei den Mehrheiten die im Parlament derzeit vorherrschen, etwas zu verhindern bzw. etwas zu Fall zu bringen. Jedoch kann das Gelingen von etwas gestört werden. Durch die grosse Anzahl an Sondersitzungen, die die Freiheitlichen beantragt haben, hat sich der Plan der Parlamentsarbeit immer wieder verschoben. Die Ausschussarbeiten müssen zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt werden und die Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen wurde verzögert. Die Plenarsitzungen wurden von den Freiheitliche mit Dringende Fragen überhäuft und dies führte zu langen Sitzungen die bis in die nächsten Morgenstunden dauerten. Während diesen Sitzungen wurden Themen von den Freiheitlichen eingebracht, die immer und immer wieder diskutiert wurden. Viele Abgeordneten, nicht nur die Abgeordneten der Regierungsfraktionen, hielten diese Aktionen für sinnlos und für eine reine Zeitverschwendung.

Auf der anderen Seite ist mir nicht bekannt, dass die Freiheitlichen bei der Arbeit in den Ausschüssen eine Verzögerung der Arbeit provozieren. Auch die Liberale Dr. Häusler würde unter einer Behinderung des Parlaments eine Verzögerung der Arbeit in den Ausschüssen verstehen. Mir ist von einer solchen Behinderung in den Ausschüssen durch die Freiheitlichen nichts bekannt. Es wird versucht bei wichtigen Themen, eine Einigung zu erzielen, die von allen Fraktionen akzeptiert werden kann. In letzter Zeit konnte mit den Freiheitlichen keine Einigung erzielt werden. Vielleicht ist das ein Hinweis auf eine "Behinderung" bei der Arbeit in den Ausschüssen.

Aufgrund dessen, kann man auch nicht davon sprechen, dass die Freiheitlichen in allen Bereichen des Parlamentarismus, die Arbeit torpedieren. In den Plenarsitzungen jedoch fallen die Freiheitlichen mit einer grossen Aktivität auf, die sich in Dringlichen Anfragen, Fristsetzungsanträgen und auch in der Anzahl der Sondersitzungen ausdrückt. Da die FPÖ eine Oppositionspartei ist, tut sie genau das was andere Oppositionsparteien auch tun, sie versuchen die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Die Öffentlichkeit ist durch die Medien im Plenum präsent und dort werden die Freiheitlichen aktiv. Im Gegensatz zu den anderen Oppositionsparteien haben die Freiheitlichen das Glück eine gewisse Grösse zu besitzen, deshalb können sie auch mehr Rechte in Anspruch nehmen als die Grünen und die Liberalen. Dadurch ist es ihnen auch möglich den Tagesablauf einer Sitzung zu verzögern bzw. den Sitzungsterminplan umzustossen. In diesem Bereich kann man durchaus von einem "torpedieren" sprechen. Die von den Freiheitlichen verlangten Sondersitzungen werden unter eine sehr ähnlichen Thema abgehalten. Die Diskussion in diesen Sondersitzungen dreht sich meistens um das selbe Thema, d.h. man kommt zu keinen neuen Erkenntnissen, sondern es werden ständig die gleichen Argumente gebracht. Es werden im Zusammenhang mit den Sondersitzungen keine Alternativprogramme erstellt, sondern bekannte Fakten werden wiederholt ohne ein konkretes Ziel damit erreichen zu können. Beziehend auf meine zu Beginn dieser Arbeit abgegebenen Definition von "torpedieren", möchte ich die Behauptung aufstellen, dass die Freiheitlichen im Zusammenhang mit den Sondersitzungen den Parlamentarismus "torpedieren", da keine Alternativprogramme erstellt werden und kein konkretes Ziel verfolgt wird. Diese Behauptung bleibt jedoch nur auf den Bereich der Sondersitzungen bzw. normalen Plenarsitzungen beschränkt. Davon ist nicht die Arbeit in den Ausschüssen betroffen, die von allen Fraktionen des Parlaments durchgeführt wird.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass alle Oppositionsparteien auf irgend einer Art und Weise versuchen die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. D.h., dass jeder Oppositionsparteien vereinzelt Aktionen setzt. Das ist aber noch kein "torpedieren", da man mit solchen Aktionen ein konkretes Ziel verfolgt und diese Aktion nur vereinzelt auftreten.

"Torpedieren die Oppositionsparteien den Parlamentarismus?"

Nein, die Oppositionsparteien torpedieren den Parlamentarismus nicht. Die Freiheitlichen "torpedieren" die Arbeit nicht in allen Bereichen, aber sie verzögern den Tagesablauf von Sitzungen und die Terminpläne müssen ständig geändert werden, weil Sondersitzungen dazwischen eingeplant werden müssen.
 
 

10. Begriffserklärung:

Torpedieren: etwas zu Fall bringen, das Gelingen von etwas verhindern oder stören.

Obstruktionspolitik: die Politik der gezielten und planmässigen Behinderung und Verzögerung normaler Arbeit.

Obstruktion: Widerstand, Behinderung, Verzögerung.

Absentismus: 1) gewohnheitsmässiges Fernbleiben (vom Arbeitsplatz)

2) Nichtteilnahme an Sitzungen, Wahlen

3) (veraltet) gewohnheitsmässiges Fernblieben des Besitzers von seinen landwirtschaftlichen Gütern.
 
 

Literaturliste:

Bücher:

Fischer Heinz; Das Parlament. In: Das Handbuch des österreichischen politischen Systems, Wien 1991

Frischenschlager Friedhelm; Die Geschäftsordnungsgesetz-Novelle 1993. In: Jahrbuch des Österreichischen Parlaments, Hrsg. Österreichische Parlamentarische Gesellschaft, Wien 1994

Fuhrmann Willi; Determinanten der entwicklung des Geschäftsordnungsrechts. In: Jahrbuch des Österreichischen Parlaments. Hrsg. Österreichische Parlamentarische Gesellschaft, Wien 1994

Funk Bernd-Christian; Einführung in das österreichische Verfassungsrecht (Auflage 7), Graz 1991

Neisser Heinrich; Die Kontrollfunktion im Parlament in: Österreichs Parlamentarismus Werden und System; Hrsg. Schambeck Herbert, Berlin 1986.

Nödl Andreas; Eine empirische Analyse des Interpellations- und Untersuchungsrechts als Mittel parlamentarischer Kontrolle vor dem Hintergrund der Parlamentsreform 1993; In: Jahrbuch des österreichischen Parlaments 1994, Wien 1994

Schambeck Herbert (Hrsg.); Österreichs Parlamentarismus Werden und System, Wien 1986

Zögernitz Werner; Die Geschäftsornung des Nationalrates in: Jahrbuch des Österreichischen Parlaments. Hrsg. Österreichische Parlamentarische Gesellschaft, Wien 1994
 
 

Zeitschriften:

Parlament (Beilage zur Wiener Zeitung): Zögernitz Werner: Effizientes Parlament stärkt lebendige Demokratie. Jänner 1996

Parlament (Beilage zur Wiener Zeitung): Heide Schmidt. Mai 1996

Die Presse, 9. September 1994

Die Presse, 12. Juni 1996: Die neue Geschäftsordnung

Die Presse, 21. Junli 1992

Wirtschaftswoche Nr. 29: Geyer Herbert, 14. Juli 1994

Profil Nr. 15, 6. April 1996

Oberösterreichischen Nachrichten, 3. Mai 1995.

News Nr. 17, 25. April 1996
 
 

Fragebögen:

Herrn Nationalratspräsident Dr. Heinz Fischer (SPÖ)

Herrn Nationalratspräsident Dr. Wilhelm Brauneder (FPÖ)

Herrn Klubobmann Dr. Peter Kostelka (SPÖ)

Herrn Klubobmann Dr. Andreas Khol (ÖVP)

Herrn Klubsekretär Mag. Felix Ehrnhöfer (Grüne)
 
 

Ich möchte mich bei den oben genannten Personen für das Bearbeitung und Rücksenden der Fragebögen bedanken.
 
 

Interviews:

Herrn Nationalratspräsidenten Dr. Wilhelm Brauneder (FPÖ)

Frau Klubdirektorin Dr. Häusler (LIF)

Herrn Klubdirektor Dr. Werner Zögernitz (ÖVP)

Herrn Klubobmann Dr. Peter Kostelka (SPÖ)

Herrn Klubdirektor Dr. Josef Moser (FPÖ)

Herrn Klubobmann Mag. Ewald Stadler (FPÖ)
 
 

Ich möchte mich bei den oben genannten Personen für die Interviews bedanken.
 
 

Lexika:

Langenscheidt Fremdwörterbuch, Berlin, Münschen 1993.
 
 

Sonstige Quellen:

Debatte zur Geschäftsordnungsreform am 9. Juli 1996, Plenum; Parlament.

Dr. Häusler (LIF), Anmerkung zur GOG-Reform, 12. Mai 1996.

Bericht des Geschäftsordnungsausschusses 184 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, XX. GP.
 
 
 

4. Demokratie zwischen Konsens und Konkurrenz
 

Walter Hämmerle
 

Teil 1: 1. Konsens und Konkurrenz
           2. Parlamentarismus
            3. Kultur
Teil 2: Konkordanz


Teil 1

I.Konsens und Konkurrenz

Begrenztheit, Konflikt und Verteilung sind als die charakteristischen Merkmale der Politik bzw. politischen Verhaltens zu werten, Macht daher stets - und manchmal auch vor allem - ihr Begleiter. Konflikt ist dabei das Resultat der beiden anderen konstitutierenden Merkmalen des Politischen.

Dass dieser häufig im Vordergrund, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit steht, wenn es um Politik geht, hängt damit zusammen, dass er das am besten beobachtbare, ja geradezu das offensichtlichste Merkmal des Poltischen ist.

Zwischen Politik und Demokratie steht Konflikt als Verbindungsstelle - weil Politik immer auch Konflikt ist, immer auch die Lösung von Konflikten miteinschliesst, ist die Demokratie eine mögliche Antwort auf die zentrale Legitimationsfrage - wer denn auf welche Weise die Verteilungskonflikte mit Verbindlichkeitsanspruch zu entscheiden habe (Anton Pelinka: Politik und moderne Demokratie (1976), S. 12).

So wird der Konflikt, das Wesensmerkmal des Politischen, auch zur Voraussetzung für Demokratie: allein wenn die Nachfrage nach Machtpositionen grösser ist als das zur Verfügung stehende Angebot, haben die zur Wahl ihrer Regierenden berufenen Staatsbürger überhaupt die Möglichkeit der Auswahl ihrer Regierenden. In der gegenwärtigen Form der parteienstaatlichen Demokratie bezieht sich dies auf die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Parteien auszuwählen. Dies kann jedoch nur dann als sinnvoll erachtet werden, wenn sich die zur Auswahl stehenden Parteien auch in ihren gesellschaftspolitischen Programmvorstellungen voneinander unterscheiden. Die Auswahl unter alternativen Handlungsmöglichkeiten muss daher als wesentlicher Bestandteil politischer Entscheidungsprozesse betrachtet werden. Konfliktvermeidung als Verhaltensnorm bzw. -maxime erscheint dabei als abträglich im Hinblick auf das Ziel der Entscheidungsoptimierung. Alternativen und Konflikte müssen - mitunter auch expressis verbis - als genuine Elemente politischer Entscheidungen erkannt werden. Die Demokratiequalität eines politischen Systems hängt untrennbar damit zusammen, dass die vorhandenen gesellschaftlichen Konflikte zur Anerkennung, Entfaltung und offenen Austragung kommen können. (Adalbert Evers: Politische Kultur, in: Forum 3/1984)

Das Phänomen "Konflikt" wird so zum konstitutierenden Merkmal sowohl der Politik als auch der Demokratie: nur wo Konflikte sind (und auch als solche anerkannt und behandelt werden), ist Politik möglich; und nur dort, wo Konflikte bestehen, ist Demokratie praktizierbar. Es war Ralf Dahrendorf, der wiederholt und mit Nachdruck auf den Konfliktcharakter der modernen Gesellschaft verwiesen hat und die politischen Institutionen der Demokratie als einen Modus friedlicher Konfliktaustragung, nicht jedoch der Konflikteliminierung bezeichnete. Entzieht man einem Bereich das Adjektiv "politisch", so entzieht man ihn (ob nun bewusst oder unbewusst ist hier nebensächlich) auch der Möglichkeit einer Demokratisierung.

Ent-Politisierung heisst logischerweise auch Ent-Demokratisierung. Nur Bereich des Politischen erweist sich für eine Demokratisierung als offen und zugänglich (Obwohl immer wieder Forderungen nach einer "nachhaltigen" bzw. durchgehenden Demokratisierung der Gesellschaft, hier v.a. im Bereich des Wirtschaftslebens, geäussert werden).

Neben dem Konflikt, ist der Konsens die zweite unabdingbare Dimension der Demokratie. Dieser Konsens umfasst einen formalen wie einen inhaltlichen (Pelinka: Politik und moderne Demokratie, S. 31). Der formale Konsens bezieht sich auf die Anerkennung der demokratischen Spielregeln, deren wichtigste die Akzeptanz von Kontrolle und die Bereitschaft zur Machtabgabe umfassen. Dieser formale baut und beruht auf einem inhaltlichen Konsens, dessen Grundpfeiler in der Anerkennung der Gleichheit aller Bürger besteht.

Die Werte, die in diesem Konsens verkörpert sind, müssen dem Spiel wechselnder Mehrheitsentscheidungen entzogen sein und stehen daher nicht zur Disposition.

Ein Zuwenig an Konflikt führt unweigerlich zur Etablierung einer Oligarchie, da den Regierten eine Auswahl unter tatsächlichen Alternativen aufgrund mangelnder Unterscheidbarkeit verwehrt bleibt. Ein Zuwenig an Konsens degeneriert den demokratischen Konflikt zu einem blossen Kampf um die Macht, die schliesslich vom Stärkeren allein aus dem Grund errungen wird, weil es sich bei ihm tatsächlich um den Stärkeren handelt. Folge ist, dass sich die Minderheit nicht mehr an die Entscheidungen der Mehrheit gebunden fühlt, sie kündigt den Fundamentalkonsens, Fundament jeder Demokratie, auf: wenn der Konkurrenz kein Korrektiv in der Form eines Konsenses entspricht, entwickelt der gesellschaftliche Konflikt unweigerlich zentrifugale Kräfte; die Weimarer Republik und das Österreich der Zwischenkriegszeit bieten hierfür wohl das anschaulichste historische Anschauungsmaterial.
 
 
 
 

II. Parlamentarismus zwischen Elitenkonkurrenz und -konsens

2. 1. Parlamentarismus als Konzept demokratischer Repräsentation

Mit dem Durchbruch parlamentarischer Herrschaftsformen v.a. nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte das politische Denken ein idealtypisches Konzept des Parlamentarismus mit dem Ziel, die Mechanismen und innere Logik parlamentarischer Herrschaft in theoretischer Analyse zu erfassen. Die Kernbestandteile dieses Parlamentarismus konzeptioneller Prägung umfassen:

Eine nach den Grundsätzen des freien, gleichen, unmittelbaren und allgemeinen Wahlrechts gewählte Vertretungskörperschaft (Parlament) steht im Zentrum des politischen Prozesses und ist als solches den anderen staatlichen Gewalten vorgeordnet, gleichzeitig jedoch von diesen teilweise getrennt (Gewaltenteilungsprinzip).

Das Parlament besitzt einen ausgeprägten Repräsentativcharakter, der sich am deutlichsten im Postulat des freien Mandats der Abgeordneten äussert.

Entscheidungen kommen in der Regel nach dem Mehrheitsprinzip zustande, wodurch ein gewisser Konfliktcharakter zum Wesensmerkmal parlamentarischer Prozesse wird.

Die Möglichkeit einer Wieder- bzw. Abwahl der Abgeordneten mittels periodisch stattfindender Wahlen zur Vertretungskörperschaft im Bunde mit dem nach dem Mehrheitsprinzip zu fällenden parlamentarischen Entscheidungen führt zu einem parlamentarischen Rollenverständnis, das im Parlament immer auch eine öffentliche Bühne zwecks Durchführung eines permanenten Wahlkampfes sieht.
 
 

2. 2. Transformation des Parlamentarismuskonzepts in der politischen Realität

Die politische Entwicklung in den industrialisierten Demokratien hielt sich nicht an die oben skizzierte analytische Konzeption des Parlamentarismus. Die Funktionen des Parlaments sowie das System der Gewaltenteilung unterliefen eine mitunter gravierende Wandlung. Im folgenden seien nun kurz die wesentlichsten Veränderungen mit bezug auf das Parlamentarismuskonzept aufgelistet:

Die gesetzgebende Funktion, die den Vorrang des Parlaments vor den anderen staatlichen Gewalt begründete, wird zum Teil nur noch formal im Parlament selbst ausgeübt, faktisch ist diese in den vor-parlamentarischen Raum, der von Regierung, Administration, Parteien und Verbänden besetzt wird, ausgelagert.

Somit wird die Kontrollfunktion zur vorrangigen Aufgabe des Parlaments; aber nicht mehr die Legislative als Ganzes kontrolliert nun die Exekutive, sondern die Parlamentsminderheit (Opposition) die -mehrheit: die neue Frontlinie verläuft nun zwischen (Regierungs-)Mehrheit und Opposition im Partlament.

Die herkömmliche Form der Gewaltentrennung zwischen Exekutive - Legislative in parlamentarischen Systemen machte de facto einer Gewaltenfusion Platz: Regierung, d.h. Exekutive, und parlamentarische Mehrheit sind auf vielfältige Weise eng miteinander verbunden.

Nicht mehr das Postulat des freien Mandats, sondern die starke Einbindung in Fraktion und Partei, charakteristisch gekennzeichnet durch den Begriff der "Fraktionsdisziplin", dominiert das parlamentarische Verhalten der Mandatare.
 
 

2. 3. Parlamentarismus als institutionalisierte Konkurrenz

Konzept wie auch politische Realität des Parlamentarismus entsprechen in ihren Grundzügen dem Grundgedanken der Konkurrenzdemokratie: durch ein institutionell gewährleistetes Gegeneinander der Entscheidungsträger werden voneinander abgehobene Alternativen gefördert und Verantwortlichkeit nach "unten", d.h. gegenüber dem Wähler, hergestellt. De facto institutionalisiert wird ein Minimum an Konkurrenz durch die Verpflichtung der Parteien, in demokratischen Wahlen zur Vertretungskörperschaft ihre Legitimation für die Teilnahme am politischen Prozess zu "erkämpfen" - erkämpfen in dem Sinne, dass die anderen Parteien im Kampf um Wählerstimmen als direkte Konkurrenten auftreten. Eine Partei kann in diesem Kampf um Wählerstimmenanteile nur dann erfolgreich bestehen, wenn Sie sich von den anderen Parteien unterscheidet und somit als genuine Alternative präsentiert. Das Parlament dient hierfür als Öffentlichkeits-wirksame Bühne, die gleichsam einen permanenten Wahlkampf provoziert und von den Parteien auch als solche benutzt werden muss.

Solange im Parlament Regierung und Opposition einander als wirkliche Alternativen gegenüberstehen, ist die für die Demokratiequalität unerlässliche Konkurrenzsituation auch unter vom Parlamentarismuskonzept abweichenden Umständen gewährleistet. Erst wenn Konsens die Konkurrenz zwischen den Eliten (Parteien) ersetzen sollte, würde dies eine fundamentale Gefahr für die demokratische Qualität eines politischen Systems darstellen.

Ein diagnostiziertes Zuwenig an Konflikt widerspricht dem Grundkonzept des Parlamentarismus, entzieht ihm seine demokratische Rechtfertigung. Ein Zuviel an Übereinstimmung der im Parlament agierenden Parteien bedeutet den Verlust demokratischer Qualität. Dieses Zuviel an Übereinstimmung ist dann besonders deutlich, wenn einer überwältigenden Regierungsmehrheit keine als ernsthafte Alternative auftretende Opposition gegenübersteht. (Pelinka: Postklassischer Parlamentarismus, in: ÖZP, 1974/3)
 
 
 
 

III. Die parlamentarische Kultur der Zweiten Republik
 
 

Österreichs spezifische politische Entwicklung in der Vergangenheit - von der Monarchie, über die Erste bis zur Zweiten Republik - behinderte ein unverkrampftes Verhältnis zum Parlamentarismus. Monarchische Ignoranz, die Obstruktionspolitik der Abgeordneten, die die de facto Blockade des parlamentarischen Proezesses herbeiführte, zusammen mit dem stark obrigkeitsstaatlich geformten Staatsverständnis prägten die ersten Erfahrungen mit dem Parlamentarismus. Der Versuch der Ersten Republik scheiterte, grob vereinfacht formuliert, an einem Zuviel an Konflikt und dem mangelnden, aber unerlässlichen Fundamentalkonsens der politischen Eliten. Und in der Zweiten Republik droht(e) die demokratische Qualität des Systems aufgrund der mangelnden Konkurrenz und überbordenden Konsensbedürfnisses Schaden zu nehmen.

Das charakteristische Merkmal von Konkordanzdemokratien bildet das Nebeneinander eines formal funktionierenden Parlamentarismus, der ein Minimum an Parteienkonkurrenz institutionell gewährleistet, und einer auf Konkordanz ausgerichteten Sozialpartnerschaft, die primär auf der Ebene von Verbänden angesiedelt ist. Die Organisationsform der Verbände eignet sich deshalb besonders gut für sozialpartnerschaftliche Mechanismen, weil sie ein Minimum an Öffentlichkeit und ein Maximum an Formlosigkeit bereitstellen. Parteien, die ja primär auf der Bühne des Parlaments agieren, stehen demgegenüber viel zu sehr im breiten, mitunter grellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Auch besteht zwischen den Parteien eines politischen Systems ein Minimum an direkter Konkurrenz v.a. um Wählerstimmen, von denen sie ja ihre demokratische Legitmation herleiten; Verbände stehen demgegnüber in keinem solchen direkten Konkurrenzverhältnis.

Die Leistungsbilanz konkordanzdemokratischer Systeme ist von daher ambivalent zu beurteilen: wohl leidet die demokratische Qualität unter der geringen Parteienkonkurrenz, andererseits gewährleistet dieser ausgeprägte Parteienkonsens ein Mass an politischer Stabilität, das oftmals in stark zerklüfteten Gesellschaften den sozialen Zusammenhalt erst sicherstellt.

Ein Zuviel an Stabilität führt jedoch zu Verkrustungen und Innovationsdefiziten des Systems, die langfristig ebenfalls dessen Bestand in Frage stellen können.
 
 
 
 

Teil II

3. 1. Mechanismen parlamentarischer Konkordanz

Österreich ist eine demokratische Republik, ihr Recht geht vom Volk aus. Mit dieser programmatischen Formulierung proklamiert Art. 1 des B-VG das demokratische Prinzip. Es besagt, dass der politische Entscheidungsprozess allgemein verbindlicher Normen grundsätzlich auf das Volk als Souverän zurückführbar sein muss. Diese Programmatik erfuhr in Österreich als mittelbare Demokratie ihre verfassungsrechtliche Ausgestaltung, d.h. vom Volk gewählte Repräsentativkörperschaften entscheiden an Stelle des gesamten Bundesvolkes. Neben diesen repräsentativ-demokratischen kennt das Verfassungsrecht aber auch eine Reihe von direkt-demokratischen Instrumentarien.

Grundprinzip der politischen Demokratie in Österreich ist ein parteienstaatlich organisierter Parlamentarismus. Dies verwundert nicht, bedenkt man, dass es stets die Parteien waren, die zweimal an der Wiege der Republik standen. Auf Bundesebene ist der Parlamentarismus als Zweikammernsystem institutionalisiert: zum einen der direkt vom Volk gewählte Nationalrat, zum anderen der indirekt gewählte, d.h. von den neun Landtagen beschickte Bundesrat, wobei die Gewichte eindeutig zugunsten des Nationalrats verteilt sind. Das Konzept der Demokratie als Parteienstaat trägt einem Wandel Rechnung, der sich in der Form der Repräsentation von der Ära des liberalen Konstitutionalismus bis zur demokratischen Republik ereignet hat. So gesehen bilden Mehrheitsregel, Repräsentationsfiktion und Parteienstaat eine Einheit, die für die Legitimationsleistung der modernen parlamentarischen Demokratie unentbehrlich ist. (Vgl. hierzu Karl Ucakar: Verfassung - Gecshichte und Prinzipien, in: Dachs u.a. (Hrsg.): Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 1992, S. 86)

Verfassungsrechtlich ist das Zentrum des politischen Entscheidungsprozesses klar und eindeutig determiniert. Art. 24 B-VG formuliert kurz: Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat aus. Auch hier geniesst der Nationalrat eindeutig Vorrang vor dem Bundesrat, dem lediglich ein suspensives Veto gegenüber Gesetzesbeschlüssen des Nationalrats sowie ein Gesetzesinitiativrecht zugesprochen werden. Dieser verfassungsrechtlichen kann die verfassungswirkliche Sicht gegenübergestellt werden, die die Bundesregierung als Zentrum des politischen Prozesses beschreibt.

Die Verfassung bestimmt die einfache Mehrheitsregel als Entscheidungsprinzip im Nationalrat. Ausgenommen davon ist allein der Beschluss von Verfassungsbestimmungen, deren Beschluss zumindest die Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erfordert. Damit wäre zumindest die formale Möglichkeit gegeben, in Österreich nach dem Prinzip der einfachen Mehrheitsregel zu regieren. Analysiert man aber nun die Abstimmungergebnisse im Nationalrat, so fällt auf, dass ein beträchtlicher Teil der Gesetzesbeschlüsse die Zustimmung einer überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten erhält. Ziel des folgenden Abschnitts ist es, diesen Umstand vor dem Hintergrund des österreichischen politischen Systems zu kontextualisieren.

Gerhard Lehmbruch nennt Konkordanz das für das politische System Österreichs charakteristische Verhaltensmuster. Das Phänomen der Konkordanz beruht auf der Dominanz kooperations- und konsensorientierter vor konfliktorientierten Verhaltensweisen. Die Ursachen für diese Dominanz sind vielfältiger Natur, und wie so oft können monokausale Erklärungsansätze keine zufriedenstellenden Antworten bereitstellen. Hierzu bedarf es eines multifaktorellen Ansatzes, der über allzu vereinfachende Klischees - wie etwa dasjenige des gemeinsamen Lagerschicksals der politischen Eliten während des Faschismus - hinausreicht und der doch beachtlichen Komplexität der Realität entsprechend Rechnung trägt.
 
 

3.2. Die grosse Koalition als Mechanismus der Konkordanz

Die Form der Regierungsbildung determiniert in gewisser Hinsicht bereits die dominierende Form parlamentarischer Entscheidungsprozesse. Die spezifisch österreichische Variante der grossen Koalition etablierte zwei effiziente Konkordanzmechanismen: den Ministerrat und den Koalitionsausschuss. Beide Institutionen funktionierten einzig und allein nach dem Einstimmigkeitsprinzip (für den Ministerrat trifft das auch heute noch zu).

Obwohl das B-VG keine expliziten Bestimmungen über die Beschlussfassung der Bundesregierung als Kollegialorgan enthält, geht die vorherrschende verfassungsjuristische Interpretation davon aus, das ein solcher Beschluss, d.h. ein Ministerratsbeschluss, nur einstimmig erfolgen kann. Der Konfliktregelungsmechanismus des Koalitionsausschusses bestand in einer vermehrten Miteinbeziehung der Parlamentsfraktionen in prekären Konfliktsituationen, um allfällige, zwischen den Koalitionspartnern bestehende Differenzen auszuräumen. Damit wurde der Koalitionsausschuss quasi zum Entscheidungszentrum der Koalitionsregierung, das v.a. durch die dominierende Stellung der beiden Klubobmänner Raab und Pittermann gekennzeichnet war. Mit dem Koalitionsausschuss schufen sich ÖVP und SPÖ ein Gremium, das Wolfgang Rudzio als ein abgeschottetes Krisen- und Entscheidungsmanagement in kleinen oligarchischen Zirkeln beschreibt (Vgl. hierzu Wolfgang Rudzio: Entscheidungszentrum Koalitionsausschuss - Zur Realverfassung Österreichs unter der grossen Koalition, in: PVS 12 (1971, S. 87 - 118). Dieser verfügte im Unterschied zum Ministerrat über die idealen Voraussetzungen für Konkordanzmechanismen: maximale Formlosigkeit und minimale Öffentlichkeit. Die Mechnismen des Koalitionsausschusses trugen zwar wesentlich zur effizienteren und konsensorientierten Konfliktbewältigung bei, können jedoch kaum als genuin parlamentarische Konfliktregulierung bezeichnet werden, obwohl die parlamentarischen Fraktionen der beiden Regierungsparteien, insbesondere aber die beiden Klubobmänner, in ihrer Stellung hervorgehoben wurden.

Ein weiteres Indiz für das im Parlament vorherrschende Klima der Konkordanz und mangelnden Konkurrenz zwischen den einzelnen Fraktionen zeigt sich in der Tätigkeit und Arbeitsweise der Präsidialkonferenz des Nationalrats (Vgl. hierzu Halmut Widder: Die Präsidialkonferenz des Nationalrats, in: ÖZP 1/1972, S. 105 - 127). Die Aufgabe dieses Gremium, bestehend aus den drei Präsidenten des Nationalrats und den Klubobleuten der Parlamentsfraktionen (an den Beratungen nimmt auch der Parlamentsdirektor teil), liegt in der Herstellung des für den parlamentarischen Prozess unerlässlichen formalen Konsenses, der auch regelmässig mithilfe von Kompromisstechniken erzielt wird. Indem sämtliche von den Entscheidungen Betroffene in den Entscheidungsprozess integriert sind, stellt die Präsidialkonferenz des Nationalrats ein geradezu typisches Konkordanzgremium dar, nicht zuletzt deshalb, weil hier Entscheidungen primär abseits der parlamentarischen Öffentlichkeit getroffen werden.

Der Einfluss sozialpartnerschaftlicher Entscheidungsmechanismen auf parlamentarische Entscheidungsmuster Für eine detaillierte und umfassende Darstellung und Analyse des österreichischen Systems der Interessenvermittlung in der Sozialpartnerschaft ist diese Arbeit nicht der passende Ort. Lediglich auf den Einfluss dieser Institution auf die Prozesse der parlamentarischen Entscheidungsfindung auf Bundesebene soll hier näher eingegangen werden.

Entscheidendes Kriterium für diesen Einfluss ist ein mehrdimensionales, sich überlappendes Netzwerk horizontaler und vertikaler Verflechtungen. Dabei sind insbesondere die engen institutionell-organisatorischen Beziehungen zwischen den Interessenorganisationen und den beiden Grossparteien SPÖ und ÖVP und von Bedeutung. Diese äussern sich vor allem in einer intensiven wechselseitigen personellen Verflechtung von Verbänden, Parteien und Parlament. Da jedoch die Sozialpartnerschaft kein Bestandteil des geschriebenen Verfassungssystems, sondern Teil der sog. Realverfassung ist, sind die Verknüpfungen zwischen dem Parlament und den Sozialpartnern nicht formalisiert, sondern indirektes Produkt der angesprochenen Verzahnung von Parteien und Verbänden auf der personellen Ebene.

Direkt in den Gesetzgebungsprozess integriert sind die Sozialpartner über ein ausdifferenziertes System der Überlappung von horizontalen und vertikalen, formellen wie informellen Beteiligungen und Kooperationen. Im Falle von Regierungsvorlagen, deren Anteil ungefähr zwei Drittel an allen im Nationalrat beschlossenen Gesetzen beträgt, ist die sozialpartnerschaftliche Beteiligung am Gesetzgebeungsprozess über das - wohlgemerkt vorparlamentarische - Begutachtungsrecht sogar rechtlich festgelegt. Auch nach Einbringung der Gesetzesmaterie in den Nationalrat sind die Einflussmöglichkeiten der Sozialpartner auf den parlamentarischen Willensbildungsprozess noch nicht erschöpft, was angesichts ihres hohen personellen Anteils im Parlament auch nicht weiter verwundert.

Bemerkenswert ist jedoch, dass Kompromisse zwischen den Sozialpartnern wesentlich dazu beitrugen, parlamentarischen Konsens in Zeiten der Einparteien-Regierungen herzustellen; als die markantesten Beispiele seien nur das Arbeitsverfassungsgesetz von 1973, die Arbeitsmarktförderungs-Novelle von 1976 und die Wirtschaftsgesetze von 1982 genannt.
 

3.3. Die langsame Erosion konkordanzdemokratischer Entscheidungsmuster

Die Nationalratswahl vom 6. März 1966 veränderte das politische System Österreichs grundlegend: zum ersten Mal sah sich eine Partei in der Lage, eine Regierung ohne Koalitionspartner bilden zu können. Zwar erreichte die ÖVP auch bei den ersten Wahlen 1945 eine absolute Mehrheit an Mandaten (49,79 % der abgegebenen gülitigen Stimmen), aufgrund der politischen Situation war jedoch eine Alleinregierung zum damaligen Zeitpunkt vollkommen unrealistisch. Nun, 1966, errang die Volkspartei erneut die absolute Mehrheit an Mandaten (mit 48,34 % der abgegebenen gültigen Stimmen) und jetzt war es - aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen - möglich, eine Alleinregierung zu bilden. Der Beginn der bis 1983 andauernden Phase der Einparteienregierungen in Österreich, läutete die Entwicklung hin zu ersten, wenn auch zunächst äusserst zaghaften, konkurrenzparlamentarischen Ansätzen ein. Zwar gab es auch schon vor 1966 eine parlamentarische Opposition, jedoch war deren Mandatsstärke von verschwindend lächerlicher Grösse angesichts der Koalition von ÖVP und SPÖ. Damit stand 1966 erstmals eine nennenswerte Opposition der Regierungsmehrheit gegenüber. Allein bereits durch diese klare Polarisation zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen im Parlament nahm das konkurrenzdemokratische Verhalten der im Parlament vertretenen Parteien bereits zu. Und obwohl nachwievor ein Grossteil aller Gesetze mit den Stimmen aller Abgeordneten beschlossen wurde, erlebte doch der parlamentarische Prozess eine gewisse Aufwertung. Dies lag vor allem an der Aufwertung der parlamentarischen Kontrollfunktion, die nun erstmals durch eine starke Opposition wahrgenommen werden konnte.

Dass bei den darauffolgenden Wahlen 1970 die SPÖ eine, wenn auch relative, Mehrheit errang, verstärkte noch diese Tendenzen. Die Wahlrechtsreform von 1971, obwohl sie das Verhältniswahlsystem noch weiter perfektionierte, läutete jedoch ein rasches Ende dieser für Österreich untypischen Phase der raschen Regierungswechsel ein, da sie den bisher zugunsten der ÖVP wirksamen mehrheitsbildenden Effekt beendete.

Die politischen Parteien sehen nun im Parlament mehr als in der Koalitionszeit den Kampfboden für die Austragung politischer und gesellschaftspolitischer Kontroversen und versuchen auch, in stärkerem Masse als bisher das Parlament als Schaubühne für die Mobilisierung und Politisierung der öffentlichen Meinung und der Wählerschaft zu verwenden.(Helmut Widder: Parlamentarische Strukturen im politischen System, Berlin 1979, S. 277)

Wesentlich zu dieser Aufwertung des parlamentarischen Stellenwerts im politischen Prozess trug auch die Geschäftsordnungsreform des Nationalrats 1975 bei, deren Intention es war, primär die (Kontroll-) Rechte der Oppositionsparteien zu stärken und den parlamentarischen Arbeitsablauf den neuen Gegebenheiten anzupassen. Widder spricht in diesem Zusammenhang von einer Stärkung bzw. Ausbau des Konkurrenzparlamentarismus durch die Geschäftsordnungsreform. Dabei ging es insbesondere um die Ausweitung und Verbesserung des parlamentarischen Minderheitenrechts im allgemeinen und er parlamentarischen Kontrollrechte im besonderen Masse.
 
 

3.4. Von der Re-Politisierung des Parlaments in den 80er Jahren zu einem multipolaren Parlament in den 90er Jahren

1986 gelang es erstmals seit dem Ausscheiden der KPÖ 1959 wieder einer vierten Partei, den Einzug in den Nationalrat zu schaffen: mit 234 028 Stimmen oder 4,82 % der abgegebenen Stimmen errang die Allianz von den Grünen Alternativen und Vereinten Grünen 8 Mandate. In den 90ern spaltete sich das Liberale Forum von der FPÖ ab, damit waren fünf Parteien im Parlament vertreten.

Seit 1966 ist das Konfliktniveau im Parlament - gemessen am Abstimmungsverhalten bei Gesetzesbeschlüssen - langsam angestiegen. Dieser Anstieg erfolgte jedoch nicht stetig oder gleichmässig, sondern trat gewissermassen in Schüben auf. Die ersten Anzeichen hierfür machten sich wie gesagt bereits 1966 bemerkbar, als der ÖVP-Alleinregierung mit SPÖ und FPÖ erstmals eine mächtige Opposition gegenüberstand. Der nächste parlamentarische "Quantensprung" fand dann 1986 mit dem Einzug der Grünen ins Parlament statt. Mit ihrem Verständnis von Politik im allgemeinen und Parlamentarismus im besonderen rückten die Entscheidungsregeln im österreichischen Nationalrat wieder ein gutes Stück weg von konkordanzdemokratischen und hin zu konkurrenzdemokratischen Verhaltensformen. Der seit 1986, als die Koalition von SPÖ und FPÖ beendet wurde, markante Oppositionsstil der Freiheitlichen unter ihrem neuen Parteiobmann Jörg Haider verstärkte noch merklich diesen Trend. Als sich 19994? einige freiheitlichen Abgeordneten von der FPÖ abspalteten und das Liberale Forum ins - zunächst nur parlamentarische - Leben riefen, waren zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik fünf Parteien im Nationalrat vertreten.

Aus anderer, nüchternerer Perspektive lässt sich das steigende Konfliktniveau im Parlament darauf zurückzuführen, dass sich der Kreis der "koalitionsfähigen" Parteien nach und nach vergrösserte: Die FPÖ zählte spätestens seit ihrer Duldung der Minderheitsregierung 1970 unter Kreisky dazu, die Grünen spätestens seit Mitte der 90er - obwohl deren interner Diskussionsprozess noch nicht gänzlich abgeschlossen scheint - und das Liberale Forum eigentlich seit seiner Abspaltung. Insbesondere die kleineren Parteien und die FPÖ nutzen nun vermehrt die Tribünen- und Kontrollfunktionen des Parlaments für ihre legitimen politischen Zwecke.
 
 

5. Geschichte der Untersuchungsausschüsse im Nationalrat in der 2. Republik

Thomas Iwanschitz
 
 

1. Einleitung

Das Kontrollinstrument des UA wurde in Österreich bisher nicht sehr oft in Anspruch genommen, was mit Sicherheit auch an den regulativen Schranken, den die Bildung von UA unterworfen ist liegt. Ich erinnere hierbei nur ganz kurz an die Tatsache, dass die Geschäftsordnung trotz mehrmaliger Novellierungen bis heute UA noch immer nicht als Minderheitenrecht verankert hat. Da eine Kontrolle sich jedoch natürlich hauptsächlich gegen die Regierung (sprich: Parlaments-mehrheit) richtet, bedarf es schon aussergewöhnlicher Umstände, um einen UA einsetzen zu können.

Seit Beginn der Zweiten Republik geschah dies insgesamt 15 Mal. Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass wenn einmal ein UA eingesetzt wurde, dann leistete dieser auch immer "gute" Arbeit. Entweder kam es direkt aufgrund des Ausschusses zu politischen Konsequenzen, oder die Gerichte wurden durch die Ausschussarbeit auf verschiedene Straftatbestände aufmerksam und wurden deswegen tätig. Oder aber involvierte Organisationen beendeten schon während der Arbeit des Ausschusses die Missstände, die in ihren Reihen herrschten.

Insgesamt gab es in den bisherigen 15 Ausschüssen (13 verschiedene, 2 nach Wahlen wieder eingesetzt) bereits 330 Sitzungen.
 
 

2. Die einzelnen Ausschüsse

* Marshall-Plan-Hilfe:

Zeit: Dez. ´49-Apr. ´52, 45 Sitzungen; Vertreter von CA, Länderbank und Bundeshandelskammer sollen sich bei ERP-Verhandlungen in New York bereichert haben; es konnte zwar nichts bewiesen werden, die Doppelfunktionen(Bank-Regierungsvertreter) wurden jedoch abgeschafft.

* Autobahnskandal:

Zeit: Juni ´66-Apr. ´68, 16 Sitzungen; Baufirmen und hohe Beamte wurden des Betruges im Zuge des Ausbaus der Westautobahn verdächtigt; keine konkreten Ergebnisse

* Spionagefall Innenministerium:

Zeit: Dez. ´68-Okt. ´69, 16 Sitzungen; "undichte Stellen" im Innenressort führten schliesslich zur Verhaftung des Pressesprechers vom Innenminister und eines Detektivs

* Architektenwettbewerb UNO-City:

Zeit: März ´71-Juni ´71, Feb. ´72-Juni ´72, 15 Sitzungen; erstreckte sich über 2 Legislaturperioden, Ungereimtheiten bei der Auftragsvergabe zur Planung der UNO-City; Ergebnis: neue Vergaberichtlinien

* Flugzeugkäufe:

Zeit: Feb. ´71-Juni ´71, März ´72-Juni ´75, 34 Sitzungen; ebenfalls wegen Wahlen unterbrochen, schon damals: Parteienfinanzierung bei Flugzeugkäufen fürs Bundesheer?; Konsequenzen gering, nur strengere Offenlegungspflichten

* Wiener Konferenzzentrum:

Zeit: Mai ´72-Juni ´75, 23 Sitzungen; Überprüfung von Finanzierung und Auftragsvergabe beim Konferenzzentrum; genaues wird hier nie geklärt werden können

* Abhöraffäre:

Zeit: Juni ´76-März ´77, 6 Sitzungen; angebliche Abhöraktionen der Staatsanwaltschaft beim "profil"; keine konkreten Ergebnisse

* Waffenexporte unter Minister Lüttgendorf

Zeit: Feb. ´77 - Mai ´77, 14 Sitzungen; Verteidigungsminister soll unerlaubte Waffenexporte zugelassen bzw. angeordnet haben (nach Syrien); letztendlich führten diese (und andere) Affären zum Rücktritt des Ministers (inklusive Selbstmord)

* AKH-Skandal:

Zeit: Mai ´80-Mai ´81, 42 Sitzungen; Vorkommnisse beim Bau des neuen AKH; Aufarbeitung der Verfehlungen des (damals schon zurückgetretenen) Hannes Androsch; später führten Aussagen Androschs vor diesem UA zu einer Verurteilung in einem Finanzstrafverfahren

* WBO-Affäre:

Zeit: Feb. ´82-Jän.´83, 29 Sitzungen; Verwicklungen von ÖVP-Politikern mit einer Wohnbaugenossenschaft im NÖ und Burgenland; Rücktritt des burgenländischen Obmannes Sauerzopf und NÖ-Sekretär Zimper (später auch in Haft)

* Lucona:

Zeit: Nov. ´88- ´89, 38 Sitzungen; politische Einflussnahme auf die Machenschaften von Udo Proksch, vor allem von Gratz, Blecha, letzendlich Rücktritt der beiden Politiker

* Noricum:

Zeit: ´89-´90, 26 Sitzungen; Waffenexporte in den Iran; später auch Gerichtsverfahren gegen Sinowatz, Gratz und Blecha

* Milchwirtschaftsfond:

Zeit: ´89-´90, 26 Sitzungen; Ungereimtheiten und Verwirklungen von Bauernbund-Politikern beim Milchwirtschaftsfond; Bereicherungen zu Lasten der Bauern?; keine konkreten Ergebnisse
 
 

3. Fazit

UA dienten in der Zweiten Republik hauptsächlich zur Aufarbeitung von (meist) bereits einige Zeit zurückliegenden Skandalen. Trotzdem hatten sie, wie gesehen, oft weitreichende Konsequenzen. Natürlich wurden sie immer wieder zu parteipolitischen Zwecken "missbraucht", was aber ganz klar in der Natur der Sache liegt. Dazu ein Zitat eines Bonner Bundestagsexperten: "Es gibt keinen UA, der nicht politisch ist; es geht immer auf irgendjemandes Haupt nieder und das ist ja auch beabsichtigt." (Presse, 4.11.1988)

Oftmals boten die UA auch Gelegenheit für politische Talente ins Rampenlicht zu treten und mit guter Arbeit eine Karriere zu beginnen. Bekannteste Beispiele dafür sind einerseits mit Sicherheit Peter Pilz von den Grünen, dessen Auftritte bei Lucona und Noricum für grosses Aufsehen sorgten, andererseits aber auch Norbert Steger und Helene Partik-Pable von der FPÖ, die im Zuge des AKH-Ausschusses erstmals auf sich aufmerksam machten, und Steger wurde schliesslich ja sogar Parteiobmann und Vizekanzler.

Die Arbeit von Gerichten haben UA mit Sicherheit noch nie gestört, negativ beeinflusst oder geschweige denn behindert. Es war immer möglich und sinnvoll die strafrechtliche Komponente von den Gerichten untersuchen zu lassen und daneben die politische von den Parlamentariern. Beide Institutionen konnten auch gegenseitig voneiander profitieren, so wurde z. B. einige Male durch die UA die Arbeit des Untersuchungsrichters um einiges erleichtert, der auf Ergebnisse des UA zurückgreifen konnte. (Geschehen beim Finanzstraf-verfahren gegen Hannes Androsch - siehe Kap. 2)

Resümierend möchte ich also sagen, dass aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte der UA im österreichischen NR kein plausibler Grund erkennbar wäre, warum im aktuellen Anlassfall der Kurdenaffäre ein Nebeneinander von gerichtlicher und parlamentarischer Arbeit nicht möglich bzw. konstruktiv wäre.
 
 

4. Quellen

Ettinger, Karl: Hintergrund und Reportage zum Thema UA. In: Die Presse. 5.11.1988. S.4.

Mörth, Margarita: Thema des Tages. UA. In: Kurier. 4.11.1988. S.5.

Worm, Alfred: Hohes Haus: Tabula Rasa. In: News. Nr. 23/97. S.32-34.
 
 
 

Untersuchungsausschüsse im internationalen Vergleich
 
 

Es folgt nun, nach meiner Analyse der bisherigen österreichischen UA, ein kurzer internationaler Vergleich von UA (und Konsequenzen, die man für Österreich daraus ziehen kann).
 
 

1. Einleitung

Nachdem ich aus meiner Analyse der österreichischen UA in der Zweiten Republik geschlossen habe, dass es prinzipiell keine empirische Begründung dafür gibt, UA nicht als Minderheitenrecht zu etablieren, da der parteipolitische "Missbrauch" immer vorhanden sein wird und Konsequenzen aus einem Ausschuss nur bei wirklichen Missständen entstehen, möchte ich nun die Situationen in anderen Ländern in die Analyse miteinbeziehen.

Objekte meines internationalen Vergleichs werden die Länder FRANKREICH, DEUTSCHLAND und USA sein. Es soll jeweils kurz die geschichtliche und aktuelle Situation bezüglich UA in diesen Staaten erläutert werden, um dann in einem Fazit Rückschlüsse auf Österreich ziehen zu können.
 
 

2. Frankreich

In Frankreich kann die allgemein eher schwache Position des Parlaments im institutionellen System (und die gleichzeitige starke Stellung des Präsidenten) eindeutig auf die Situation der UA übertragen werden. UA stellen hier eher die Ausnahme als die Regel dar. Die Geschäftsordnung der französischen Nationalversammlung macht es de facto unmöglich einen UA zu bilden, wenn Parlamentsmehrheit und Regierung (in der politischen Realität stets ident) koordiniert vorgehen. So wie in Österreich sind UA nicht als Minderheitenrecht verankert.

Deswegen beschränkte sich deren Zahl im Zeitraum von 1981 bis Ende 1988 auch auf vier. Diese kamen einerseits zustande, wenn ein Regierungswechsel stattfand und die neue Mehrheit Missstände der alten Regierung aufdecken wollte, und andererseits wenn die Opposition die Regierung im Prozedere überrumpelte. So kam es zu einem UA zur Aufklärung polizeilicher Gewalt während der Studentenproteste 1986 nur deswegen, da bei der Abstimmung darüber ein Grossteil der Regierungsfraktionen nicht anwesend war.

Bereits seit Ende der 80er Jahre wurde immer wieder versprochen, die Geschäftsordnung zu ändern und die Opposition im Bereich der UA zu stärken, geschehen ist bis heute jedoch noch nicht sehr viel.
 
 

3. Deutschland

Im deutschen Bundestag stellt sich die Situation schon um einiges anders dar. Seit dem Jahre 1949 gab es im Durchschnitt immer DREI UA gleichzeitig. Das Instrument ist hier als echtes Kontrollrecht verankert und wird deshalb auch verstärkt in Anspruch genommen.

Die Frage nach Effizienz dieser enormen Anhäufung von UA stellte und stellt sich natürlich immer wieder, grösstenteils ist man sich im politischen Diskurs in unserem Nachbarstaat jedoch einig, dass die UA ein wichtiges Element des demokratischen Diskurses darstellen, vor allem deshalb weil ein Thema (im Gegensatz zur massenmedialen Aufbereitung) länger bearbeitet wird. Ein UA zieht sich in Deutschland nämlich oft über eine gesamte Legislaturperiode.

Naturgemäss haben jene, gegen die ein Ausschuss gerichtet ist, oftmals ein zwiespältiges Verhältnis dazu, wie aber bereits erwähnt, sind die UA ein wesentlicher Bestandteil der deutschen politschen Kultur.
 
 

4. USA

Trotz der, bei uns oft zitierten, "grossen" Macht des US-Präsidenten hat sich der amerikanische Kongress den UA als Kontrollrecht von Anbeginn an gesichert und verwendet ihn auch immer wieder spektakulär und effizient.

Bereits 1792 untersuchte das Repräsentantenhaus ein Massaker in einem Indianerterritorium, und seither gilt das Instrument der UA in den USA als institutionalisiert.

Dadurch dass sich in Amerika die Frage nach der Regierungsmehrheit bzw. Opposition nicht in der Weise, wie in Europa, stellt, brauchen UA auch nicht explizit als Oppositionsrechte verankert sein.

1944 äusserte sich Präsident Harry Truman zum Thema der UA folgendermassen: "Die Macht, Untersuchungen durchzuführen, ist eine der wichtigsten des Kongresses. Die Art, wie diese Macht gehandhabt wird, wird zu einem Grossteil Position und Prestige des Kongresses der Zukunft ausmachen." (Presse, 5.11.1988)

Die aufsehenerregensten Ausschüsse waren mit Sicherheit der "Watergate"-Ausschuss 1973, sowie "Irangate" 1987. Darüberhinaus gab es jedoch immer wieder eine Vielzahl von Untersuchungen, so gab es bereits in den Jahren 1967/68 insgesamt 496 Untersuchungen, die 21,9 Mio. Dollar kosteten.
 
 

5. Fazit

Die Analysen der Situation betreffend UA in den drei Ländern haben eindeutig gezeigt, dass die Angst der Regierungsmehrheit in Österreich vor vielen UA eigentlich unbegründet ist.

In Deutschland, bei uns immer als vorbildlicher "grosser Bruder" betrachtet, gibt es regelmässig drei Untersuchungen gleichzeitig und trotzdem entstehen stabile Regierungen, keine Vielzahl von Skandalen etc.; auch wurde die Qualität von UA durch deren Quantität keineswegs beeinträchtigt.

Noch extremer ist die Handhabung von UA in den USA, wo aber gesagt werden muss, dass die politische Ausgangslage eine andere ist, die mit der mitteleuropäischen nicht ganz verglichen werden kann. Trotzdem zeigt sich auch hier keine Beeinträchtigung der Politik durch die Vielzahl an Untersuchungen.

In Frankreich ist die Situation ähnlich wie in Österreich. Durch die Verankerung der UA als Mehrheitsrecht gibt es nur ganz wenige Untersuchungen.
 
 

6. Quellen

König, Ewald: Bonn: Aufklärung, aber immer auch Skandal-Enquete. In: Die Presse. 5.11.1988. S. 4.

Riedler, Monika: Watergate war für den US-Kongress nicht der erste Fall. In: Die Presse. 5.11.1988. S. 4.

Smonig, Reinhold: In Frankreich sind Ausschüsse mehr Ausnahme als Regel. In: Die Presse. 5.11.1988. S. 4
 
 

6. Die Rolle der SPÖ in der Kurdenmord-Affäre

Sebastian L. Paulick:
 
 

Die Fakten sind bekannt: Vor acht Jahren wurden in einer Wiener Wohnung drei kurdische Politiker, zwei hohe Funktionäre der Kurdisch-Demokratischen Partei sowie ein aus dem irakischen Kurdistan stammender Politikwissenschafter (mit österreichischer Staatsbürgerschaft), erschossen. Die mutmasslichen Täter, die drei iranischen "Gegenüber" bei den Geheimverhandlungen in Wien, wurden nicht nur laufen gelassen, es wurde ihnen sogar die Flucht ermöglicht. Bis heuer war es gelungen, die wahren Hintergründe unter Verschluss zu halten: Die Verantwortlichen hatten sich dem Druck der iranischen Regierung gebeugt. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt am 19. April 1997: "Die mutmasslichen drei Mörder der Kurden verliessen Österreich ungestraft. Die Polizei sagt, es sei offensichtlich, dass diese drei die Täter gewesen seien. Ausser den verantwortlichen Politikern gibt es anscheinend niemanden, der bestreitet, dass das offizielle Österreich die drei laufen liess, um die iranische Regierung nicht zu erzürnen. Die Affäre betrifft die damaligen Minister Löschnak (SPÖ), Foregger (parteilos) und Mock (ÖVP)."

Ich will im folgenden versuchen, die Rolle der SPÖ als der grösseren der beiden Koalitionsparteien in dieser Sache darzustellen, ohne dabei den konkreten Fall allzu sehr in den Vordergrund zu rücken. Vielmehr geht es darum, das Verhalten einer Regierungspartei, vor allem derer Abgeordneten, im Umgang mit der Beteiligung von parlamentarischen Minderheiten zu exemplarisch zu dokumentieren. Dass ich dabei auch auf den Sachverhalt des "Anlassfalles" meiner Untersuchung eingehen muss, versteht sich von selbst.

Seit Mitte April feiert die Affäre rund um die "Kurdenmorde" ein Comeback in ihrer Themenkarriere; und seit eben diesem Zeitpunkt fordern alle drei Oppositionsparteien (FPÖ, LiF und Grüne) die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in dieser Sache, der aber von den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP abgelehnt wird. Die Koalition kann durch ihre Mehrheit im Parlament freilich einen solchen Ausschuss verhindern (vgl §§ 33 und 82 GOG).

Die SPÖ ist, seit der ersten Reaktion auf die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss, gegen einen solchen. Das ist nachvollziehbar: Die SPÖ hat sich durch Löschnak durchaus die Finger schmutzig gemacht und kann schon deshalb an einer Aufklärung nicht nur interessiert sein. Das Misstrauen, das weite Teile der Bevölkerung der Politik und ihren Institutionen generell entgegenbringen, kommt der Partei in diesen Fall sogar gelegen und kann ihr von Nutzen sein: nicht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, in dem alle politischen Parteien (Proporz!) vertreten sind, soll den Fall knacken, sondern ein unabhängiges (also sauberes, weil unpolitisches) Gericht. Dass ein solches den Fall nur hinsichtlich seiner strafrechtlichen Relevanz prüfen kann und daher auch auf politische Konsequenzen nur indirekten Einfluss haben kann, bleibt unberücksichtigt.

Doch eine Hintertür wurde immer offengehalten: Die APA zitiert Kostelka bereits am 14. April, dass ein Untersuchungsausschuss "ein probates Mittel" wäre — falls politische Konsequenzen nach der Untersuchung durch die unabhängigen Richter überhaupt noch notwendig wären. Immerhin: Grundsätzlich seien die Umstände rund um die Kurdenmorde "durchaus näher zu prüfen" (Kostelka). So kann schliesslich die SPÖ nach der forensischen Untersuchung immer noch eine parlamentarische fordern, mit dem Hinweis, dass man das gleich in Erwägung gezogen hätte, aber nichts überstürzen wollte.

Am 16. April meldete sich schliesslich Löschnak zu Wort, der zum Zeitpunkt der Morde Innenminister war und der einräumte, dass es damals "die eine oder andere Panne gegeben hat, die sicher nicht zur notwendigen Aufklärung beigetragen hat" (APA, 16.04.1997). Die SPÖ war sich zu dieser Zeit nicht nur der Unterstützung durch die ÖVP bewusst, sondern glaubte vielleicht noch, die FPÖ, die mächtigste Oppositionspartei, auf ihre Seite ziehen zu können. In jener Sitzung, in der Löschnak Versäumnisse zugab, versicherte der F-Klubchef Stadler die ehemaligen Minister Mock und Löschnak seiner Sympathie: "Für uns gelten sie als anständiger Mensch." (APA, 16.04.1997)

Solcherart abgesichert erinnerte der SPÖ-Abgeordnete Leikam daran, dass die Haftbefehle gegen die Kurdenmörder nach wie vor aufrecht seien und appellierte an die Abgeordneten, "Vertrauen in die österreichische Justiz zu haben" (APA, 16.04.1997). Die Absicht einer solchen Beschwichtigung ist klar: Sie spricht den Abgeordneten der Fraktionen, die die Einsetzung eines Ausschusses verlangen,

das Vertrauen in die österreichische Justiz in desavouierender Weise ab; denn wer an der Glaubwürdigkeit der Justiz zweifelt, gräbt an den Fundamenten der "Konsensillusion Staat" und ist in einem legislativen Amt zumindest verdächtig.

Die Wochen nach dem Wiederaufleben der Affäre verbrachte die SPÖ mit "mauern". Am 22. April erklärte Klima im Ministerrat, dass sich in der Frage "weder die Haltung der SPÖ noch der Regierung" geändert hätten (APA, 22.04.1997). Am nächsten Tag konnte der Parteichef und Bundeskanzler auf einer Pressekonferenz berichten, dass der bisherige Standpunkt in den SPÖ-Parteigremien voll bestätigt wurde (APA, 23.04.1997).

Am 24. April erklärte Vranitzky, auf ihn hätte es keine iranische Einflussnahme gegeben; es habe auch kein Regierungsmitglied "von iranischen Versuchen berichtet, durch Druck die Ermittlungen zu behindern" (APA, 24.04.1997). Zwar ist es unwahrscheinlich, dass der damalige Regierungschef von den zuständigen Ministern über die Lage im unklaren gelassen worden ist, das Gegenteil ist aber kaum zu beweisen. Vranitzky, in seiner neuen, internationalen Rolle als Albanien-Gesandter der OSZE und mit dem Flair des "elder statesman" umgeben, kann durch seine seit seinem Rücktritt gewachsene Glaubwürdigkeit der SPÖ sicherlich von Nutzen sein, unabhängig davon, ob er die Wahrheit sagt oder nicht.

In der Tageszeitung "Kurier" vom 26. April 1997 findet Nationalratspräsident Fischer erstaunlich klare Worte: Wenn Foregger "das Parlament falsch informiert hat, wäre das eine sehr, sehr ernste Sache"; wäre Foregger noch im Amt, bedeutete das Misstrauensantrag und Rücktritt. (Kurier, 26.04.1997)

Zwar gehört zu einer solchen Aussage kein besonderer politischer Mut, betrifft sie doch den einzigen parteilosen involvierten Politiker, sie ist aber als zumindest rhetorische Aufwertung des Parlaments und des Parlamentarismus interpretierbar. Eine lückenlose Information des Parlamentes garantiert, so alle Fraktionen eingebunden werden, ein gewisses Mass an Öffentlichkeit. Die Affäre hätte dann so nicht stattfinden können. Mit Fischer gibt damit also ein innerhalb der SPÖ wichtiger und angesehener Politiker nicht nur zu, dass die Affäre "aufklärungsbedürftig" ist, sondern auch, dass falsch gehandelt wurde — freilich nur von seiten eines politisch längst nicht mehr aktiven und parteilosen damaligen Regierungsmitgliedes.

Am 27. April 1997 meldete die APA — vorschnell, wie man heute weiss —: "SPÖ-Mauer bröckelt" (APA, 27.04.1997). Der SPÖ-Abgeordnete Guggenberger "wollte zwar keinen Untersuchungsausschuss fordern, zweifelte aber zunehmend, ob man ihn noch verhindern könne".

Fürs erste sollten sich seine Zweifel als unbegründet erweisen. Je länger die Kurdenmordaffäre und der sich um sie entspinnende Diskurs in den Medien Platz findet, desto kurioser scheint alles zu werden: Durch das Land scheint ziemlich genau jener Riss zu gehen, der bereits vor mehr als zehn Jahren, in der Waldheim-Affäre, die Frontlinie markierte. Damals wie heute zeigt sich, dass die recht junge Demokratie Österreich in ihrem Diskursverhalten noch manches wird lernen müssen. Als der Grün-Politiker Peter Pilz (als Fachmann geladen) vor dem amerikanischen Kongress die Rolle des offiziellen Österreich in Sachen Kurdenmorde erklärt, wird er tags darauf auch in grösserformatigen Blättern als "Denunziant" bezeichnet, der das Vaterland im Ausland besudelt hat. Drehumdiehand war alles wieder klar, alles wieder da: der Antiamerikanismus, der Antisemitismus, die Ostküste, das Heimatland, das gegen das feindliche Ausland verteidigt werden will. Über das eigene Land mag man im Ausland reden wie man will, romantisierte Andreas Unterberger in der Presse (ich zitiere sinngemäss), aber die Kritik muss positiv ausfallen.

SPÖ und ÖVP war in den Tagen vorher schon eine ähnliche Strategie der Opfer-Täter-Umkehr gelungen. In einer allgemein als "einzigartig" bezeichneten Aktion (diese Bezeichnung verdiente sie wahrscheinlich durch die Überwindung der ideologischen Differenzen zur Bildung einer sachlichen Zusammenarbeit für die Durchsetzung gemeinsamer Interessen) boykottierten sämtliche oppositionelle Abgeordnete die Ausschüsse des Nationalrats durch ihr Fernbleiben. Das Medienecho war erwartungsgemäss recht gross und variierte nur in der Interpretation der Ereignisse.

Der erste Präsident des Nationalrats, Heinz Fischer, stellte den Protest der Opposition als staats- und demokratiegefährdend dar und strich seinen eigenen Beitrag und jenen der Koalitionsparteien zur Rettung der Lage hervor. Der Standard berichtete am 23. Mai: "'Das hat es nicht einmal in Zeiten der Ersten Republik oder in Zeiten der ÖVP- und SPÖ-Alleinregierung' gegeben, kritisierte Nationalratspräsident Heinz Fischer die oppositionelle Ankündigung des Boykotts der Ausschüsse. Er werde in dieser heiklen Situation alles vermeiden, was die Lage weiter zuspitzen könnte." (Der Standard, 23.05.1997) Fischer setzte mit dieser Reaktion wahrscheinlich auf eine erweiterte Form des "Kanzlerbonus", auf die Glaubwürdigkeit der Regierungsparteien, die im Vergleich zu jener der Opposition immer noch grösser sein dürfte, und versuchte, die nicht an der Regierung beteiligten Parteien als Querulanten darzustellen, durch deren Agitation die parlamentarische Arbeit oder der Parlamentarismus als ganzer Schaden nimmt.

Für den Klub der SPÖ-Fraktion gilt es noch mehr zu retten: "SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka spricht von 'einem beachtlichen Akt der Demokratieverweigerung' und 'einem Widerspruch zur Geschäftsordnung des Parlaments'. [...] Der Boykott sei demokratiepolitisch nicht nur verfehlt, sondern auch gefährlich, 'da sind schon Parlamente dran zerbrochen'." (Der Standard, 23.05.1997)

Natürlich weiss auch Kostelka, dass das österreichische Parlament daran nicht zerbrechen wird, wahrscheinlich ahnt er sogar, dass die Demokratie durch unterlassene Aufklärung politischer Verfehlungen durch die Politik weit mehr leidet; es ist den Regierungsparteien schlicht gelungen, den gegen sie gerichteten Spiess umzudrehen. Die einzige Möglichkeit, die die Opposition hatte, wollte sie nicht der "passiven Obstruktion" bezichtigt werden, war, den Boykott schnellstmöglich zu beenden.

Die Regierungsparteien sind inzwischen "gesprächsbereit", über die Umwandlung des Untersuchungsausschusses in ein Minderheitenrecht zu diskutieren; es ist denkbar, dass SPÖ und ÖVP zur Kenntnis genommen haben, dass sie sich dem starken innerparlamentarischen und massenmedialen Druck nicht für immer werden beugen können.
 
 
 
 

Zusammenfassung der SPÖ-APA-Aussendungen betreffend Kurdenmorde/U-Ausschuss,
 
 

APA 23.02.1996, 12:30, 33 Zeilen

Immunität: Fischer: Neue Praxis muss für alle gleich gelten

Utl: Würde davon sein "persönliches Abstimmungsverhalten abhängig machen"

Abs: [Der Immunitätsausschuss wird über eine Änderung der Auslieferungspraxis bei Ehrenbeleidigungsdelikten (Ehrenbeleidigungsdelikte nach § 111 StGB, also Äusserungen ausserhalb des Parlaments) diskutieren.] Fischer will Gleichbehandlung "ohne Ansehen der Person des Betroffenen", allerdings werde Haider stärker betroffen sein, habe er doch weit mehr als 1/183stel der Immunitätsfälle, so Fischer.
 
 

APA 29.02.1996, 02:56, 37 Zeilen

NR: Nächtliche Diskussion über Straffung der Sitzungen

Utl: Immunitätsabstimmungen verschoben

Abs: [Der NR debattierte am Ende seiner Beratungen eine Geschäftsordnungsreform, aufgrund zweier Dringlicher Anfragen fast bis 3.00 Uhr. Die Koalitionsparteien legten in Erster Lesung einen Antrag vor, der dem Geschäftsordnungsausschuss zugewiesen wurde. Inhalt des Antrages: Redezeiten der Abg sollen auf der Basis von Beschlüssen der Präsidiale beschränkt werden können. Blockredezeiten für die gesamte Tagesordnung, dazukommende Aktivitäten (zB Dringl Anfr) sollen nicht länger dauern als ein Drittel der Debattenzeit zur Tagesordnung.]

Schieder betonte, dass diese Reform auch im Sinne der Opposition wäre, würde sie doch der parlamentarischen Arbeit insgesamt gut tun.
 
 

APA 02.07.1996, 11:43, 76 Zeilen, Originaltext unter Verantwortung des Aussenders

Kostelka: Geschäftsordnungsreform "Sieg für Parlamentarismus" "Parlamentsarbeit wird dynamischer, planbarer und effizienter"

Abs: Einen Vier-Parteien-Antrag zur Reform des GOG präsentierten heute Kostelka, Khol, Frischenschlager und Wabl. Nicht beteiligt waren die F, die sich schon in den vorhergehenden Beratungen nicht kooperationsbereit gezeigt hätten.

Kostelka: Es sei der Beweis erbracht worden, dass der sog "Verfassungsbogen" kein Zufallsprodukt sei, sondern die vier Fraktionen in wichtigen demokratiepolitischen Fragen zu gemeinsamen Lösungen kommen können. Mit der geplanten Reform werde eine "Balance geschaffen zwischen dem Interesse der Opposition nach Kontrollrechten und dem Interesse der Regierungsfraktionen, die legistische Arbeit in einem vertretbaren Zeitausmass zu erledigen und die Parlamentsarbeit planbar zu machen".

40-Minuten-Reden, "wie man sie heute nur noch von Fidel Castro und Jörg Haider hört" (Kostelka), soll es nicht mehr geben.

Kostelka verwies darauf, dass es zwischen 1966 und 1996 insgesamt sechs Sondersitzungen gegeben hat, in dieser Legislaturperiode aber schon genauso viele.

Als "im Interesse sowohl der Regierungsparteien als auch der Opposition" bezeichnete Kostelka weiters die geplante Öffnung der Ausschüsse für die Öffentlichkeit. Die Reform, so Kostelka, werde zu einem moderneren, effizienter organisierten, dynamischeren und an der Öffentlichkeit orientierten Parlamentarismus führen.
 
 

APA 04.07.1996, 17:54, 34 Zeilen

Geschäftsordnungsreform für NR im Ausschuss beschlossen

Utl: Freiheitliche verliessen Sitzung aus Protest - Bessere Planbarkeit der Sitzungen, Öffnung der Ausschüsse

Abs: SPÖ, ÖVP, LiF, Grüne haben den Neuerungen im Geschäftsordnungsausschuss zugestimmt, [F verliess die Sitzung. Reforminhalt: Vier-Wochen-Rhythmus (1 W. Plenum, 2 W. Ausschüsse, 1 W. Arbeit im Wahlkreis), Zahl der Sondersitzungen eingeschränkt, dafür kann jeder Klub eine Sondersitzung p. a. fordern.]
 
 

APA 10.07.1996, 00:57, 165 Zeilen, Originaltext unter Verantwortung des Aussenders

Geschäftsordnungsreform für den NR

Scharfe Kritik seitens der Freiheitlichen

Der NR beschäftigt sich sodann mit dem SP-VP-ANTRAG 29/A BETREFFEND ÄNDERUNG DES GOG 1975 (zweite Lesung) * ANTRAG DES GESCHÄFTSORDNUNGSAUSSCHUSSES ÜBER EIN BUNDESVERFASSUNGSGESETZ, MIT DEM DIE BUNDESVERFASSUNG GEÄNDERT WIRD Berichterstatter: Abg Lackner

Abs: Stadler sieht die Reform unter dem Motto "weniger Kontrolle, weniger Parlamentsrechte, aber mehr Cash". Durch die "Geschäftsordnungs-Knebelung" werde das Parlament regierungskonform gemacht. Die Liberalen und die Grünen seien halswenderisch, die ÖVP "wieder einmal umgefallen". Stadler sieht durch die Beschränkung der Dringlichen Anfragen eine Beschneidung der Kontrollrechte des NR, die Möglichkeiten, Redezeiten auf fünf Minuten zu beschränken, widerspricht dem Wesen des Parlaments.

Kostelka weist Anschuldigungen Stadlers zurück und betont, dass Opposition nicht gleich FPÖ sei. Es gebe daneben noch kritische, konstruktive Oppositionsfraktionen, denen es nicht nur um Destruktion gehe und nicht nur darum, das Haus als Quatschbude zu diffamieren. Es werde zu einer raschen Abfolge von Argumenten kommen.

Khol betonte, er habe sich stets für einen zeitgemässen Parlamentarismus eingesetzt. Abgeordnete seien derzeit "zu lange am Wort", die Redezeitverkürzung werde zu einem lebendigeren Parlament führen. Die Reform des GOG wird das Erscheinungsbild des Hauses in den Medien verbessern, die Öffentlichkeit habe den Eindruck, dass Parlament nur im Plenum stattfinde. Khol zeigte sich erfreut, dass sich LiF und Grüne "in den Dienst eines wehrhaften Parlamentarismus stellen", beiden gehe es nicht um das Partei- sondern um das Gemeinwohl. Ofner: Bei der GOG-Reform gehe es darum, der F das "Operationsfeld Parlament" streitig zu machen. Die ÖVP hätte in ihrer Zeit als Opposition alle Mittel des GOG exzessiv genutzt. "Wir waren wirklich noch alle Demokraten damals."

Wabl erklärte, die Grünen stimmen den Redezeitbeschränkungen zu, weil sie es für unvertretbar halten, dass sich die Abg tage- und nächtelang "anagitierten".

Schieder spricht von einer guten neuen Geschäftsordnung, die für ein lebendigeres Parlament sorgen wird, in der mehr Abg als bisher zu Wort kommen können. Kürzere Redezeiten bedeuten keine Einschränkung der demokratischen Rechte, die Frage sei mehr, ob man die Möglichkeit habe, seine Meinung zu äussern.
 
 

APA 11.07.1996, 11:18, 36 Zeilen

NR: Wachsende Nervosität am Beginn der letzten Sitzung

Utl: Geschäftsordnungsreform in Dritter Lesung beschlossen

Abs: Geschäftsordnung in Dritter Lesung mit Stimmen von SPÖ, ÖVP, LiF und Grünen beschlossen. [Applaus von allen Abg, mit Ausnahme der F.]
 
 

APA 05.09.1996, 13:49, 12 Zeilen

Kostelka bekräftigt Öffentlichkeit der parlamentarischen Ausschüsse

Utl: SP-Klubobmann: "Petrovic' Befürchtungen sind abstrus"

Abs: Kostelka hat die Befürchtungen der Grünen, dass die Regierungsparteien entgegen der neuen Geschäftsordnung aus wahltaktischen Gründen die Öffentlichkeit von den parlamentarischen Ausschüssen ausschliessen könnten, als "völlig abstrus" zurückgewiesen. Kostelka: "Wir haben die Möglichkeit für öffentliche Ausschüsse geschaffen, um sie auch zu verwirklichen." "Die Grünen haben noch nicht einmal einen Antrag auf öffentliche Abhaltung eines Ausschusses gestellt, beklagen aber schon jetzt dessen Ablehnung."
 
 

APA 14.04.1997, 12:57, 20 Zeilen

Kurden-U-Ausschuss: Kostelka und Khol: Gerichte sind am Zug

Utl: Kostelka: Parlament bekäme Unterlagen aus Berlin nicht - Khol: Falscher Zeitpunkt für schwere Waffe des U-Ausschusses

Abs: Kostelka und Khol sind gegen einen parlamentarischen U-Ausschuss und für gerichtliche Untersuchungen.

Kostelka: Die gerichtlichen Erhebungen werden unter dem Licht des Mykonos-Urteils erweitert fortgesetzt, das Gericht habe bereits Unterlagen aus Berlin angefordert. Das Parlament bekäme die Berliner Unterlagen nicht, wohl aber das Gericht. Daher solle man das Ergebnis der Untersuchungen der unabhängigen Richter abwarten, das "obligatorisch veröffentlicht" werde. Sollten dann politische Konsequenzen notwendig sein, wäre ein Untersuchungsausschuss "ein probates Mittel". Grundsätzlich seien die Umstände rund um die Kurdenmorde "durchaus näher zu prüfen".
 
 

APA 15.04.1997, 14:09, 19 Zeilen, Originaltext unter Verantwortung des Aussenders

Klima zu Kurden-U-Ausschuss: Gerichtliches Verfahren abwarten Albanien: Österreichische Truppe in Tirana stationiert

Abs: Klima: Das laufende, aber ruhendgestellte Verfahren solle wieder aufgenommen werden. Ein unabhängiger U-Richter werde die deutschen und österreichischen Dokumente und Akten prüfen. Erst dann werde man wissen, ob es Hinweise auf etwaige damalige behördliche oder politische Verfehlungen gebe.
 
 

APA 16.04.1997, 13:47, 46 Zeilen

Kurden-U-Ausschuss: Drei Anträge der Opposition

Utl: Grüne wollen auch Kontrollausschuss für militärische Geheimdienste damit befassen

Abs: [Alle drei Oppositionsparteien beantragen die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.]
 
 

APA 16.04.1997, 20:49, 50 Zeilen

Kurden-U-Ausschuss - Alle drei Oppositionsanträge abgelehnt

Utl: Löschnak: "Die eine oder andere Panne", aber keine "Verheimlichung"

Abs: [Die Abg von SPÖ und ÖVP lehnten die Anträge der Opposition auf Einsetzung eines U-Ausschusses ab, die Oppositionsparteien stimmten jeweils zu.]

Abg Löschnak, damals Innenminister, meldete sich zu Wort: Er räumte ein, dass es damals "die eine oder andere Panne gegeben hat, die sicher nicht zur notwendigen Aufklärung beigetragen hat". Löschnak unterstrich nicht nur für seine Person, sondern auch für Mock und Foregger, dass es in allen Gesprächen niemals um "Verheimlichung" gegangen sei.[Stadler zu Löschnak und Mock: "Für uns gelten Sie als anständiger Mensch."]

Leikam, Platter: Nur das Gericht bekäme die Unterlagen aus Berlin, nicht der NR. U-Ausschuss parallel zum Strafverfahren nicht zielführend. Leikam: Die Haftbefehle gegen die Kurdenmörder aus dem Jahr 1989 seien nach wie vor aufrecht. Er appellierte an die Abgeordneten, "Vertrauen in die österreichische Justiz zu haben".
 
 

APA 21.04.1997, 11:55, 14 Zeilen

Kurdenmorde: Auch Karas will U-Ausschuss nicht ausschliessen

Utl: Zur Stunde sehe er aber keine Notwendigkeit

Abs: [Ähnlich wie Neisser will auch Karas einen U-Ausschuss nicht ausschliessen; falls sich im Justizverfahren Querverbindungen zum politischen Verhalten ergeben, sei die Frage U-Ausschuss zu diskutieren.]
 
 

APA 22.04.1997, 13:09, 15 Zeilen

Kurdenmorde: Klima gegen parallelen Untersuchungsausschuss

Utl: Jetzt prüfen Gerichte, Justiz- und Innenministerium - Ergebnisse werden veröffentlicht

Abs: Klima im Ministerrat: Es wäre "nicht zweckmässig, parallel zu den Prüfungen durch die Gerichte, das Justiz- und das Innenministerium einen Untersuchungsausschuss einzusetzen". In dieser Frage habe sich "weder die Haltung der SPÖ noch der Regierung" geändert. Er gehe davon aus, dass die Ergebnisse der Untersuchungen in einigen Wochen vorliegen werden. Michalek habe bereits veranlasst, dass die Staatsanwaltschaft direkt in Berlin noch vor Ausfertigung des Urteils Akteinsicht nehmen könne. Es werde mit Sicherheit nichts vertuscht und sowohl das Parlament als auch die Öffentlichkeit sollen umfassend informiert werden, so Klima.
 
 

APA 23.04.1997, 14:42, 14 Zeilen

Kurdenmorde: Klima: Für die SPÖ gibt es nichts zu vertuschen

Utl: Gegen "Spekulationen" über mögliche Konsequenzen

Abs: Der bisherige Standpunkt zur Causa Kurdenmorde wurde in den SPÖ-Parteigremien voll bestätigt, so Klima auf einer Pressekonferenz. Auf die Frage, ob er einen Erklärungsbedarf seitens Klestils sehe, verwies Klima nur darauf, dass alle vorhandenen Unterlagen und Dokumente sorgfältig evaluiert werden sollen.
 
 

APA 24.04.1997, 15:07, 51 Zeilen

Nationalrats-Sondersitzung zu Kurdenmorden

Utl: Vranitzky: Kein Bericht über iranische Einflussnahme - ÖVP gegen U-Ausschuss - Amtsmissbrauchs-Anzeige der Grünen

Abs: [Das LiF bringt morgen einen Antrag zur Sondersitzung ein.]

Vranitzky: Auf ihn gab es keine iranische Einflussnahme; auch kein Regierungsmitglied habe "von iranischen Versuchen berichtet, durch Druck die Ermittlungen zu behindern", die Regierungsmitglieder hätten "im Rahmen ihrer Kompetenzen ihre Aufgaben wahrgenommen". Für ihn habe "nicht die geringste Veranlassung bestanden, etwas über den jeweiligen Bericht im Ministerrat hinaus zu unternehmen".
 
 

APA 25.04.1997, 18:12, 55 Zeilen

Kurdenmorde: Fischer zu Foregger: Falschinfo wäre sehr ernste Sache

Utl: Graff im "Kurier" für parlamentarische Untersuchung

Abs: Fischer im "Kurier" (Ausg v 26.04.): Wenn Foregger "das Parlament falsch informiert hat, wäre das eine sehr, sehr ernste Sache", wäre Foregger noch im Amt, bedeutete das Misstrauensantrag und Rücktritt.
 
 

APA 27.04.1997, 12:18, 34 Zeilen

Kurden-U-Ausschuss: SPÖ-Mauer bröckelt

Utl: "Der Spiegel": "Nur kein Aufsehen"

Abs: Guggenberger im "Kurier" (Ausg v 27.04): "Ich und viele meiner Kollegen bedauern, dass das passiert. Die Vorbehalte sind da. Doch die Waagschale neigt sich von Tag zu Tag mehr in Richtung Untersuchungsausschuss." Er wolle keinen U-Ausschuss fordern, zweifle aber zunehmend, ob man ihn noch verhindern könne. Zu Verdachtsmomenten wie jenem, dass ein Justizminister dem Parlament die Unwahrheit gesagt hat, komme das "staatspolitische Interesse" festzustellen, ob der "oberste Repräsentant des Landes", Thomas Klestil, "über jeden Verdacht erhaben ist". "Das Minimum, das ich als Abgeordneter unverzüglich verlangen muss, ist, dass Aussenminister Wolfgang Schüssel dem Beispiel von Innen- und Justizministerium folgt und einen Bericht über die Vorgänge im Aussenamt dem Parlament vorlegt." Wenn man Iraner aus aussenpolitischer Rücksichtnahme laufen liess, sei das Aussenamt "wohl die erste Adresse für eine Untersuchung". "Die Polizei ist es jedenfalls nicht. Denn wie ich Polizisten kenne, wollen die immer verfolgen."
 
 

APA 27.04.1997, 14:08, 33 Zeilen

Debatte über Kurden-U-Ausschuss geht weiter

Utl: SPÖ-Mauer scheint zu bröckeln

Abs: [Klestil "Im Journal zu Gast": Für eine "rückhaltlose Aufklärung" der Vorgänge rund um die Kurdenmorde. Die Frage eines U-Ausschusses sei jedoch Sache des Parlaments.]
 
 

APA 28.04.1997, 11:58, 41 Zeilen

Zu Kurdenmorden: Ergebnis der Prüfungen Inneres-Justiz nächste Woche

Utl: Sika hofft auf Vorlage bis Sondersitzung - Aussenministerium sieht keine Notwendigkeit für Untersuchung

Abs: [Sika will ein Ergebnis bis zur Sondersitzung am 6. Mai erhalten.]
 
 

7. Haltung der ÖVP zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses als Minderheitenrecht

Stefan Hirsch und Marcel Weigl
 
 

1. Einleitung

Im folgenden Kapitel wollen wir in der Haltung der ÖVP zum Thema "Untersuchungsausschuss als parlamentarisches Kontrollrecht" Strukturen aufzeigen. Diese Strukturen gilt es für uns wissenschaftlich zu bewerten, d.h. zu interpretieren. Die Haltung dieser Partei lässt sich sehr genau anhand der Argumentationen und Aussagen zur "Kurden-Affäre" deuten. Diese Affäre und den damit verbundenen Aufschrei nach verstärkter parlamentarischer Kontrolle durch die Einsetzung eines Untersuchungsauschuss als Minderheitenrecht soll die Basis für eine allgemeine Darstellung dieser Thematik sein.

Die ÖVP scheint uns aufgrund von zwei Punkten am interessantesten zu sein. Einerseits ist sie Regierungspartei, damit verantwortlich dafür, dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses kein Minderheitenrecht ist, andererseits betrifft personell die "Kurden-Affäre" hauptsächlich ÖVP Funktionäre (nämlich jene im Aussenministerium). Letzteres bringt eine gewisse Brisanz in die Angelegenheit und wirft die Frage auf: Würde es sich um einen mehrheitlich die SPÖ-Funktionäre betreffenden Untersuchungsausschuss handeln, wäre dann die ÖVP ebenfalls strikt gegen einen solchen als Minderheitenrecht? Eine Frage, welche jeder selbst zu beantworten hat.

Tatsache ist, dass uns die Recherche von Seiten der ÖVP nicht immer leicht gemacht wurde. Es scheint sich um ein für die Regierungsparteien heikles Thema zu halten. Wir sind nicht auf Wortmeldungen vieler verschiedener ÖVP-Politiker gestossen. Lediglich die "Grossen", namens Khol, Schüssel, Karas, Rauch-Kallat und Neisser meldeten sich zu Wort, um die Linie der ÖVP deutlich zu machen.
 
 

2. Die Position der ÖVP

Die Position der ÖVP zum Thema "Untersuchungsauschuss als parlamentarische Kontrollfunktion" ergibt sich aus der gegenwärtigen und vergangenen Situation der österreichischen politischen Kräfteverhältnisse. Seit nunmehr 10 Jahren regiert die grosse Koalition in Österreich wieder (zum zweiten Mal nach der Periode 1945 bis 1966). Durch diese Tatsache ergibt sich grundsätzlich eine Haltung kontra der Opposition.

Da sich Untersuchungsausschüsse vornehmlich gegen die politische Mehrheit richten, d.h. gegen die Regierung, werden eben diese Regierenden kaum ihre Situation schwächen, indem sie die Einsetzung von Untersuchungsauschüssen von der Opposition abhängig machen. Diese Haltung liegt in der Natur der Sache: die Opposition will ihre Position aufwerten, die Mächtigen wollen ihre Sonderstellung behalten.

Die Kontra-Haltung ist jedoch auch von Kompromissbereitschaft geprägt. Zwei ÖVP-Politiker stellten sich dabei in den Vordergrund: Heinrich Neisser und Othmar Karas. Neisser plädiert für eine Reform, welche die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen erleichtern könnte. Durch die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss als Minderheitenrecht würde man von den Regierungsparteien die Verantwortung nehmen, durch eine Mehrheitsentscheidung die Aufklärung zu verhindern. Auch Karas steht einem Untersuchungsausschuss nicht ablehnend gegenüber, verharrt jedoch auf beim speziellen "Kurden-Thema" und geht nicht in allgemeine Gesichtspunkte zur Einsetzung eines Untersuchungsausschuss über. Hier stellt Neisser ein Unikum innerhalb der Parteien dar. Durch das Durchsehen der Aussagen der ÖVP-Funktionäre ist aber festzustellen, dass Neisser nicht dieArgumentationslinie der ÖVP vertritt. Seine Aussagen sind als persönlicher Wunsch zu bezeichnen.
 
 

3. Argumentation

In der folgenden Grafik sei nun eine Liste der Argumente der ÖVP gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss als Minderheitenrecht:

Grafik 1: Argumente der ÖVP
 
  Argument Prinzip
1. Inflation von U-Ausschüssen Verfolgungswahn der Opposition
2. Unzweckmässigkeit Aufwertung der Justiz
3. Verfassungsbruch durch Opposition Opfer/Täter-Umkehr
4. Unnotwendigkeit Banalisierung

Das erste Argument ist die mögliche "Inflation von Untersuchungsausschüssen". Gemäss dem Parlament als "Quatschbude" wird der Opposition unterstellt ihr Recht als "Hexenjagd" gegen die Regierung missbräuchlich auszunutzen. Mit "missbräuchlich" ist hier gemeint, dass die Opposition eine Fülle von Anträgen auf Untersuchungsauschüsse stellt, welche nicht den geringsten strafrechtlichen Verdacht beinhalten, lediglich zur Imageschädigung der Regierung dienen. Der Opposition wird also Verfolgungswahn unterstellt.

Die Angst vor der Flut von Anträgen ist jedoch nicht berechtigt. Wenn man die Situation in Frankreich, Deutschland und in den USA betrachtet, zeigt sich, dass eine Vielzahl von Untersuchungen nicht gleichbedeutend mit einer Vielzahl von Skandalen und politischem "Köpferollen" ist. Die Ausschüsse in diesen Ländern sind Teil der politischen Kultur.

Ein weiteres Gegenargument ist das Einlenken der Opposition in dieser Angelegenheit. Als Lösung schlagen die Liberalen vor, das Minderheitenrecht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vergleichbar dem Recht auf Dringliche Anfragen (jährlich vier) oder Sondersitzungen (eine pro Jahr) als Fraktionsrecht zu gestalten. Die LIF spricht sich also für ein Limitieren dieses Rechtes aus, um einer möglichen Inflation entgegenzuwirken. Das ist insofern demokratiepolitisch bedenklich, da man nicht voraussehen kann, wieviel Anträge man jährlich benötigt. Stellen sie sich das folgende Zukunftsszenario vor: Die Opposition hat von ihrem Recht auf eine Einsetzung eines Untersuchungsausschusses schon Gebrauch gemacht. Einige Zeit später verhärten sich Verdachtsmomente politischer Korruption von Reghierungsmitgliedern. Diese können dann nicht mehr oder erst ein Jahr später zur Rechenschaft gezogen werden.

Das zweite Argument der ÖVP ist die "Unzweckmässigkeit der Untersuchungsauschüsse" als solche. Die Unzweckmässigkeit ist das Hauptargument gegen einen "Kurdenmord-Ausschuss". In diesem Zusammenhang wird behauptet, dass ein Untersuchungsausschuss die Arbeit der Justiz behindert. Die gleichzeitige Abhaltung eines Untersuchungsausschusses parallel zu Ermittlungen der Justiz könne eine gewisse Hemmwirkung haben. Diese Hemmwirkung ist durch das Hin und Her der Akten zu erklären. Weiters argumentiert die ÖVP, dass mit Untersuchungen der Justiz der Wahrheitsfindung mehr als genüge getan sei. Unabhängige Richter können inhaltlich besser und unvereingenommen untersuchen. Das Prinzip dieser Argumentation ist die Aufwertung der Justiz. Sie sei gut genug, um die Sachverhalte zu prüfen.

Bei Kapitel "Geschichte der UA im NR in der 2. Republik" ist jedoch nachzulesen, dass die Arbeit von Gerichten die Untzersuchungsauschüsse mit Sicherheit noch nie gestört oder zumindest negativ beeinflusst haben. Es war, so Iwanschitz, immer möglich und sinnvoll die strafrechtliche Komponente von den Gerichten untersuchen zu lassen und die politische von den Parlamentarierern. Insofern ist das Argument der Unzweckmässígkeit nicht sattelfest.

Das dritte in der Tabelle angeführte Argument gegen den UA als Minderheitenrecht ist der "Verfassungsbruch der Opposition". In diesem Argument ist die rechtspositivistische Gesetzesinterpretation enthalten: so ist das Gesetz, so handle ich. Diese Haltung ist jedoch in diesem Zusammenhang völlig absurd, da es voraussetzt, dass Gesetze nicht abgeändert werden können. Die Gesetzesnovellierungen der letzten zehn Jahre beweisen aber mehr als nur das Gegenteil. Die Aussage des "Verfassungsbruches" wurde im Zusammmenhang mit dem Ausschussboykott der Opposition getätigt. Auf einer allgemeineren Ebene ist diese Aussage nicht verwendbar. Das Prinzip scheint jedoch interessant: die Opfer/Täter Umkehr. Derjenige, der Untersuchungssauschüsse beantragt ist der Täter, die Angeklagten sind die Opfer.

Das vierte und letzte Argument an der so armen Diskussion innerhalb der ÖVP ist die "Unnotwendigkeit". Hierzu herrscht folgender Grundtenor: Änderungen ja, aber nicht mit dem Mittel des Untersuchungsausschusses. Die Strukturen gehören allgemein geändert, dafür aber ist der Untersuchungsauschuss nicht das richtige Gremium.

Auch dieses Argument geht - wie das Vorherige - an der Thematik vorbei. Man muss grundsätzlich davon ausgehen, dass ein UA das richtige Gremium ist. Dann muiss man sich über dessen Einsetzung Gedanken machen. An diesem Punkt sind wir schon längstens angelangt. Strukturänderungen sind schön und gut, straffälliges Verhalten von Politikern wird es aber auch im Rahmen von abgeänderten Strukturen geben.

Ein weiteres Teilargument der "Unnotwendigkeit" ist jenes, dass es ohnehin einen Rechnungshof und eine Volksanwaltschaft gibt, für deren Initiative die Regierung kein Mitspracherecht besitzt. Die Forderung der Opposition wird also banalisiert (Prinzip: Banalisierung).
 
 
 
 
 
 

8. Die Freiheitlichen und der Untersuchungsausschuss

Rosemarie Poiarkov
 
 

1.Teil

Argumentationsstruktur

Eigentlich soll ja das Kontrollrecht "Untersuchungsausschuss" am Beispiel der Causa "Kurdenmorde" aufgezeigt werden. Aber die freiheitliche Partei forderte im Zeitraum vom 20.3.97 bis 10.6.97 nicht nur einen Untersuchungsausschuss über den Fall "Kurdenmorde", sondern drei weitere, wobei die Argumentationsstruktur im grossen und ganzen dieselbe ist. Deswegen werde ich auch auf die anderen Forderungen zu Untersuchungsausschüssen eingehen, um besser zeigen zu können, wie ähnlich die Argumentationslinie ist, unabhängig davon, was der Untersuchungsausschuss konkret untersuchen sollte.

Die Freiheitliche Partei forderte im Zeitraum vom 20.3.97 bis 10.6.97 Untersuchungsausschüsse zu folgenden Themen:

  1. An- und Verkauf der HTM-Gruppe
  2. Kurdenmorde (Untersuchung der Beziehungen österreichischer Politiker zur Terrorszene; Ebergassing; PKK)
  3. Selbstmord Mag. Praschaks bzw. zu den von ihm zur Sprache gekommen Unregelmässigkeiten (Besetzung von Vorstandsfunktionen bei Banken, die im Einflussbereich der öffentlichen Hand stehen; politische Einflussnahme auf die Geschäftstätigkeit dieser Banken; Gebarung der Österreichischen Kontrollbank hinsichtlich der Exportfinanzierung; ..)
  4. Ermittlungen zu den Briefbomben.
Beantragt wurden folgende Untersuchungsausschüsse:

20.3.97: HTM

16.4. und 6.5.97: Kurdenmorde

6.5., 14.5. und 5.6.97: Selbstmord Mag. Praschaks

Dadurch wird zu verstehen gegeben, wie fleissig die Freiheitliche Partei ist, wie genau sie ihre Aufgabe als Kontrollierende wahrnimmt.

In all den Vorwürfen, die die Forderungen nach Untersuchungsauschüsse, notwendigerweise mit sich bringen, zeichnen sich zwei Pole ab:

Einerseits gibt es die politische Mafia, andererseits gibt es die politischen Demokraten. Die Guten und die Bösen also.

Die Mafia zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:

Sie hält die Gesetze nicht ein.

Sie glaubt, tun zu können, was sie will, ohne Rücksicht auf Verluste, d.h. ohne Rücksicht auf die Bevölkerung.

Sie ist undemokratisch, d.h. hält sich nicht an die demokratischen Spielregeln, die eben Konsens und Konflikt beinhalten, aber auch checks and balances.

Mit der letzteren Eigenschaft ist verbunden, dass sie ein Machtmonopol besitzt, dass sie nur ungern beschädigt sieht. Sie ist wie der Absolut in feudalen Zeiten, der die Rechte so vergibt, wie es ihm gutdünkt. Das wiederum ist ebenfalls undemokratisch.

Auf alle Gebiete hat sie Einfluss, ohne darüber Rechenschaft abzugeben.

Sie tut nur das, was ihr nützt, und benützt dabei alle oder alles, was sie benützen kann.

Die Guten zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:

Sie schauen darauf, was die Bevölkerung braucht und denkt.

Als die Vertreter des Volkes sind ihnen die Bedürfnisse dieses bzw. das Zugutekommen der politischen Aktivitäten an das Volk das Wichtigste ihrer politischen Arbeit.

Sie halten sich an das Gesetz, wenn es einmal beschlossen ist.

Damit verbunden ist, dass sie die demokratischen Spielregeln über alles stellen. Wenn einmal eine Mehrheitsentscheidung im Parlament zustande kommt, respektieren sie diese natürlich, ausser wenn die Begründungen, die der Mehrheitsentscheidung zugrunde liegen, fragwürdig sind. Das ist aber nur folgerichtig, da ja der Parlamentarismus die Opposition als "Kontrolloren" vorsieht, die der Mehrheit auf die Finger zu sehen hat. In dem Sinne sind sie wieder echte Demokraten.

Sie arbeiten unermüdlich, aber ihre parlamentarische Arbeit wird von der Mehrheit meist nicht ernstgenommen. Trotzdem nehmen sie ihren demokratischen Auftrag wahr.

Sie, die sie die Macht noch nicht gekostet haben, sind die einzigen, die wirklich die Aufgabe der Konrollierenden im Sinne der Demokratie, im Sinne der Republik wahrnehmen können.

Die konkreten Argumente für einen Untersuchungsausschuss erweisen sich bei genauerem Hinsehen immer als zwei Argumente:

  1. Klärung der (politischen) Verantwortung (Art von Machtmissbrauch immer damit verbunden)
  2. finanzielle Schädigung der Bevölkerung, in welcher Weise auch immer.
Man bekommt bei dieser Argumentationslinie den Eindruck, als reiche das erste Argument nicht aus, um einen Untersuchungsausschuss zu fordern. Und wenn auch das zweite Argument nicht reicht, weil die zu untersuchenden Missstände schon länger zurückliegen und man es sowieso nicht mehr ändern kann, wird noch ein tagespolitisches Thema in die Argumentation eingebaut. Es scheint, als würden die Argumente deswegen oft nicht genügen, weil ein Untersuchungsauschuss Geld kostet, und der Bevölkerung damit mehr "lebensnahe" Argumente gebracht werden müssen, als dass das in einer politischen Diskussion der Fall wäre, denn da müsste ja der Hinweis auf politische Verantwortlichkeit eigentlich ausreichend sein.

Die "erweiterte" Rechtfertigung für den Untersuchungsausschuss ist wohl auch einer der Gründe für den oft genannten Hinweis auf die "politische Mafia", mit welchen Worten, Ausdrücken oder Andeutungen das jetzt auch immer passieren mag.
 
 

2.Teil

Die konkreten Begründungen für die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss bzw. die Vorwürfe lauten:

Dieser soll die Verantwortung einiger ehemaliger Mitglieder der Bundesregierung klären, hauptsächlich in bezug darauf, wieviel Geld dabei "verschwendet wurde". Weitere Vorwürfe lauten, dass bei dieser Aktion hunderte Arbeitsplätze vernichtet und gefährdet wurden und dass ein Industriebetrieb leichtfertig an das Ausland verkauft wurde. Ein Argument richtet sich also auch gegen den "Ausverkauf Österreichs", aber diese "nationale Komponente" spielt bei den Forderungen zu anderen Untersuchungsausschüssen eher eine kleine bis gar keine Rolle. Wie sehr die Freiheitlichen die Guten sind, die im Interesse des Volkes agieren, sieht man auch gut daran, dass in dem am 20.3.97 eingebrachte Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses kurz vor den konkreten zu untersuchenden Punkten noch steht: "..nicht zuletzt im Interesse der österreichischen Steuerzahler...".

(20.3.97, OTS131; 25.4.97, OTS151)
 
 

Auf den Fall "Kurdenmorde" reagierte die Freiheitliche Partei erst relativ spät, nämlich am 14.4.97.

Obwohl sie aber erst zu diesem Zeitpunkt politische Schritte forderte, weist die FPÖ daraufhin, dass wenn ihre Forderungen ernst genommen worden wären, diese Sache nicht passiert wäre. Dadurch, dass Ewald Stadler einen Ausschuss fordert, der gleichzeitig auch den Terroranschlag von Ebergassing und die Rolle der PKK in der österreichischen Politik untersuchen solle, wird der Eindruck vermittelt, dass nur die Freiheitlichen die wahren Vernetzungen der in Österreich tätigen Terrorszene kennen und dass nur sie frei genug von Beziehungen zu dieser wären, um die wahren Zusammenhänge aufdecken zu können. Auch hier sieht man, wie wichtig es der Freiheitlichen Partei ist, Verbindungen zu tagespolitischen Themen aufzuzeigen, denn was damals passiert ist, lässt sich nicht mehr ändern, aber neue Terroranschläge lassen sich verhindern. Dazu sind hier wieder die Bösen eindeutig charakterisiert, die sich in den Netzen ihrer undemokratischen Handlungen verstricken. So zeigt sich Stadler "gespannt,...wie die Gründen abstimmen würden" und weist daraufhin, dass die Warnungen der FPÖ im "Nirwana des politischen Opportunismus, der die Regierungsparteien präge, verhallt (seien)". Übrig bleiben nur die FPÖ und das LIF, die einen wirklichen Anspruch auf Kontrolle haben, weil sie frei sind von allem, was sie dabei behindern könnte. Dass das LIF auch diesen Anspruch erfüllt, ist dabei Zufall. Es wird aber deutlich, dass die FPÖ die Spielregeln beeinflussen kann, wer "gut" und wer "böse" ist. Die Spielregeln sind zwar von der Demokratie und dem Parlamentarismus, auf die sich die FPÖ immer wieder bezieht, vorgegeben, aber wer diese einhält und wer nicht, ist oft einem Interpretationsspielraum überlassen, wobei die Medien in dem Fall eine grosse Rolle spielen. Dazu ist oft nicht klar, ob die Spielregeln eingehalten werden, weil man die Tatsachen nicht kennt bzw. Vermutungen (manchmal kann man diese auch Verleumdungen) nennen, anstellen kann, die, auch oder auch besonders wenn man die Spielregeln einhält, nicht widerlegt werden können.

Das "Nirwana des politischen Opportunismus" charakterisiert gut, wie die Freiheitlichen die Regierungsparteien sehen oder - in der Öffentlichkeit - sehen wollen: Diese kümmern sich um nichts als um ihre eigenen (Macht)spielchen. Sie tun, was sie wollen und das ohne Rücksicht auf (politische) Verantwortung, obwohl Politik genau das fordert. Und das Nirwana ist auch sehr weit weg für die "normal Sterblichen", ein Paradies, das die Outsider nicht begreifen können.

(14.6.97, OTS082; 21.4.97, OTS124)

Helene Partik-Pable begründet in ihrer Funktion als Sicherheitssprecherin ihre Forderung eines Untersuchungsausschuss mit einer Kritik an der "penetranten Einflussnahme von politischer Seite auf die Justiz": "Da wird nicht dem Staatsanwalt und dem Untersuchungsrichter wie in jedem anderen Fall vertraut, dass sie das Richtige tun, sondern da gibt es Berichtpflichten der Staatsanwaltschaft zur Oberstaatsanwaltschaft und von dort ins Ministerium." Natürlich hat diese Begründung wenig mit der Ewald Stadlers gemeinsam. Aber die FPÖ zeigt nur wieder, wie besorgt sie um das Wohl der Österreicher ist, und sie zeigt die mafiaähnlichen Einflussnahmen bzw. Vernetzungen im österreichischen Staat auf. Bei Stadler geht es noch um die Terrorszene; Partik-Pable geht es um eine unabhängige Justiz. Hier zeigt sich der Pluralismus der Meinungen in der FPÖ: Jeder kann seinen Standpunkt sogar über die Medien kundtun. Aber noch immer geht es um eine selbstherrliche Politikerelite, deren hauptsächliche Aufgabe ist, zu schauen, was sie selbst braucht. Und wenn Michael Krüger die Weisungsfreiheit von Staatsanwälten fordert, deren Notwendigkeit man gerade bei den Vorgängen um die Kurden morde sehe, bezeichnet er die Weisungsgebundenheit als "Rest des Feudalstaates". Das fügt sich in die Argumentation und gibt dabei noch ein kleines Detail dazu: Der Staat verteilt die Rechte, wie er sie für richtig hält; von Rechtsstaatlichkeit keine Spur.

(21.4.97, OTS132; 28.4.97, APA179)

Obwohl Stadler seine Forderung eines Untersuchungsausschuss mit der Begründung nach der Aufklärung der Terrorszene verbindet, kritisiert er doch Klima, und das einen Tag nach seiner vorigen Aussendung zu diesem Thema, dass dieser sich auf ein Gerichtsverfahren ausreden wolle, obwohl Justizminister Michalek erst die Woche davor erklärt habe, dass es in diesem Fall keinerlei anhängige Gerichtsverfahren gebe. Dieses Gerichtsverfahren würde nämlich nichts aufklären, was Stadler interessieren könnte, d.h. nichts in bezug auf die Terrorszene Österreichs. Aber hier geht es auch nicht um eine Diskussion darüber, wie man den Fall "Kurdenmorde" am besten aufklären könne bzw. wie die politische Verantwortung am besten geklärt werden könne. Denn die interessiert Stadler ja nur am Rande. Sondern die Kritik dieser Aussendung fügt sich in das Schema des "Die Regierung ist böse, weil demokratiefeindlich" ein. Die Regierungsmitglieder lügen, wenn es ihnen zugute kommt; sie arbeiten nicht zusammen, sondern jeder arbeitet nur für sich. Das Wohl des Volkes interessiert sie nicht, sondern nur möglichst ohne Spritzer auf der weissen Weste davonzukommen.

Übrigens prägen auch diese Aussage Stadlers kräftige Worte, wie man es von den Freiheitlich gewohnt ist und es auch erwartet: "Typische Rosstäuschermanier" wirft Stadler Klima vor, und eine Verschiebung des Untersuchungsausschusses bis auf den "St. Nimmerleinstag".

(22.4.97, OTS140)

Während die Regierung einer Mafiaorganisation gleicht, gibt es auch noch einen guten Menschen im Staat, ausser den Freiheitlichen natürlich. Nämlich Thomas Klestil, vom Volk direktes oberstes Staatsorgan, - eine demokratischer Legitimation ist kaum möglich. Diesen verteidigt man, aber nicht nur das. Man beweist dabei auch seine rechtsstaatliche Gesinnung, denn solange "keine Beweise auf dem Tisch liegen, müsse auch für Klestil die Unschuldsvermutung gelten."

(25.4.97,APA328)

Wenn die bisher gebrachten Argumente noch zeigen, wie besorgt man um die Demokratie im österreichischen politischen System ist, zeigt Haider immer wieder, dass man auch viel "volksnäher" argumentieren kann, - wenn man will. Natürlich ist man ein politischer Partner in den Ebenen der Politik, aber in den Ebenen der Reden vor der Bevölkerung kann man sämtliche bisherigen Argumentationslinien vergessen, und einmal einfache Schlüsse ziehen. Das macht ja auch mehr Spass, als komplizierte politische Vernetzungen aufzuzeigen.

Der 1. Mai ist so ein "volksnaher Anlass" und Obmann Haider der richtige Mann für etwas andere Aussagen:

"Zur wochenlangen Diskussion über Kurden merkte Haider an, dass man Terroristen gar nicht erst hätte einreisen lassen sollen. Dann hätte man keine Probleme gehabt. So wundere man sich jetzt, dass diese Leute ihre ethnischen Konflikte in Österreich austragen würden. Wenn man sie zurückschicke, könne man Minister Einem ja gleich als Schiedsrichter mitschicken."

Sogar in der Aussendung soll die Sprache durch ihre Saloppheit auf die "Volksnähe" hinweisen. Die Argumentation verfolgt folgende Linie: Verknüpfung zur Ausländerproblematik und durch den Hinweis auf Einem auch auf die linksradikale Terrorszene, wobei Einem natürlich auch als Personifikation von liberaler Ausländerpolitik steht. Fast genial! So verknüpft man komplexe vergangene politische Vorgänge mit Skandalcharakter mit aktuellen politischen Themen und Feindbildern (Einem + Ausländer).

(1.5.97, OTS061)
 
 

Auch hier decken sich die konkreten Forderungen mit der oben angeführten Argumentationslinie.

"Eine Untersuchung dieser Vorgänge sei nicht nur strafrechtlich relevant, sondern es gehe auch um die Frage, in welcher Verfassung sich eine Republik befinde, in der mit Deckung des Regierungschefs personalpolitische Weichenstellungen vorgenommen würden, die eine geschlossene Gesellschaft zum Machtmissbrauch erzeugen sollten..." Weiters wird der Rechtsstaat angesprochen, den man zu verteidigen habe, aber auch Praschak selbst als durch seinen Selbstmord erwiesene Person moralischer Integrität dient dazu, die Guten und die Bösen zu trennen. Im Interesse des Rechtsstaates und im Interesse Praschaks will man einen Untersuchungsausschuss. Wer sich dagegen stellt, wird durch diese Zuschreibungen schon genügend charakterisiert.

Auch die Medien gelten als "mafiafrei", wenn sie dazu aufgefordert werden, die Aufklärung durch die Schilderung der Fakten zu ermöglichen. Dass dies nicht so leicht ist, weil eben alles "mafiaverseucht" ist, zeigt sich daran, dass Haider an die Medien appellieren muss, sich "nicht durch mächtige Geldgeber der Kreditwirtschaft einschüchtern zu lassen". Jeder wird versucht, nur wenige können der Versuchung widerstehen.

(29.4.97, OTS171)

Im Antrag auf einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema vom 6.5.97 dienen Medien (Salzburger Nachrichten), Praschak und der frühere Verstaatlichtenmanager Klaus Woltron als Gewährs"männer".

Auf die Verfilzung und den Parteienproporz wird hingewiesen, der untersucht gehöre.

Wenn sogar Mag. Praschak darauf verweist, dass "in diesem österreichischen Exportförderungssystem die checks and balances nicht gegeben sind", zeigt sich, wie recht die FPÖ mit ihrer Kritik hat. Checks and balances machen eine gute parlamentarische Demokratie aus. Die Regierungsparteien aber verhindern, dass es zu dieser guten Demokratie kommen kann. So sieht es die FPÖ.

(5.6.97, OTS249)

Eine der wichtigsten Begründungen für die Form der Aufklärung den Untersuchungsausschuss zu wählen, ist, dass die Regierung sich nicht selbst untersuchen könne, wenn sie Fehler gemacht habe. Wer aber gegen einen Untersuchungsausschuss sei, habe Angst. Das ist das einzige Gegenargument, dass die FPÖ gegen einen Untersuchungsausschuss gelten lässt.

Wieder wird auf das Volk verwiesen, das es zu vertreten gilt, und in dieser Aussage liegt auch der Grund, warum ich mir "anmasse" zu behaupten, die FPÖ sehe die Regierung und ihre Verbündeten als Mafia.

"Die Menschen hätten zu Recht das Gefühl, dass sich dieses Land im Würgegriff einer politischen Mafia befinde, die über alle drüberfahre und wo das Parlament kein Recht mehr habe, aber alle Rechte in der Hand von mächtigen Bankenmanagern und Politikern liegen würde...". Die Regierung betreibe eine "menschenverachtende Politik". Wenn die FPÖ diese kritisiert, betreiben sie natürlich eine menschenrespektierende Politik.

An der Wortwahl des "menschenverachtend" sieht man auch wieder die Stärke (die manchmal nur vermeintlich ist) der von der FPÖ verwendeten Ausdrücke. Denn "menschenverachtend" ist so negativ konnotiert, dass jeder sich sofort vorstellen kann, was damit gemeint ist, etwas Schreckliches eben, etwas zu Verachtendes.

(6.5.97, OTS264)

Zuletzt noch eine Aussage, die zeigt, wie immer wieder das Verschwenden von Steuergeldern in die Begründung miteinbezogen wird. Denn Aufklärung in bezug auf die Kontrollbank wird auch deswegen gefordert, weil durch diese viel Geld verlorengegangen sei; aber jetzt verhandelt man ein neues Budget, in dem es wieder zu Einsparungen kommen soll.

"Die FPÖ sei nicht bereit zuzuschauen, wie die Österreicher neue Belastungen akzeptieren müssten, während die Regierung nicht einmal in der Alge sei, ordnungsgemäss die Exportfinanzierungen der ÖKB abzuwickeln un ddie Minister den Österreichern Risiken aufdrücken", meint Haider.

(26.5.97, OST171)
 
 

In diesem Fall geht es der FPÖ hauptsächlich darum, selbst reingewaschen zu werden bzw. wieder zu zeigen, wie ihre Theorien zwar richtig seien, aber in dem Verschwörungsnetz der Politik gegen die Freiheitlichen untergingen.

Gefordert wird eien Aufklärung der politischen Verantwortlichkeit für die Behinderung der Ermittlungen. Dabei geht es hauptsächlich um die Verantwortlichkeit des früheren Innenminister Caspar Einem. Aber nicht nur soll endlich gezeigt werden, dass die FPÖ in bezug auf Einem und Grüne in der Causa "Briefbomben" immer schon recht hatte, sondern man soll auch sehen, wie diese durch die Behinderung der Ermittlungen in zwei Jahren Unsummen von Geld der Steuerzahler verschwendet wurde.

Wieder wird gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss (und hier sieht man sehr gut, wie instrumentalisiert dieses Argument verwendet wird) nur ein Grund zugelassen:

"Vor was haben denn Pilz, Petrovic und Chorherr Angst?", fragt Westenthaler.

(2.6.97, OTS059)
 
 
 
 
 
 

3. Teil

Begründung der Freiheitlichen, warum die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu einem Minderheitenrecht werden soll

Zu diesem Thema meldet sich hauptsächlich Wilhelm Brauneder zu Wort, was nicht überrascht, denn er ist ja der dritte Nationalratspräsident, d.h. ein Garant für den Parlamentarismus einerseits und andererseits fast parteiunabhängig in dem Sinne, dass ihm eben das Wohl des Parlaments wichtiger sein sollte als Parteiinteressen.

Die Argumentation folgt hauptsächlich der Linie, dass durch die Möglichkeit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Kontrolle ausgeübt werden kann, wobei darauf hingewiesen wird, dass ja auch im Ausschuss die Regierungsparteien die Mehrheit hätten. Deswegen sei die Angst dieser unverständlich. Doch es gebe schon Anzeichen, dass die Koalition einsehe, dass eine Verweigerung des Parlamentarismus in der Öffentlichkeit nicht verstanden werde. Parlamentarismus bedeutet also Kontrolle der Opposition, während die Regierungsparteien die Gesetze verabschieden.

Obwohl sich die Oppositionsparteien sehr bemühen, wird ihnen von den Regierungsparteien oft zu verstehen gegeben, dass ihre Arbeit nicht notwendig ist, nicht respektiert wird. Trotzdem machen sie weiter, kann man sich dazu denken. Wenn die Arbeit der Opposition auf die Kontrolle beschränkt ist, folgt daraus weiters, muss man ihr so viele Kontrollrechte wie möglich zuzugestehen.

Auch in der Begründung für das Einsetzen eines Untersuchungsausschuss als Minderheitenrecht findet sich oben angeführte Argumentationsstruktur.

Brauneder verweist z.B. darauf, dass er schon 1981 darauf hingewiesen habe, dass bereits 1919/20 und auch 1929 die Sozialdemokraten Otto Bauer und Danneberg sich für dieses Minderheitenrecht eingesetzt hätten. Und schon 1981 hätte Brauneder die Meinung vertreten, dass "Kontrollrechte ...wegen der neuartigen Gewaltentrennung in Regierung samt Regierungsfraktionen einerseits und Oppositionsparteien im Parlament andererseits den letzteren zustehen.." Das zeigt eben wieder, wie sehr die FPÖ um die Demokratie besorgt ist. Und wenn auf Sozialdemokraten am Beginn der Ersten Republik verwiesen wird, wird damit implizit zu verstehen gegeben, dass diese noch wahre Demokraten waren, und zwar deswegen, weil sie noch nicht von der Macht abhängig gewesen wären, was wiederum bedeutet, dass diese Aufgabe heute nur die Oppositionsparteien wahrnehmen könnten, aber nicht die von Machtgier besessenen Regierungspolitiker.

(23.5.97, OTS048)

In ihrer Begründung weisen die Freiheitlichen auch immer wieder auf den Deutschen Bundestag hin, in dem dieses Recht schon Wirklichkeit sei.
 
 

9. LIF und Untersuchungsausschuss

Christian Lürzer
 
 

Das liberale Forum war die Partei, die zuerst einen Untersuchungsausschuss verlangt hat.

Während der Diskussion konnte man folgende Thesen und Forderungen hören. Die Quellen sind APA Meldungen, von denen leider einige nicht mit Datum versehen wurden.
 
 

These 1: Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses muss ein Minderheitenrecht im Parlament werden.

Begründung a):Nur so kann das Parlament seiner verfassungsgemässen Kontrollaufgabe nachkommen.

Begündung b): Es hat keinen Sinn, wenn Prüfer und Geprüfte ident sind.

Diese Forderung ist absolut berechtigt. Wenn der Untersuchungsausschuss nur von der Mehrheit eingesetzt werden kann könnte diese Einrichtung gleich auflassen, denn die Mehrheit sitzt normalerweise in der Regierung und was für einen Grund sollte es geben, die eigene Partei untersuchen zu lassen? Ebenso sinnvoll wäre es, wenn eine Firma ihre Zustimmung geben müsste, bevor das Finanzamt die Buchhaltung überprüfen darf.

Das Logischste wäre, wenn jeder Parlamentarier und jedes Regierungsmitglied eine Untersuchung beantragen könnte. Ziel müsste es ja sein, die Kontrollfunktion des Parlaments so zu optimieren, dass wenn es nur einen einzigen ehrlichen Parlamentariar gibt, dieser jede illegale Handlung auffliegen lassen kann. Natürlich wird das Optimum nicht erreicht, aber eine Annäherung wäre wünschenswert. So müsste es wenigstens für jeden Klub möglich sein, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Ansonsten muss man den Untersuchungsausschuss als eine Institution sehen, die verhindert, dass sich nur einzelne Mitglieder einer Partei an öffentlichem Eigentum bereichern, statt der ganzen Partei. Ist das der Sinn von Freundschaft?
 
 

These 2: Kein Gericht kann einen Untersuchungsausschuss ersetzen.

Begründung a): Nur in einem Untersuchungsausschuss müssen die Auskunftspersonen unter Eid aussagen.

Begründung b): Das Gericht kann nicht über die politische Einflussnahme urteilen.

Auch dieses Argument trifft die Sache auf den Punkt. Wenn betroffene Personen in einem Gerichtsverfahren nicht aussagen müssen, in einem Untersuchungsausschuss jedoch schon, dann ist der Untersuchungsausschuss eine notwendige Vererhebung zum Gerichtsverfahren. Diese gesetzliche Regelung ruft sogar danach, dass vor jedem Gerichtsverfahren, in dem Politiker involviert sind, ein Untersuchungsausschuss vorangeht.

Die Scheinheiligkeit der Regierungsparteien wird bei dieser Argumentation sichtbar. Und noch mehr: wer sagt, dass durch nichtstun der Wahrheitsfindung gedient sein, hält das Volk für geistig minderbemittelt oder ist es selber.

These 3: Der Untersuchungsausschuss ist das richtige Instrument im Fall der Kurdenmorde.

Begründung: Der Untersuchungsausschuss hat die Aufgabe zu prüfen, ob sich ein Mitglied der Bundesregierung in einer bestimmten Verwaltungssache einer strafbaren Handlung oder der Schädigung öffentlicher Interessen schuldig gemacht hat.

Auch dieses Argument ist schlüssig. Aber auch wenn der Untersuchungsausschuss ein ungeeignetes Mittel wäre, würde es niemandem Schaden, wenn trotzdem eine Untersuchung stattfände. Im Gegenteil. Es würde zeigen, dass es nichts zu verbergen gibt (Das ist zwar ein sehr negativ besetztes Argument aber ich bitte zu unterscheiden, ob jemand überwacht wird, oder ob jemand als Zeichen des guten Willens ein Zugeständnis macht, so wie bei den Lügendedektortests in den USA). Ausserdem sollte man nicht vergessen, dass es hier um Mord geht. Wem das nicht Grund genug ist, verachtet Menschenleben. Und noch mehr: Behindert jemand die Aufklärung einer Straftat, macht er sich auch eines Verbrechens schuldig und wenn nicht im juristischen Sinn, dann zumindest moralisch.

Neben der rationellen Argumetation gab es auch Forderungen, die zwar moralisch ihre Berechtigungen haben, im Gesetzestext aber nicht explizit verankert sind, bzw. nicht bewiesen werden können.

Folgende Statements waren in APA-Aussendungsschlachten zu lesen:

Klestil soll sich für einen Untersuchungsausschuss aussprechen.

Diese Forderung verbirgt interessante Hinweise auf die Situation des Parlamentarismus in Österreich. Da der Bundespräsident eigentlich nur dazu da ist, die Demokratie zu symbolisieren, ist es merkwürdig, dass eine Partei diesen um Hilfe bittet. Dieser Hilferuf ist ein geschickter Schachzug des Liberalen Forums.

Der Hilferuf symbolisiert zum einen, dass das Liberale Forum die Kooperation mit den demokratischen Insitutionen sucht. Ausserdem wird der Präsident, der ja einer Regierungspartei angehört, aufgefordert gegen seine Parteifreunde zu agieren, was er auch tun müsste, weil der Präsident ja der moralische Wächter ist (laut Verfassung). Er kann aber nicht gegen seine Parteifreunde agieren und ausserdem ist er sogar selber in die Kurdenaffäre verwickelt. Des weiteren symbolisiert die Aktion dem Volk "Seht her, wir von der Opposition bitten unsere Gegener um Hilfe, weil wir um das Wohl unseres Staates besorgt sind, aber keine Mittel haben dafür etwas zu tun.

Klima und Schüssel träten in ihrem "Nicht-Ernst-Nehmen" des Parlaments die Vranitzky-Nachfolge an.

Dieses Statement trägt meiner Meinung nach nichts zur Diskussion bei, sondern ist vielmehr darauf bedacht das positive Image Klimas, als dynamischer, gerechter, innovativer Bundeskanzler zu zerstören.

Die österreichische Regierung habe sich möglicherweise vom Iran erpressen lassen.

Diese Vorabbeschuldigung war wohl notwendig, damit dem Volk plausibel wird, warum die Regierung gegen einen Untersuchungsausschuss sein könnte, ausser aus den Gründen die die Regierungsparteien genannt haben.

Damit wird auch den Regeln einer Werbekampagne entsprochen. Für jede These in eier Werbung muss der "Reason why" transportiert werden. Der "Reason why" ist die Beweisführung für eine These in der Werbung. Ohne "Reason why" glaubt der Rezipient der Werbung nicht.
 
 

Selbstpositionierung des Autors

Ich habe micht mit den Positionen des Liberalen Forums auseinandergesetzt, weil ich selber Mitglied des Liberalen Forums bin. Meiner Meinung stehe ich dem LIF kritisch gegenüber. So will ich hier noch anmerken, dass die Position des LIF in der Kurdenaffäre natürlich heuchlerisch ist. Die Abgeordneten des LIF würden meiner subjektiven Meinung nach ebenso vertuschen, wie es die Regierungsparteien tun. Als ehemaliger Mitarbeiter der Presseabteilung des Wiener LIF habe einige Einblicke. So wurde ich damals angewiesen, zu einem Skandal in dem auch ein Agbeordneter des LIF verwickelt war, keine Presseaussendungen zu schreiben.

Letztendlich bin ich sogar gefeuert worden, weil meine Haltung zum LIF wohl nicht demütig genug war.
 
 

10.Kontrolliert sich die Mehrheit selbst?

Die Position der Grünen zum Kontrollinstrument eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Raimund Lunzer
 
 

1. Einleitung

Heinz Fischer hat das Problem in seinem Beitrag zum Handbuch des politischen Systems Österreichs bereits auf den Punkt gebracht: ,,Ist die Gesetzgebung unter dem Strich eine Domäne der Parlamentsmehrheit - wobei sich natürlich auch die Minderheit am Prozess der legislativen Arbeit in den Untersuchungsausschüssen und Ausschüssen des Nationalrates beteiligt - so ist die Kontrolle eine Domäne der Opposition ..." (Fischer 1991, 110)

Was würde also näher liegen, als das Instrument eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses endlich zu einem wirklichen Kontrollmittel der Oppositionsparteien auszubauen? Ist es nicht grotesk, einerseits die parlamentarische Kontrolle der Opposition zuzuschreiben, andererseits zu verhindern, dass die Oppositionsparteien als parlamentarische Minderheit einen Untersuchungsausschuss einsetzen können?

Der SP-Parlamentspräsident gibt die Antwort auf das Motiv zu dieser gespaltenen Haltung gleich selbst - als erstes Resümee zur Zulassung der Medien im Stadium der Beweiserhebung eines Untersuchungsausschusses: ,,Einerseits gibt es ein zusätzliches Mass an Transparenz - mit allen positiven Auswirkungen, die damit verbunden sind - andererseits wird ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss de facto zum gerichtsähnlichen Tribunal mit urteilsähnlichen Auswirkungen umfunktioniert ..." (ebd., 112)

Die Regierungsparteien haben also Angst, dass die Opposition einen Untersuchungsausschuss als politische Tribüne - die er nun einmal ist - ,,missbraucht" und der Regierung empfindliche Schäden durch das Transparent- und Öffentlichmachen von eklatanten Missständen zufügt. Das vorliegende Kapitel soll die Haltung der Grünen zum Kontrollinstrument eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses aufzeigen, deren Motive und Intentionen.
 
 

2. Forderung eins U-Ausschusses zu den Kurdenmorden

Am Beispiel der Kurdenmorde soll die Problematik einer Minderheitsfraktion am Beispiel der Grünen aufgezeigt werden, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu fordern. Denn angesichts der derzeitigen Gesetzeslage ist es für eine Oppositionspartei faktisch unmöglich, ein derartiges Kontrollinstrument einzusetzen - ohne die Zweidrittelmehrheit der Grossen Koalition von SPÖ und ÖVP.

Im § 33 Abs 1 GOG heisst es: ,,Der Nationalrat kann auf Grund eines Antrages zur Geschäftsbehandlung den Beschluss auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fassen." Dies bedeutet, dass mindestens die Hälfte der Nationalratsabgeordneten einem Untersuchungsausschuss zustimmen müssen. Die Grünen haben somit weder alleine, noch in Partnerschaft mit den anderen Oppositionsparteien die Möglichkeit, ohne Zustimmung der Regierungsparteien einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. ,,Gegen den Willen der Koalitionsregierung - die zwei Drittel der Parlamentarier stellt - ist die Erfolgsaussicht aber üblicherweise gleich null." (Der Standard/17.4.1997,5) Soviel zur Ausgangsposition. Welche Möglichkeiten hatten nun die Grünen im speziellen Fall der Kurdenmorde?

Die Vorgangsweise umfasste vier Schritte:

1. Ausnützen der legalen Mittel

2. Aufdecken des Sachverhaltes in der Öffentlichkeit

3. Streikunion der Oppositionsparteien.

4. Versuch, die parlamentarische Bürokratie lahmzulegen
 
 

2.1. Ausnützen der legalen Mittel

Nach der Verkündung der Berliner ,,Mykonos-Urteile" forderten der Sicherheitssprecher der Grünen, Rudi Anschober, eine ,,rasche Neuuntersuchung der Wiener Kurdenmorde" (GPD 10./11.4.1997).

Die Grünen stellten mehrmals Anträge zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, jedoch ohne Zustimmung der Regierungsparteien. Anschober kündigte an, ,,ab sofort bei jeder parlamentarischen Sitzung einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses" zu stellen (Der Standard/19.+20.4.1997, 6).

Die Grünen setzten auf den Faktor Zeit, denn, so Anschober: ,,Bis zum Noricum-Untersuchungsausschuss hat es sieben Anträge, bis zum Lucona-Ausschuss fünfzehn Anträge gebraucht." (OTS 039/20.4.1997) Gleichzeitig mit den Anträgen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wurde eine diesbezügliche Änderung der Geschäftsordnung des Nationarates gefordert (s. mein Kapitel zu diesem Thema).
 
 

2.2. Gang an die Öffentlichkeit

Da die Ausnützung der legalen Mittel keinen Erfolg zeitigte, gingen die Grünen massiv mit immer neuen Fakten an die Öffentlichkeit. Peter Pilz drohte bei einer Pressekonferenz, weitere Unterlagen zu veröffentlichen, falls keine Zusage für einen Untersuchungsausschuss vorliege. Pilz: ,,Ein Untersuchungsausschuss wäre für die Regierungsparteien das kleinere Übel." (Der Standard/24.4.1997, 6)

Scheibchenweise präsentierten die Grünen neue Fakten, stellten Fragen an die damaligen politischen Verantwortlichen. Peter Pilz reiste sogar in die USA, um bei einer Versammlung von Menschenrechtsorganisationen im Kongress das Ausland über die Causa Kurdenmorde zu informieren.
 
 

2.3. Streik der Opposition

Ein weiteres Druckmittel zur Durchsetzung eines Untersuchungsausschusses war der gemeinsame Boykott aller parlamentarischen Ausschusssitzungen durch die Oppositionsparteien bis zum 10. Juni 1997. Die Grünen verbündeten sich sogar mit den gegnerischen Freiheitlichen, nahmen in Kauf, an wichtigen Gesetzesmaterialien wie Integrationspaket, Waffengesetz oder Gewerbeordnung nicht mitzuwirken (vgl. Der Standard/23.5.1997, 1). Diese Vorgangsweise stiess jedoch auch auf heftige Kritik innerhalb der eigenen Reihen. Umweltsprecherin Monika Langthaler: ,,Ich habe versucht, darauf aufmerksam zu machen, dass die Gentechnik und die Gewerbeordnung in den nächsten Wochen auf der Tagesordnung stehen und von dem Boykott betroffen sind. Das ist ziemlich die schärfste Waffe, die eine Oppositionspartei zur Verfügung hat. Ich hab' nur deponiert, ob es in dem Fall schon so weit ist ..." (Die Presse/24.5.1997)

Klubchefin Madeleine Petrovic meinte, ,,das Verhalten der Regierungsfraktion, mit ihrer Mehrheit Untersuchungsausschüsse zu blockieren, hat einen Grad erreicht, der die Demokratie gefährdet". Es sei bisher ungeschriebene Usance im Parlament gewesen, bei Vorliegen gravierender Verdachtsmomente mit Mehrheitsbeschluss eine parlamentarische Untersuchung zu ermöglichen (vgl. Der Standard/23.5.1997, 7). Bei einer Klubklausur am 4. Juni 1997 verkündete Petrovic: ,,Der Protest wird weitergehen." - Auch nach dem 10. Juni. Notfalls werde das Parlamentsplenum, aber auch die Ausschusssitzungen bis Herbst boykottiert (vgl. Der Standard 5. Juni 1997, 6).
 
 

2.4. Lahmlegen der Bürokratie

Als weitere Protestmassnahme drohten dir Grünen, die parlamentarische Bürokratie lahmzulegen. Sicherheitssprecher Rudi Anschober drohte mit einer Lawine von 101 parlamentarischen Anfragen zur Herausgabe aler bislang geheimgehaltener Kurdenakten. Anschober: ,,Dies kann zwar keinen Untersuchungsausschuss mit seinen Befragungsmöglichkeiten von Zeugen unter Wahrheitspflicht, bei der auch die entscheidenden mündlichen Absprachen aufgeklärt werden könnten, ersetzen, aber es kann zumindest einen lückenlosen Überblick der Aktenlage ermöglichen." (GPD/2.6.1997)
 
 

3. Motive der Grünen

Die Grünen lassen somit nichts unversucht, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Kurdenmorden zu erzwingen. Welche Motivation steckt nun hinter dieser berechneten Vorgangsweise?

Aufklärung des politischen Hintergrundes (Anschober: ,,Denn die Justiz untersucht nur den Fall an sich, nicht aber die politischen Hintergründe für die Intervention für die Mörder und ihr Entkommenlassen." (APA/OTS 079/21.4.1997)

Bewertung der Arbeit der Behörden

Nur in einem Untersuchungsausschuss bestehe die Möglichkeit zur Akteneinsicht, Zeugenbefragung sowie zu Gegenüberstellungen (APA 285/23.4.1997)

Doch hinter dem demokratiepolitisch verständlichen Wunsch zur restlosen Aufklärung des Politikums rund um die Kurdenmorde geht es den Grünen sicherlich auch um politische Performance. Eine ,,Presse"-Umfrage bezüglich eines Untersuchungsausschusses zu den Kurdenmorden (2) brachte eindeutige Ergebnisse: 55 Prozent der Befragten sprachen sich für einen Untersuchungsausschuss aus, gar 86 Prozent der 15- bis 19jährigen und 67 Prozent der Beamten (Die Presse/17.5.1997)! Die Forderung der Grünen ist somit kein Minderheitenprogramm, sie findet innerhalb der österreichischen Bevölkerung eine breite Unterstützung.

Ein Untersuchungsausschuss ist kein Gerichtsverfahren, sondern ein ,,politisches Kampfinstrument": ,,Denn durch die mediale Wirklichkeit werden Untersuchungsausschüsse zum Tribunal, das über Aufstieg und Fall der geladenen Auskunftspersonen entscheidet." (Krawagna-Pfeifer 1997) Es wäre schon ein politischer Erfolg, als Oppositionspartei im Rahmen eines parlamentarischen ,,Tribunals" als Aufdecker politischer Verfehlungen der Mächtigen auftreten zu können, den einen oder anderen Politiker der Regierungsparteien zu Fall zu bringen. Das Kontrollinstrument Untersuchungsausschuss könnte den Grünen als Bühne für ihre politische Darstellung dienen und somit die Partei in der Bevölkerungsmeinung stärken - was im Hinblick auf die nächsten Wahlen sicherlich von Nachteil wäre.

Die Grünen sind keine ,,beamtete" Partei, die brav den Parlamentsalltag herunterspult, sie setzen auch auf politische Showelemente, um komplizierte Sachverhalte auf einen möglichst einfachen, verständlichen Nenner zu bringen. Ein Untersuchungsausschuss kommt dem ,,Aktionismus" der Grünen entgegen und sorgt für Abwechslung in der tristen parlamentarischen Bürokratie. In Österreich verschaffen Untersuchungsausschüsse ,,dem eher braven Parlamentarismus die Dynamik und damit auch das potentielle Ansehen, das dieses traditionelle Stiefkind österreichischer Politik braucht" (Schmidauer 1991, 568).
 
 

Anmerkungen:

(1) Vgl. § 33 Abs 3 GOG-NR - Anwesenheit von Medienvertretern bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen ,,nach Massgabe der räumlichen Möglichkeiten". ,,Fernseh- sowie Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Lichtbildaufnahmen sind jedoch unzulässig."

(2) Vom 6. bis 9. Mai - rund um die Nationalrats-Sondersitzung - wurden 500 Personen befragt. 54 Prozent meinten, Österreich habe die mutmasslichen Mörder heimlich ausreisen lassen (Die Presse/17.5.1997).
 
 

Literatur:

Fischer, Heinz (1991). Das Parlament. In: Dachs, Herbert u.a. (Hg.) (1991). Handbuch des politischen Systems Österreichs. Wien: Manz, 96-117.

Krawagna-Pfeifer, Katharina (1997). Ausschuss gegen Opportunismus. Untersuchung der Kurdenmorde durch das Parlament auf alle Fälle notwendig. In: Der Standard/23.4.1997, 34.

Schmidauer, Doris (1991). Der Noricum-Untersuchungsausschuss. Analyse eines politischen Skandals. In: Khol, Andreas; Ofner, Günther; Stirnemann, Alfred (Hg.). Österreichisches Jahrbuch für Politik 1990. Wien: Verlag für Geschichte und Politik, 557-568.
 
 

11. Behinderung oder Stärkung des Parlamentarismus?

Richard Pettauer
 
 

Die Frage: "Torpedieren die Parlamentsparteien den Parlamentarismus", die Christina Griessler anlässlich einer Proseminararbeit im Sommersemester 1996 stellte, erlangte im Zuge der aktuellen Vorgänge bezüglich des Streits um das Einsetzen von Untersuchungsausschüssen neue Relevanz.

Kurz sah es so aus, als stünde dem österreichischen Parlamentarismus eine Bewährungsprobe bevor. Wochenland waren die Innenpolitikressorts beinahe aller österreichischen Tagesmedien mit dem Thema beschäftigt, und so unterschiedlich Koalition und Opposition die Verhältnisse beurteilten, so unterschiedlich fielen auch die medialen Bewertungen aus.

Zwei Standpunkte gilt es zu trennen: Da waren auf der einen Seite jene, die eine ernsthafte Gefährdung des Parlamentarismus sahen und glaubten, Österreich treibe auf einen kleinen Abgrund zu. Auf den Punkt brachte diese Ansicht Frau Dr. Rohrer, die Ressortleiterin der Innenpolitik bei der "Presse": Sie verwies in ihrem Leitartikel auf die Gefährdung des Parlamentarismus.

Der andere Standpunkt gipfelte in der Ansicht, dass eine solche Situation dem Parlamentarismus eigentlich nur förderlich sein könne: Aufsetzend auf den Vorwurf, dass das Parlament ohnehin zur "Abstimmungsmaschinerie" verkommen sei und die "Regierung die Gesetze macht", hielten die Vertreter dieser Meinung das Handeln der Opposition für durchaus sinnvoll, erhoffte man sich dadurch doch eine Stärkung der Kontrollrechte.

Pro- und Kontraargumente hielten sich in etwa die Waage: da war viel zu hören von der "Behinderung" der parlamentarischen Arbeit, von Gefährdung im Sinne des Zum-Stillstand-Bringens des Parlaments.
 
 

Was ist die eigentliche Aufgabe der Opposition?

Die zentrale Frage muss also lauten: Was ist die Aufgabe der Opposition? Ausgehend von dieser Frage wird man dann klären müssen, wie sich ein Fernbleiben vom Plenum entschuldigen lässt, oder anders gesagt, ob in diesem Fall der Zweck die Mittel heiligt.

Aktionismus, wie er aus dem Motiv der Medienwirksamkeit schon lange auch in Österreich nicht mehr unbekannt ist, scheint, wenn er auch zu ernsthafter Behinderung führen kann, ein weitaus schwächeres Mittel als der erlebte Boykott. Ein "Streik" dieser Art war wirklich einmalig, und wieso er so relativ glimpflich verlaufen ist, lässt sich ja nur durch die 2/3-Mehrheit erklären, die die Koaltitionsparteien wieder besitzen. Wenn man jegliche Gestzgebungsfunktion sozusagen im Alleingang übernehmen kann, so disqualifiziert die Opposition sich ja lediglich - schliesslich gibt sie auf diese Weise freiwillig die (wenigen) Mitsprache- bzw. Kontrollrechte auf, die ihr von GOG-wegen zustehen.

Aus dieser Position heraus ist es für die Regierungsparteien dann relativ leicht, die Opposition ob einer solchen Situation zu diskreditieren. Daher darf man den Warnstreik, wie ich das Fernbleiben vom Plenum bezeichnen will, nicht als realpolitischen Akt sehen, sondern als Warnsignal, als medienwirksame symbolische Politik, die dann allerdings realpolitische Folgen hätte zeitigen sollen. Druck kann man heute am wirksamsten durch die Medien erzeugen, dabei muss man allerdings erreichen, dass die eigene Aktion auch in der gewünschten Weise dargestellt wird, sonst läuft man sofort Gefahr, kontraproduktiv zu arbeiten.

Wie die längerfristigen Auswirkungen sind, wird sich erst noch zeigen. Keinesfalls schaden könnte ein Blick in den deutschen Bundestag, wo das Einsetzen von Kontrollausschüssen ein Minderheitenrecht ist - trotzdem ist das Parlament immer noch arbeitsfähig.
 
 

Um zu Ausgangsfrage zurückzugelangen:

Zur Aufgabe der Opposition befragt antwortete Nationalratspräsident Heinz Fischer:

[...] aber in Summe wird man wohl sagen müssen, dass es nicht die Aufgabe der Opposition ist, die Regierung zu unterstützen oder zu behindern, sondern dass die Aufgabe der Opposition ist, die Regierung zu kritisieren, zu kontrollieren bzw. ein Alternativprogramm zu entwickeln.

Willi Brauneder, dritter Präsident, meint dazu:

Zum Wesen der Opposition gehört es, die von ihr für unrichtig eingeschätzte Arbeit der Regierung zu verhindern. Das macht allerdings die Regierungsmehrheit unmöglich, sie verhindert auch in der Regel die Berücksichtigung von Initiativen der Oppositionsparteien. Dieser verbleibt daher nur ein Behindern der Regierungsaktivitäten um auf Alternativen aufmerksam zu machen.

Dabei muss man sich eines vor Augen führen: die vielzitierten Geschäftsordnungstricks, durch deren weidliche Ausnutzung (vor allem das Einberufen von Sondersitzungen) sich in erster Linie die FPÖ hervorgetan hat, sind legale Tricks. Von legal spreche ich, da es sich dabei lediglich um ein Ausreizen der durch die Geschäftsordnung des Nationalrates vorgegebenen Möglichkeiten handelt. Inwieweit dies sinnvoll ist, kann schwer beurteilt werden.

Eine brauchbare Definition, was unter solchen Tricks zu verstehen ist, gibt der Klubsekrtär der Grünen, Mag. Felix Ehrnhöfer:

Die Nutzung von Geschäftsordnungsbestimmungen zur Erreichung von politischen Zielen, die von den Intentionen des Geschäftsordnungsgesetzgeber abweichen.

Hier spielt also die Trennung von reinem gesatzten Recht und der ihm innewohnende "Geist", also das materielle Recht, eine Rolle.

Anders stellte sich aber die Situation beim parlamentarischen Warnstreik dar: Das Fernbleiben wird bei längerem Unentschuldigtbleiben durch das Entziehen des Mandats geahndet. Hier handelt es sich also nicht um einen geschäftsordnungsmässigen Trick, sondern um eine klare Missachtung der GOG.
 
 

Abschliessende Bemerkungen
 
 

Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich hier nochmals die verschiedenen Standpukte der Parlamentsparteien zusammenfasse, die im Frühjahr 1996, kurz nach der Geschäftsordnungsreform, von vier der fünf Parlamentsparteien durch die Beantwortung eines Fragebogens zum Ausdruck gebracht wurden.

Während SPÖ und ÖVP sich sehr ablehnend gegenüber der Forderung der Opposition bezüglich einer Ausweitung ihrer Kontrollrechte zeigten, lässt sich diese restriktive Haltung im Hinblick auf Untersuchungsausschüsse als Minderheitenrecht aus den Antworten auf die Fragebögen nicht ableiten. Möglicherweise hängt dies aber auch damit zusammen, dass eine solche Beantwortung im Rahmen eines Proseminars auf der Universität stattfand und die jeweiligen Vertreter vermeiden wollten, als antidemokratisch und parlamentarismusfeindlich angesehen zu werden. Viele Antworten scheinen mir in diesem Sinn "sozial erwünscht" und wurden durch die Praxis disqualifiziert. Nichtsdestotrotz ist es recht interessant, sich die Lücke, die zwischen Realität und Schein klafft, vor Augen zu führen.

Die Position der SPÖ 1996

Für die SPÖ antwortete der damalige und jetzige 1. Nationalratspräsident Dr. Heinz Fischer. Er stellte fest, dass das Anwenden der Möglichkeiten der GOG keinen Missbrauch darstelle, jedoch "Missbrauch [...] liegt wohl dort, wo die Anwendung in exzessiver Weise erfolgt und das Ziel verfolgt, einen Zustand herbeizuführen, den man bei der normalen und durchschnittlichen Anwendung der Geschäftsordnung nicht erreichen würde". Die Ausnützung der 2/3 Mehrheit ist für ihn eine verfassungspolitische, keine verfassungsrechtliche Frage. Er sieht es weiters als Aufgabe der Opposition an, die Regierung zu kontrollieren.

Wie aus dem Beitrag des Kollegen Paulick zur Position der SPÖ hervorgeht, sah man dort die letzte Geschäftsordnungsreform als Sieg für den Parlamentarismus, die eine rascheres und effizienteres Arbeiten ermögliche. Hier stellt sich die Frage, ob man mehr Wert auf Effizienz legt oder auf Kontrolle. Denn das Kontrolle eigentlich die Effizienz im Sinne der Koalition per definitionem schwächen muss, steht wohl fest. (Das Parlament als vielzitierte "Abstimmungsmaschinerie stellt die effizienteste Form eine Parlamentarismus aus Sicht der Regierung und der Regierungsparteien dar). Kontrolle verzögert stets die parlamentarische Arbeit bzw. macht sie stellenweise unmöglich. Es verwundert daher, dass die Haltung sowohl Fischers als auch Kostelkas in den Fragebögen sehr tolerant gegenüber der Opposition scheint. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Regierungsparteien im Fall der Konfrontation nicht bereit sind, weitergehende Zugeständnisse zu machen.

In diesem Zusammenhang besonders interessant ist die damals gestellte Frage: "Haben Oppositionsparteien das Recht, die Arbeit in den Ausschüssen zu verweigern?" Sehr aufschlussreich die Antwort Fischers, die ich wörtlich zitieren möchte: "Grundsätzlich verpflichtet sich jeder Abgeordnete seine parlamentarischen Aufgaben zu erfüllen. Mit der Annahme der Wahl (bzw. der Nominierung) in einen Ausschuss übernimmt man auch die Verpflichtung zur Mitarbeit in einem Ausschuss. Dennoch wird man eine demonstrative und zeitliche befristet Verweigerung der Mitarbeit in einem Ausschuss als demonstrativen Akt akzeptieren können. Anders zu beurteilen wäre eine permanente, dauerhafte Verweigerung der Mitarbeit im Ausschuss oder Plenum". Lapidarer fiel die Antwort Kostelkas auf diese Frage aus: "Faktisch ja, moralisch nein." Es scheint interessant, dass hier die Moralfrage bemüht wird: die Opposition argumentierte ihren Boykott ja gerade mit der parlamentarischen Verantwortung.

Prinzipiell stimmte Kostelka einer Erweiterung der Befugnisse der Opposition zu, wenn auch mit Vorbehalt: "Teilweise ja, aber die Funktionstüchtigkeit des Gesamtparlaments [muss] erhalten [bleiben]." Ähnlicher Grundtenor auch bei Fischer, der ein "ausgewogenes Verhältnis" zwischen Regierung und Opposition, das an der "Gesamtfunktionsfähigkeit des Parlamentarismus orientiert" sein soll, wünscht.

Dies war also die offizielle Position der SPÖ 1996. Die Ereignisse der vergangenen Monate haben aber gezeigt, dass kein wirkliches Interesse an einem ausgewogenen Verhältnis besteht, es sei denn, man sieht dieses Verhältnis darin, dass die Regierungsparteien gezeigt haben, dass sie den längeren Atem besitzen bzw. am längeren Ast sitzen. Die Antworten sind ein weiterer Beleg für die Diskrepanz zwischen realpolitischen Entscheidungen und symbolischer Politik.
 
 

Die Position der ÖVP

Für die ÖVP antwortete der damalige und jetzige Klubobmann Dr. Andreas Khol. Aus seinen Antworten geht prinzipiell ein restriktiveres Oppositionsverständnis hervor: Für ihn nutzen die Oppositionsparteien die GOG "bis an die Grenze der Legalität" aus. Immerhin gesteht er den Oppositionsparteien LIF und Grüne zu, fallweise konstruktiv zu agieren, während er die F als "obstruktionsnahe" bezeichnet. Auf die Frage des Ausschussboykotts gab es von Khol ein klares "Ja" (vielleicht spielt es seiner Meinung nach ohnehin keine grosse Rolle, ob die Opposition in den Ausschüssen vertreten ist; seine Aussagen während des Boykotts legen dies Vermutung durchaus nahe). Zum Ausbau der Rechte der Opposition antwortet er "teils/teils": Diese vage Aussage ist nicht weiter interpretierbar.

Auch diese Aussagen können nicht weiter überraschen. Gemäss den Folgerungen der Kollegen Hirsch und Weigl zur Haltung der ÖVP lässt sich herauslesen, dass Heinrich Neisser den "liberalen" Flügel der ÖVP vertritt, während Khol strikt gegen einen Ausbau der Oppositionsrecht ist und dies während des Boykotts auch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat.

Naturgemäss andere Positionen vertreten die Oppositionsparteien, in diesem Fall F und Grüne, da die Liberalen den Fragebogen nicht beantworteten.
 
 

Position der Freiheitlichen

Für die Freiheitlichen antwortete der 3. Nationalratspräsident Dr. Willi Brauneder. Die Nichtteilnahme in den Ausschüssen bezeichnete er als "Zulässig, aber als Verzicht auf Rechte sowie auf politische Stellungnahme". Zum Ausbau der Opppostionsrechte spricht er den vilekritisierten Umstand an, dass die "Regierungsparteien die (parteimässig identische) Regierung nicht kontrollieren, sondern zusammen einen einheitlichen politischen Faktor darstellen."

Position der Grünen

Für die Grünen antwortete Clubsekretär Mag. Felix Ehrnhöfe, der erwartungsgemäss das "Fehlen einer politische Kultur in Österreich" beklagt. Interessant, dass auch er bei der Frage nach der Zulässigkeit des Verlassens von Ausschüssen moralische Kriterien heranzieht: "Wenn Sie "Recht" in diesem Zusammenhang ‘moralisch’ meinen, dann wird es wohl auf die Rahmenbedinungen der Ausübung dieses ‘moralischen Rechts’ ankommen."
 
 

Fazit

Der Boykott der Oppositionsparteien blieb ein Sturm im Wasserglas. Der Streit um die Einsetzung bzw. Nichteinsetzung von zwei konkreten Untersuchungsausschüssen hat die GOG des Parlaments um keinen Deut weitergebracht. Was wir erfahren haben, war zum überwiegenden Teil lediglich, dass die Opposition "erpresserisch" und rücksichtslos vorgeht, wenn es um die Durchsetzung ihrer Ziele geht.

Da wurde viel von moralischer Verantwortung gesprochen und in Verkennung der Sachlage gelang es den Regierungsparteien mithilfe einiger Medien sich das Märtyrermäntelchen umzuhängen als die Hüter der Demokratie, die nun die ganze Arbeit im Parlament tadellos allein bewältigen.

Symbolische Politik feierte ihre Hochblüte. Aufgrund der ganzen Situation war es relativ leicht, den Zorn der Bevölkerung zu erregen, denn die Oppositionsparteien legen einfach ihre Arbeit nieder, eine klare Absichtserklärung fand zwar statt, konnte jedoch medial nicht entsprechend umgesetzt werden.

Die Abschiebung der Verantwortung auf die Justiz im Fall Kurdenmorde scheint geglückt, dass die Argumente teils hanebüchen waren hat wohl niemanden weiter gestört. Dass die Forderung nach einer Untersuchung durch die "unabhängige Justiz" das Instrument Untersuchungsausschuss wohl generell in Frage stellt, auch nicht.

Die Furcht vor Behinderung der parlamentarischen Arbeit durch das Zugeständnis von mehr Kontrollrechten scheint gross, beachtenswert war allein die Einigkeit der Opposition, die sich hier in den Dienst der Sache stellte, wenn auch letzten Endes erfolglos. Solange SPÖ und ÖVP die 2/3-Mehrheit besitzen, wird es keine echte GOG-Reform mehr geben. Aber die nächsten Wahlen kommen bestimmt. Und dieser "Warnschuss vor den Bug" könnte zumindest dazu dienen, ansatzweise in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Parlamentarismus zu schaffen.
 
 

12. Resümee
 
 

Demokratie als Machtspiel

Zusammenfassend kann attestiert werden, dass sämtliche Parteien, ob sie der Regierungsfraktion oder der Opposition angehören, Demokratie als Machtspiel betreiben.

Dabei kommt den Oppositionsparteien zu Hilfe, dass ihre parlamentarische Funktion hauptsächlich die Kontrolle der Regierenden vorsieht. So können sie sich als die ,,Hüter" der demokratischen Grundwerte präsentieren.

Die parlamentarische Funktion der Regierungsparteien hingegen schreibt diesen immer die Machtposition zu, so dass in der Öffentlichkeit all ihren Aussagen bezüglich Demokratie immer etwas Verdächtiges anzuhaften scheint. Weniger die Weiterentwicklung der demokratischen Rechte, weniger die Anpassung demokratischer Formen an neue gesellschaftliche bzw. politische Veränderungen, sondern vielmehr der Ausbau bzw. die Verteidigung der eigenen Machtposition steht bei allen Parteien im Vordergrund der politischen Agitation. So verteidigen die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP ihre in Affären verwickelten Mitglieder, verhindern allzugrosse parlamentarische Kompetenzen der Opposition. Sie versuchen, den Minderheitsfraktionen das Parlament als politische Tribüne zu verweigern - wären sie an deren Stelle, würden sie wohl völlig anders argumentieren.

Die Oppositionsparteien sehen Minderheitenrechte nicht nur als Weiterentwicklung der Demokratie, sondern vielmehr als Bühne, um ihre eigenen Argumentationslinien an die WählerInnen zu bringen. Im Falle der Forderungen nach der Möglichkeit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als Minderheitenrecht decken sich diese dazu noch mit den Wünschen der Bevölkerung, womit die eigene "Machtgier" sich als "Erfüllen der Anliegen der Bevölkerung" präsentieren kann.

Offene demokratische Konfliktaustragung ist notwendiges Element eines - nicht nur formal - funktionierenden Parlamentarismus. Damit das Parlament seinen Aufgaben gerecht werden kann, muss es der Opposition bzw. den Minderheitenfraktionen möglich sein, ein wirksames Kontrollinstrument gegenüber den Regierungsfraktionen anzuwenden.

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind hierzu von elementarer Bedeutung.

In Österreich ist bis dato noch immer eine parlamentarische Mehrheit notwendig, um das eigentlich als Minderheitenrecht zu qualifizierende Instrument des Untersuchungsausschusses einzusetzen. Soweit, losgelöst von den parteipolitisch motivierten Auseinandersetzungen, muss den Oppositionsfraktionen im Parlament vorbehaltlos in ihrer Forderung nach einem Ausbau der parlamentarischen Minderheitenrechte zugestimmt werden.
 
 

13. Nachwort

Haimo L. Handl
 
 

Nach den Sommerferien, Anfang September 1997, lese ich während der Endredaktionsarbeit dieses Abschlussberichts einige Meldungen und Artikel, die ich, obwohl nicht direkt zu dieser Arbeit gehörend, dennoch für bedenkenswert halte und die mir geeignet scheinen, den interpretativen Ausblick, wie ihn die Studenten artikuliert haben, zu ergänzen.
 
 

1) Osten (Der frühere Jörg Mauthe sprach, bezogen auf Österreich, einmal von "Verostung")

Einer Meldung in der Neuen Zürcher Zeitung vom 4.9.97 unter dem Titel "Verweigerte Debatte im slowakischen Parlament - Keine Lösung der Gaulieder-Affäre" ist zu lesen, dass und wie die Regierungsmehrheit eine von der Opposition beantragte Sondersitzung aufgrund eines Verfassungsgerichtshofserkenntnisses abgewehrt wurde und das Regierungslager offensichtlich nicht bereit sei, die geforderte Sitzung zum (brisanten) Thema zuzulassen.

Ich stellte mir unwillkürlich vor, wie aufrechte österreichische Republikaner im Gleichklang mit anderen rechtsstaatlich orientierten Demokraten ihr Befremden über die "Ostpolitik" aussprechen und dabei übersehen, dass die Praxis der österreichischen Parlamentsmehrheit demselben Ungeist entspricht, der hier Stoff für eine kurze Meldung aus dem Osten gab.
 
 

2) Kommunikationsverweigerung

In "Aus Politik und Zeitgeschichte - Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament", Ausgabe B36-37 vom 29.8.97 finde ich mehrere Beiträge, die sich wie ein bundesrepublikanischer Spiegel zu unserem Thema lesen lassen.

Peter Glotz schreibt über die "politische Krise als Kommunikations-Krise" (S.3-7) und bedauert unter anderem als "dritte Kommunikationsstörung" die "Kommunikationsverweigerung, die die politischen Parteien in Deutschland mehr und mehr betreiben. Die deutsche politische Kultur ist "tantenhaft". Sie ist von zahllosen Tabus bestimmt, über die man nicht diskutieren darf." (S.5)

Was würde Glotz oder ein entsprechend kritischer Autor über die österreichische Parteienszene und ihre Kommunikationsverweigerung sagen?
 
 

3) Fairplay

Die Julius-Raab-Stiftung, ÖVP-Politakademie, lädt ein zur September Akademie 1997: FAIR PLAY - Globalisierung und Demokratie. Namhafte Experten aus Politik und Wissenschaft sind eingeladen für Vorträge und Diskussionen.

Im Editorial des 32-Seiten starken Programmheftes lassen der Beiratsvorsitzende der Stiftung, Präsident Dr. Heinrich Neisser und der Vorsitzende, Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel wissen:

"Die politische Aufgabe an der Schwelle zum 21. Jahrhundert besteht darin, dass wir Demokratie in einem neuen Raum- und einem neuen Zeithorizont verfassen müssen. Die Ergebnisse des demokratischen Prozesses müssen einerseits den globalen Lebensansprüchen gerecht werden und andererseits den zukünftigen Lebensbedürfnissen entsprechen." Fast würde man sich wünschen, wenn man doch in der Gegenwart begänne und hier, im eigenen Land. Was ist von solchen Diskursen, zu deren Teilnahme wir herzlich eingeladen werden, zu halten, wenn dieselbe Partei über wichtige Vertreter im gegenteiligen Geist Politik praktiziert?

Es ist keine Frage der Kosmetik, Aufbereitung, Verpackung. Vielmehr sollte man das Paradoxon, dass mittels Information Informationen (Wahrheiten) über- und verdeckt werden können (Adorno), bedenken.

Politische Kommunikation vollzieht sich, wie jede Kommunikation, in Strukturen, über Kanäle, hierarchisch geordnet, verdeckt und offen, schnell und langsam, klar und undeutlich, informativ oder redundant. Neben diesen Banalitäten lassen sich aber ideologisch bedingte Kommunikationsformen, -einstellungen und -Verhaltensweisen feststellen, die insgesamt das "politische Klima" bestimmen bzw. als Teil dessen davon Zeugnis ablegen.

Die Art und Weise, wie die Frage von Untersuchungsausschüssen im Parlament abgehandelt wurde, weist auf eine Krise und Störung hin, die nicht nur kommunikativ ist! Vielleicht hilft aber ein Blick auf den kommunikativen Aspekt, die tieferliegende Problematik offen(er) ins Gesichts- und Denkfeld zu rücken.